Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Zoologie des Mittelalters.
Pflanzen und Thiere unterscheiden sich von den Mineralien dadurch,
daß sie des Wachstums fähig sind. Die Thiere haben vor den Pflan-
zen die Fähigkeit zu empfinden und sich zu bewegen voraus. Das nie-
drigste Thier ähnelt den Pflanzen und hat nur einen Sinn (Gefühl).
Es ist ein im Innern einer steinernen Röhre lebender Wurm, der sich
an einigen Ufern findet. Die den Menschen nächsten Thiere sind die
Affen, sowohl wegen der Form ihres Leibes als ihrer Seele. Aber
auch das Pferd und der Elefant nähern sich durch ihre Seeleneigen-
schaften dem Menschen. Die allgemeinen anatomischen und physiolo-
gischen Ansichten lassen sich aus dem bis jetzt allein erschienenen, nur
die Wassergeschöpfe eingehender behandelnden ersten Theile nur einzeln
erkennen. Doch weist hier Vieles auf ältere Anschauungen hin. So ge-
schieht die Athmung behufs der Abkühlung der sich im Körper ent-
wickelnden Hitze. Bei den Wasserthieren gelangt nun die Kälte des
Wassers direct zu ihnen; sie brauchen daher keine Lungen, da das
Wasser hier als Stellvertreter der Luft wirkt. Nicht zu verdunkeln
war die Verallgemeinerung, daß ein Thier desto zahlreichere Glied-
maßen und verschiedenartigste Organe bedarf, je vollkommener es ist.
Der Versuch aber, diese Organisation zu erklären, wird wieder eigen-
thümlich, wenn Kazwini sagt, daß jedes Thier Glieder habe, die zu
seinem Körper stimmen, und Gelenke, die zu seinen Bewegungen passen,
und Häute, die zu seinem Schutz wohl geeignet sind. Die fossilen For-
men scheint er durchaus nur als Versteinerungen auch jetzt noch leben-
der genommen zu haben. Er sagt (bei der Erklärung des Wortes Gha-
rib
), daß einer Behauptung zufolge Dampf aus der Erde aufsteige,
welcher alle Thiere und Pflanzen, die er treffe, in harten Stein ver-
wandelte. Die Spuren davon liegen klar in Ansina im Lande Aegyp-
ten und in Jaleh Beschem im Lande Kazwin. Die Einzelangaben fin-
den sich theils bei der Aufzählung der Jahreszeiten und der syrischen
(Sonnen-) Monate, wo Kazwini einzelne biologische Mittheilungen
über Brunst, Wachsthum, Wanderung von Thieren einflicht, theils
bei der Schilderung der einzelnen Meere und Inseln. Außerdem ist
aber noch ein besonderer Abschnitt den Wassergeschöpfen gewidmet. Da
findet sich freilich auch manches Wunderbare. So erzählt Kazwini dem

Die Zoologie des Mittelalters.
Pflanzen und Thiere unterſcheiden ſich von den Mineralien dadurch,
daß ſie des Wachstums fähig ſind. Die Thiere haben vor den Pflan-
zen die Fähigkeit zu empfinden und ſich zu bewegen voraus. Das nie-
drigſte Thier ähnelt den Pflanzen und hat nur einen Sinn (Gefühl).
Es iſt ein im Innern einer ſteinernen Röhre lebender Wurm, der ſich
an einigen Ufern findet. Die den Menſchen nächſten Thiere ſind die
Affen, ſowohl wegen der Form ihres Leibes als ihrer Seele. Aber
auch das Pferd und der Elefant nähern ſich durch ihre Seeleneigen-
ſchaften dem Menſchen. Die allgemeinen anatomiſchen und phyſiolo-
giſchen Anſichten laſſen ſich aus dem bis jetzt allein erſchienenen, nur
die Waſſergeſchöpfe eingehender behandelnden erſten Theile nur einzeln
erkennen. Doch weiſt hier Vieles auf ältere Anſchauungen hin. So ge-
ſchieht die Athmung behufs der Abkühlung der ſich im Körper ent-
wickelnden Hitze. Bei den Waſſerthieren gelangt nun die Kälte des
Waſſers direct zu ihnen; ſie brauchen daher keine Lungen, da das
Waſſer hier als Stellvertreter der Luft wirkt. Nicht zu verdunkeln
war die Verallgemeinerung, daß ein Thier deſto zahlreichere Glied-
maßen und verſchiedenartigſte Organe bedarf, je vollkommener es iſt.
