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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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22. Mustäfa der II
pen des Sultans ein großes Buch von dem Kuron vor, und bittet dieselben,
zu erwägen, "daß sie Brüder eines Glaubens, eines Geblütes, und Unter-
[Spaltenumbruch]
sehen dem ungerechten Verfahren seines Soh-
nes Einhalt zu thun. Allein, die Mittel,
dadurch er eines andern Besserung befördern
wollte, wären beynahe zu seinem eigenen Un-
tergange ausgeschlagen. Denn so bald der
Müfti, der wegen der unerhörten Nachsicht
gegen seine Söhne mit Recht der türkische Eli
genennet werden kann, dieses Schreiben er-
hält: so geräth derselbe in einen heftigen Zorn,
nicht gegen seinen Sohn, sondern gegen Tscher-
kjes Mehemmed; gehet augenblicklich zu dem
Sultane, und belästiget den unschuldigen
Statthalter von Jerusalem mit so vielen Ver-
leumdungen, daß der Sultan unverzüglich
einen Kapudschi Baschi mit einem Chättische-
rif absendet, den Kopf desselben zu bringen.
Allein Kapudschi Baschi, der ein kluger Mann
und heimlicher Freund des Paschas war, stel-
let sich zwar, als wenn er abreisete; kehret
aber ingeheim nach Constantinopel zurück,
gehet zu dem damaligen Weßire, nämlich Ae-
midsche Ogli Husejn Pascha, eröffnet demsel-
ben, was er für einen Befehl bekommen habe,
und fraget ihn, wie er sich dabey verhalten
solle. Husejn Pascha, der bereits einiges
von des Mewlas zu Kudsischerif übeler Auf-
führung gehöret hatte, erräth gar bald, durch
wessen Kunstgriff dieser Anschlag auf Tscher-
kjes Mehemmeds Leben gemacht worden sey.
Er gehet daher ohne Verweilung zu dem Sul-
tane Mustäfa, und saget zu demselben: er ha-
be vernommen, daß ein solcher Befehl gegen
Tscherkjes Mehemmed ergangen sey: und er
wundere sich darüber; weil er gewiß wisse,
daß derselbe ein recht getreuer und ehrlicher
Mann sey. Der Sultan lässet sich hierauf
gegen den Weßir heraus, was ihm der Müfti
gesaget habe; und setzet hinzu: Dieses ist
[Spaltenumbruch]
die Ursache, warum ich ein Chättischerif abge-
schicket habe, ihm das Leben zu nehmen.
Der Weßir widerleget alle die Verleumdungen
des Müftis, und giebt dem Sultane eine
wahrhafte Nachricht von seines Sohnes gan-
zer Aufführung zu Jerusalem. Auf dieses
saget der Sultan: er bedaure es, daß er
durch anderer unrichtige Vorstellung verleitet
worden sey, einen so rechtschaffenen Mann
ohne Ursache umbringen zu lassen; er sehe
aber kein Mittel vor sich, den Befehl zu wi-
derrufen: denn er glaube, Kapudschi Baschi
sey bereits so weit weg, daß kein Bote ihn
werde einholen können. Wir müssen es auf
dem einen oder dem andern Wege versuchen,
versetzet darauf der Weßir; damit nicht
durch unsere Nachlässigkeit die Schuld unge-
rechter Weise vergossenes Blutes auf unsere
Häupter kommen möge: denn ich glaube,
die Vorsehung werde Kapudschi Baschi unter-
weges aufhalten, und uns Gelegenheit ma-
chen, ihn wieder zurück zu berufen. Nach-
dem der Weßir durch diese Vorstellung Er-
laubniß erhalten hatte, das Chättischerif
zu widerrufen: so gehet er nach Hause, und
befiehlet Kapudschi Baschi, er solle sich bey
Nachtzeit nach Asien hinüber setzen lassen,
und seine Reise antreten; damit es wenigstens
den Schein haben möchte, als wenn er des
Sultans Befehle nachgelebet hätte. Des an-
dern Tages aber fertiget er einen andern Ka-
pudschi Baschi mit einem Ferman ab, jenen
einzuholen und zurück zu bringen. Solcher-
gestalt rettete der Weßir durch eine lobens-
würdige List einem Manne das Leben, dem
der Müfti durch eine entsetzliche Bosheit den
Untergang geschworen hatte. Noch viele
solche leichtfertigen Dinge wurden von des

"thanen

22. Muſtaͤfa der II
pen des Sultans ein großes Buch von dem Kuron vor, und bittet dieſelben,
zu erwaͤgen, “daß ſie Bruͤder eines Glaubens, eines Gebluͤtes, und Unter-
[Spaltenumbruch]
ſehen dem ungerechten Verfahren ſeines Soh-
nes Einhalt zu thun. Allein, die Mittel,
dadurch er eines andern Beſſerung befoͤrdern
wollte, waͤren beynahe zu ſeinem eigenen Un-
tergange ausgeſchlagen. Denn ſo bald der
Muͤfti, der wegen der unerhoͤrten Nachſicht
gegen ſeine Soͤhne mit Recht der tuͤrkiſche Eli
genennet werden kann, dieſes Schreiben er-
haͤlt: ſo geraͤth derſelbe in einen heftigen Zorn,
nicht gegen ſeinen Sohn, ſondern gegen Tſcher-
kjes Mehemmed; gehet augenblicklich zu dem
Sultane, und belaͤſtiget den unſchuldigen
Statthalter von Jeruſalem mit ſo vielen Ver-
leumdungen, daß der Sultan unverzuͤglich
einen Kapudſchi Baſchi mit einem Chaͤttiſche-
rif abſendet, den Kopf deſſelben zu bringen.
