Beziehung zwischen Thränendrüse und Leber, von denen hier natürlich die erstere in ihrer geistigern Region schneller, obwohl eben so unbewußt, die Umstimmung empfindet, welche das Unbewußte überhaupt erfährt, und so geschieht es, daß wir als leibliches Symbol des Gefühls der Trauer keines kennen, welches in seiner stummen Sprache beredter er¬ scheint als die Thräne.
Was die Periodicität betrifft, so sind auch in der Trauer dergleichen Verhältnisse unverkennbar, und eben weil durch alles Unbewußte eine rhythmische Bewegung stätig sich hindurchzieht, so wechseln in unserer großentheils unbewußten Seele trübere mit heitern Stimmungen, selbst bei der kräf¬ tigsten Durchbildung des selbstbewußten Geistes, um vieles mehr jedoch allerdings, je weniger kräftig das Bewußtsein entwickelt ist. Die Einflüsse, welche periodisch, vom Unbe¬ wußten aus, die Trauer erregen, können natürlich höchst mannichfaltig sein. Wesentlich wirken dahin schon die Ver¬ änderungen der Atmosphäre. Trübe neblige Tage und kalte Feuchtigkeit bringen entschieden derartige Stimmungen her¬ vor, gewisse Klimate stimmen mehr dafür, andere weniger, ja es ist merkwürdig, wie viele innere Vorgänge der Ent¬ wicklung im Menschen auf diese Weise eigenthümlich ein¬ wirken. Der melancholische Hang, welcher mitten in blühen¬ der Jugend den Menschen zuweilen ergreift, die Schwer¬ muth, welche an manche Evolutionen im weiblichen Leben sich knüpft, sie deuten sämmtlich auf einen derartigen Zu¬ sammenhang. Man kann dieses unwillkürliche oft ahnungs¬ volle Eintreten der Trauer -- dies plötzlich Ueberziehen der Seele mit Wolken, nicht besser ausdrücken, als Shakespeare es thut, dem überhaupt die Welt der Gefühle so tief er¬ schlossen war, wenn er den Antonio sagen läßt:
"Fürwahr, ich weiß nicht, was mich traurig macht: Ich bin es satt; ihr sagt, das seid ihr auch. Doch wie ich dran kam, wie mir's angeweht; Von was für Stoff es ist, woraus erzeugt; Das soll ich erst erfahren." --
Beziehung zwiſchen Thränendrüſe und Leber, von denen hier natürlich die erſtere in ihrer geiſtigern Region ſchneller, obwohl eben ſo unbewußt, die Umſtimmung empfindet, welche das Unbewußte überhaupt erfährt, und ſo geſchieht es, daß wir als leibliches Symbol des Gefühls der Trauer keines kennen, welches in ſeiner ſtummen Sprache beredter er¬ ſcheint als die Thräne.
Was die Periodicität betrifft, ſo ſind auch in der Trauer dergleichen Verhältniſſe unverkennbar, und eben weil durch alles Unbewußte eine rhythmiſche Bewegung ſtätig ſich hindurchzieht, ſo wechſeln in unſerer großentheils unbewußten Seele trübere mit heitern Stimmungen, ſelbſt bei der kräf¬ tigſten Durchbildung des ſelbſtbewußten Geiſtes, um vieles mehr jedoch allerdings, je weniger kräftig das Bewußtſein entwickelt iſt. Die Einflüſſe, welche periodiſch, vom Unbe¬ wußten aus, die Trauer erregen, können natürlich höchſt mannichfaltig ſein. Weſentlich wirken dahin ſchon die Ver¬ änderungen der Atmoſphäre. Trübe neblige Tage und kalte Feuchtigkeit bringen entſchieden derartige Stimmungen her¬ vor, gewiſſe Klimate ſtimmen mehr dafür, andere weniger, ja es iſt merkwürdig, wie viele innere Vorgänge der Ent¬ wicklung im Menſchen auf dieſe Weiſe eigenthümlich ein¬ wirken. Der melancholiſche Hang, welcher mitten in blühen¬ der Jugend den Menſchen zuweilen ergreift, die Schwer¬ muth, welche an manche Evolutionen im weiblichen Leben ſich knüpft, ſie deuten ſämmtlich auf einen derartigen Zu¬ ſammenhang. Man kann dieſes unwillkürliche oft ahnungs¬ volle Eintreten der Trauer — dies plötzlich Ueberziehen der Seele mit Wolken, nicht beſſer ausdrücken, als Shakespeare es thut, dem überhaupt die Welt der Gefühle ſo tief er¬ ſchloſſen war, wenn er den Antonio ſagen läßt:
„Fürwahr, ich weiß nicht, was mich traurig macht: Ich bin es ſatt; ihr ſagt, das ſeid ihr auch. Doch wie ich dran kam, wie mir's angeweht; Von was für Stoff es iſt, woraus erzeugt; Das ſoll ich erſt erfahren.“ —
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Beziehung zwiſchen Thränendrüſe und Leber, von denen
hier natürlich die erſtere in ihrer geiſtigern Region ſchneller,
obwohl eben ſo unbewußt, die Umſtimmung empfindet, welche
das Unbewußte überhaupt erfährt, und ſo geſchieht es, daß
wir als leibliches Symbol des Gefühls der Trauer keines
kennen, welches in ſeiner ſtummen Sprache beredter er¬
ſcheint als die Thräne.
Was die Periodicität betrifft, ſo ſind auch in der
Trauer dergleichen Verhältniſſe unverkennbar, und eben weil
durch alles Unbewußte eine rhythmiſche Bewegung ſtätig ſich
hindurchzieht, ſo wechſeln in unſerer großentheils unbewußten
Seele trübere mit heitern Stimmungen, ſelbſt bei der kräf¬
tigſten Durchbildung des ſelbſtbewußten Geiſtes, um vieles
mehr jedoch allerdings, je weniger kräftig das Bewußtſein
entwickelt iſt. Die Einflüſſe, welche periodiſch, vom Unbe¬
wußten aus, die Trauer erregen, können natürlich höchſt
mannichfaltig ſein. Weſentlich wirken dahin ſchon die Ver¬
änderungen der Atmoſphäre. Trübe neblige Tage und kalte
Feuchtigkeit bringen entſchieden derartige Stimmungen her¬
vor, gewiſſe Klimate ſtimmen mehr dafür, andere weniger,
ja es iſt merkwürdig, wie viele innere Vorgänge der Ent¬
wicklung im Menſchen auf dieſe Weiſe eigenthümlich ein¬
wirken. Der melancholiſche Hang, welcher mitten in blühen¬
der Jugend den Menſchen zuweilen ergreift, die Schwer¬
muth, welche an manche Evolutionen im weiblichen Leben
ſich knüpft, ſie deuten ſämmtlich auf einen derartigen Zu¬
ſammenhang. Man kann dieſes unwillkürliche oft ahnungs¬
volle Eintreten der Trauer — dies plötzlich Ueberziehen der
Seele mit Wolken, nicht beſſer ausdrücken, als Shakespeare
es thut, dem überhaupt die Welt der Gefühle ſo tief er¬
ſchloſſen war, wenn er den Antonio ſagen läßt:
„Fürwahr, ich weiß nicht, was mich traurig macht:
Ich bin es ſatt; ihr ſagt, das ſeid ihr auch.
Doch wie ich dran kam, wie mir's angeweht;
Von was für Stoff es iſt, woraus erzeugt;
Das ſoll ich erſt erfahren.“ —
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/293>, abgerufen am 27.11.2024.
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