Der Verſuch aber, dieſe Organiſation zu erklären, wird wieder eigen-
thümlich, wenn Kazwini ſagt, daß jedes Thier Glieder habe, die zu
ſeinem Körper ſtimmen, und Gelenke, die zu ſeinen Bewegungen paſſen,
und Häute, die zu ſeinem Schutz wohl geeignet ſind. Die foſſilen For-
men ſcheint er durchaus nur als Verſteinerungen auch jetzt noch leben-
der genommen zu haben. Er ſagt (bei der Erklärung des Wortes Gha-
rib
), daß einer Behauptung zufolge Dampf aus der Erde aufſteige,
welcher alle Thiere und Pflanzen, die er treffe, in harten Stein ver-
wandelte. Die Spuren davon liegen klar in Anſina im Lande Aegyp-
ten und in Jaleh Beſchem im Lande Kazwin. Die Einzelangaben fin-
den ſich theils bei der Aufzählung der Jahreszeiten und der ſyriſchen
(Sonnen-) Monate, wo Kazwini einzelne biologiſche Mittheilungen
über Brunſt, Wachsthum, Wanderung von Thieren einflicht, theils
bei der Schilderung der einzelnen Meere und Inſeln. Außerdem iſt
aber noch ein beſonderer Abſchnitt den Waſſergeſchöpfen gewidmet. Da
findet ſich freilich auch manches Wunderbare. So erzählt Kazwini dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0179" n="168"/><fw place="top" type="header">Die Zoologie des Mittelalters.</fw><lb/>
Pflanzen und Thiere unter&#x017F;cheiden &#x017F;ich von den Mineralien dadurch,<lb/>
daß &#x017F;ie des Wachstums fähig &#x017F;ind. Die Thiere haben vor den Pflan-<lb/>
zen die Fähigkeit zu empfinden und &#x017F;ich zu bewegen voraus. Das nie-<lb/>
drig&#x017F;te Thier ähnelt den Pflanzen und hat nur einen Sinn (Gefühl).<lb/>
Es i&#x017F;t ein im Innern einer &#x017F;teinernen Röhre lebender Wurm, der &#x017F;ich<lb/>
an einigen Ufern findet. Die den Men&#x017F;chen näch&#x017F;ten Thiere &#x017F;ind die<lb/>
Affen, &#x017F;owohl wegen der Form ihres Leibes als ihrer Seele. Aber<lb/>
auch das Pferd und der Elefant nähern &#x017F;ich durch ihre Seeleneigen-<lb/>
&#x017F;chaften dem Men&#x017F;chen. Die allgemeinen anatomi&#x017F;chen und phy&#x017F;iolo-<lb/>
gi&#x017F;chen An&#x017F;ichten la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich aus dem bis jetzt allein er&#x017F;chienenen, nur<lb/>
die Wa&#x017F;&#x017F;erge&#x017F;chöpfe eingehender behandelnden er&#x017F;ten Theile nur einzeln<lb/>
erkennen. Doch wei&#x017F;t hier Vieles auf ältere An&#x017F;chauungen hin. So ge-<lb/>
&#x017F;chieht die Athmung behufs der Abkühlung der &#x017F;ich im Körper ent-<lb/>
wickelnden Hitze. Bei den Wa&#x017F;&#x017F;erthieren gelangt nun die Kälte des<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;ers direct zu ihnen; &#x017F;ie brauchen daher keine Lungen, da das<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er hier als Stellvertreter der Luft wirkt. Nicht zu verdunkeln<lb/>
war die Verallgemeinerung, daß ein Thier de&#x017F;to zahlreichere Glied-<lb/>
maßen und ver&#x017F;chiedenartig&#x017F;te Organe bedarf, je vollkommener es i&#x017F;t.<lb/>
Der Ver&#x017F;uch aber, die&#x017F;e Organi&#x017F;ation zu erklären, wird wieder eigen-<lb/>
thümlich, wenn <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119374382">Kazwini</persName></hi> &#x017F;agt, daß jedes Thier Glieder habe, die zu<lb/>
&#x017F;einem Körper &#x017F;timmen, und Gelenke, die zu &#x017F;einen Bewegungen pa&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und Häute, die zu &#x017F;einem Schutz wohl geeignet &#x017F;ind. Die fo&#x017F;&#x017F;ilen For-<lb/>
men &#x017F;cheint er durchaus nur als Ver&#x017F;teinerungen auch jetzt noch leben-<lb/>
der genommen zu haben. Er &#x017F;agt (bei der Erklärung des Wortes <hi rendition="#aq">Gha-<lb/>