Allein Kapudſchi Baſchi, der ein kluger Mann
und heimlicher Freund des Paſchas war, ſtel-
let ſich zwar, als wenn er abreiſete; kehret
aber ingeheim nach Conſtantinopel zuruͤck,
gehet zu dem damaligen Weßire, naͤmlich Ae-
midſche Ogli Huſejn Paſcha, eroͤffnet demſel-
ben, was er fuͤr einen Befehl bekommen habe,
und fraget ihn, wie er ſich dabey verhalten
ſolle. Huſejn Paſcha, der bereits einiges
von des Mewlas zu Kudſiſcherif uͤbeler Auf-
fuͤhrung gehoͤret hatte, erraͤth gar bald, durch
weſſen Kunſtgriff dieſer Anſchlag auf Tſcher-
kjes Mehemmeds Leben gemacht worden ſey.
Er gehet daher ohne Verweilung zu dem Sul-
tane Muſtaͤfa, und ſaget zu demſelben: er ha-
be vernommen, daß ein ſolcher Befehl gegen
Tſcherkjes Mehemmed ergangen ſey: und er
wundere ſich daruͤber; weil er gewiß wiſſe,
daß derſelbe ein recht getreuer und ehrlicher
Mann ſey. Der Sultan laͤſſet ſich hierauf
gegen den Weßir heraus, was ihm der Muͤfti
geſaget habe; und ſetzet hinzu: Dieſes iſt
[Spaltenumbruch]
die Urſache, warum ich ein Chaͤttiſcherif abge-
ſchicket habe, ihm das Leben zu nehmen.
Der Weßir widerleget alle die Verleumdungen
des Muͤftis, und giebt dem Sultane eine
wahrhafte Nachricht von ſeines Sohnes gan-
zer Auffuͤhrung zu Jeruſalem. Auf dieſes
ſaget der Sultan: er bedaure es, daß er
durch anderer unrichtige Vorſtellung verleitet
worden ſey, einen ſo rechtſchaffenen Mann
ohne Urſache umbringen zu laſſen; er ſehe
aber kein Mittel vor ſich, den Befehl zu wi-
derrufen: denn er glaube, Kapudſchi Baſchi
ſey bereits ſo weit weg, daß kein Bote ihn
werde einholen koͤnnen. Wir muͤſſen es auf
dem einen oder dem andern Wege verſuchen,
verſetzet darauf der Weßir; damit nicht
durch unſere Nachlaͤſſigkeit die Schuld unge-
rechter Weiſe vergoſſenes Blutes auf unſere
Haͤupter kommen moͤge: denn ich glaube,
die Vorſehung werde Kapudſchi Baſchi unter-
weges aufhalten, und uns Gelegenheit ma-
chen, ihn wieder zuruͤck zu berufen. Nach-
dem der Weßir durch dieſe Vorſtellung Er-
laubniß erhalten hatte, das Chaͤttiſcherif
zu widerrufen: ſo gehet er nach Hauſe, und
befiehlet Kapudſchi Baſchi, er ſolle ſich bey
Nachtzeit nach Aſien hinuͤber ſetzen laſſen,
und ſeine Reiſe antreten; damit es wenigſtens
den Schein haben moͤchte, als wenn er des
Sultans Befehle nachgelebet haͤtte. Des an-
dern Tages aber fertiget er einen andern Ka-
pudſchi Baſchi mit einem Ferman ab, jenen
einzuholen und zuruͤck zu bringen. Solcher-
geſtalt rettete der Weßir durch eine lobens-
wuͤrdige Liſt einem Manne das Leben, dem
der Muͤfti durch eine entſetzliche Bosheit den
Untergang geſchworen hatte. Noch viele
ſolche leichtfertigen Dinge wurden von des

“thanen
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[735/0849] 22. Muſtaͤfa der II pen des Sultans ein großes Buch von dem Kuron vor, und bittet dieſelben, zu erwaͤgen, “daß ſie Bruͤder eines Glaubens, eines Gebluͤtes, und Unter- “thanen ſehen dem ungerechten Verfahren ſeines Soh- nes Einhalt zu thun. Allein, die Mittel, dadurch er eines andern Beſſerung befoͤrdern wollte, waͤren beynahe zu ſeinem eigenen Un- tergange ausgeſchlagen. Denn ſo bald der Muͤfti, der wegen der unerhoͤrten Nachſicht gegen ſeine Soͤhne mit Recht der tuͤrkiſche Eli genennet werden kann, dieſes Schreiben er- haͤlt: ſo geraͤth derſelbe in einen heftigen Zorn, nicht gegen ſeinen Sohn, ſondern gegen Tſcher- kjes Mehemmed; gehet augenblicklich zu dem Sultane, und belaͤſtiget den unſchuldigen Statthalter von Jeruſalem mit ſo vielen Ver- leumdungen, daß der Sultan unverzuͤglich einen Kapudſchi Baſchi mit einem Chaͤttiſche- rif abſendet, den Kopf deſſelben zu bringen. Allein Kapudſchi Baſchi, der ein kluger Mann und heimlicher Freund des Paſchas war, ſtel- let ſich zwar, als wenn er abreiſete; kehret aber ingeheim nach Conſtantinopel zuruͤck, gehet zu dem damaligen Weßire, naͤmlich Ae- midſche Ogli Huſejn Paſcha, eroͤffnet demſel- ben, was er fuͤr einen Befehl bekommen habe, und fraget ihn, wie er ſich dabey verhalten ſolle. Huſejn Paſcha, der bereits einiges von des Mewlas zu Kudſiſcherif uͤbeler Auf- fuͤhrung gehoͤret hatte, erraͤth gar bald, durch weſſen Kunſtgriff dieſer Anſchlag auf Tſcher- kjes Mehemmeds Leben gemacht worden ſey. Er gehet daher ohne Verweilung zu dem Sul- tane Muſtaͤfa, und ſaget zu demſelben: er ha- be vernommen, daß ein ſolcher Befehl gegen Tſcherkjes Mehemmed ergangen ſey: und er wundere ſich daruͤber; weil er gewiß wiſſe, daß derſelbe ein recht getreuer und ehrlicher Mann ſey. Der Sultan laͤſſet ſich hierauf gegen den Weßir heraus, was ihm der Muͤfti geſaget habe; und ſetzet hinzu: Dieſes iſt die Urſache, warum ich ein Chaͤttiſcherif abge- ſchicket habe, ihm das Leben zu nehmen. Der Weßir widerleget alle die Verleumdungen des Muͤftis, und giebt dem Sultane eine wahrhafte Nachricht von ſeines Sohnes gan- zer Auffuͤhrung zu Jeruſalem. Auf dieſes ſaget der Sultan: er bedaure es, daß er durch anderer unrichtige Vorſtellung verleitet worden ſey, einen ſo rechtſchaffenen Mann ohne Urſache umbringen zu laſſen; er ſehe aber kein Mittel vor ſich, den Befehl zu wi- derrufen: denn er glaube, Kapudſchi Baſchi ſey bereits ſo weit weg, daß kein Bote ihn werde einholen koͤnnen. Wir muͤſſen es auf dem einen oder dem andern Wege verſuchen, verſetzet darauf der Weßir; damit nicht durch unſere Nachlaͤſſigkeit die Schuld unge- rechter Weiſe vergoſſenes Blutes auf unſere Haͤupter kommen moͤge: denn ich glaube, die Vorſehung werde Kapudſchi Baſchi unter- weges aufhalten, und uns Gelegenheit ma- chen, ihn wieder zuruͤck zu berufen. Nach- dem der Weßir durch dieſe Vorſtellung Er- laubniß erhalten hatte, das Chaͤttiſcherif zu widerrufen: ſo gehet er nach Hauſe, und befiehlet Kapudſchi Baſchi, er ſolle ſich bey Nachtzeit nach Aſien hinuͤber ſetzen laſſen, und ſeine Reiſe antreten; damit es wenigſtens den Schein haben moͤchte, als wenn er des Sultans Befehle nachgelebet haͤtte. Des an- dern Tages aber fertiget er einen andern Ka- pudſchi Baſchi mit einem Ferman ab, jenen einzuholen und zuruͤck zu bringen. Solcher- geſtalt rettete der Weßir durch eine lobens- wuͤrdige Liſt einem Manne das Leben, dem der Muͤfti durch eine entſetzliche Bosheit den Untergang geſchworen hatte. Noch viele ſolche leichtfertigen Dinge wurden von des Muͤftis

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 735. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/849>, abgerufen am 25.11.2024.