rib</hi>), daß einer Behauptung zufolge Dampf aus der Erde auf&#x017F;teige,<lb/>
welcher alle Thiere und Pflanzen, die er treffe, in harten Stein ver-<lb/>
wandelte. Die Spuren davon liegen klar in An&#x017F;ina im Lande Aegyp-<lb/>
ten und in Jaleh Be&#x017F;chem im Lande Kazwin. Die Einzelangaben fin-<lb/>
den &#x017F;ich theils bei der Aufzählung der Jahreszeiten und der &#x017F;yri&#x017F;chen<lb/>
(Sonnen-) Monate, wo <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119374382">Kazwini</persName></hi> einzelne biologi&#x017F;che Mittheilungen<lb/>
über Brun&#x017F;t, Wachsthum, Wanderung von Thieren einflicht, theils<lb/>
bei der Schilderung der einzelnen Meere und In&#x017F;eln. Außerdem i&#x017F;t<lb/>
aber noch ein be&#x017F;onderer Ab&#x017F;chnitt den Wa&#x017F;&#x017F;erge&#x017F;chöpfen gewidmet. Da<lb/>
findet &#x017F;ich freilich auch manches Wunderbare. So erzählt <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119374382">Kazwini</persName> dem<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0179] Die Zoologie des Mittelalters. Pflanzen und Thiere unterſcheiden ſich von den Mineralien dadurch, daß ſie des Wachstums fähig ſind. Die Thiere haben vor den Pflan- zen die Fähigkeit zu empfinden und ſich zu bewegen voraus. Das nie- drigſte Thier ähnelt den Pflanzen und hat nur einen Sinn (Gefühl). Es iſt ein im Innern einer ſteinernen Röhre lebender Wurm, der ſich an einigen Ufern findet. Die den Menſchen nächſten Thiere ſind die Affen, ſowohl wegen der Form ihres Leibes als ihrer Seele. Aber auch das Pferd und der Elefant nähern ſich durch ihre Seeleneigen- ſchaften dem Menſchen. Die allgemeinen anatomiſchen und phyſiolo- giſchen Anſichten laſſen ſich aus dem bis jetzt allein erſchienenen, nur die Waſſergeſchöpfe eingehender behandelnden erſten Theile nur einzeln erkennen. Doch weiſt hier Vieles auf ältere Anſchauungen hin. So ge- ſchieht die Athmung behufs der Abkühlung der ſich im Körper ent- wickelnden Hitze. Bei den Waſſerthieren gelangt nun die Kälte des Waſſers direct zu ihnen; ſie brauchen daher keine Lungen, da das Waſſer hier als Stellvertreter der Luft wirkt. Nicht zu verdunkeln war die Verallgemeinerung, daß ein Thier deſto zahlreichere Glied- maßen und verſchiedenartigſte Organe bedarf, je vollkommener es iſt. Der Verſuch aber, dieſe Organiſation zu erklären, wird wieder eigen- thümlich, wenn Kazwini ſagt, daß jedes Thier Glieder habe, die zu ſeinem Körper ſtimmen, und Gelenke, die zu ſeinen Bewegungen paſſen, und Häute, die zu ſeinem Schutz wohl geeignet ſind. Die foſſilen For- men ſcheint er durchaus nur als Verſteinerungen auch jetzt noch leben- der genommen zu haben. Er ſagt (bei der Erklärung des Wortes Gha- rib), daß einer Behauptung zufolge Dampf aus der Erde aufſteige, welcher alle Thiere und Pflanzen, die er treffe, in harten Stein ver- wandelte. Die Spuren davon liegen klar in Anſina im Lande Aegyp- ten und in Jaleh Beſchem im Lande Kazwin. Die Einzelangaben fin- den ſich theils bei der Aufzählung der Jahreszeiten und der ſyriſchen (Sonnen-) Monate, wo Kazwini einzelne biologiſche Mittheilungen über Brunſt, Wachsthum, Wanderung von Thieren einflicht, theils bei der Schilderung der einzelnen Meere und Inſeln. Außerdem iſt aber noch ein beſonderer Abſchnitt den Waſſergeſchöpfen gewidmet. Da findet ſich freilich auch manches Wunderbare. So erzählt Kazwini dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/179
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/179>, abgerufen am 21.11.2024.