Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.22. Mustäfa der II kaufen konnten. Ihr Lastvieh noch dazu, sowol als sie selbst, wollten vor Durstesterben, und hatten kein Wasser, denselben zu lindern. Denn der Morast, der um Temischwar herumgehet, war von der Sommerhitze beynahe ganz eingetrock- net; und wenn ie noch eine stinkende Pfütze zu finden war: so nahmen diejeni- gen, die die mächtigsten waren 27, dieselbe in Besitz, und schlossen die übrigen davon aus. 65. Endlich, nachdem das osmanische Heer drey Tage lang einem SchiffeDer Sultan niget hatte: so bekam ich davon frisches und klares Wasser. Als meine Leute und Pferde ihren Durst gestillet hatten: so schickte ich des andern Morgens bey anbrechendem Tage durch einen Knecht einen Krug voll Wasser an den Koch. Es begegnete ihm aber ein Soldat, der ihm den Krug abnahm, das Wasser austrank, und ihn umzubringen dro- hete, wenn er ihm nicht sagte, wo er das Wasser angetroffen habe. Der arme Tropf, dem der Soldat den bloßen Säbel auf die Brust gesetzet hatte, erschrack darüber so sehr, daß er gestunde, er habe eine Quelle unter meinem Zelte gefunden. Den Augenblick, als der Soldat diese Nachricht bekommen hatte, gehet er zu seinen Mitbrüdern, und erzählet ihnen, was er gehöret hatte. Dar- auf kommen sie alle herbey, mit einem bloßen Säbel in der einen, und einem Eimer in der [Spaltenumbruch] andern Hand, und fragen iedermann, der ihnen begegnet, wo mein Zelt sey. Weil ich nun daraus merkte, daß die Sache verrathen war und nicht länger verborgen gehalten werden konnte: so ließ ich mein Zelt da weg- nehmen, daß die Quelle offen stunde. Um mich nun zu entschuldigen, sagte ich zu ihnen: ich hätte einen todten Menschen daselbst gefun- den, und daher die Quelle verborgen gehalten; aus Besorgung, es möchte iemand vor hefti- gem Durste unwissender Weise etwas von dem Wasser genießen, ehe es gesäubert wäre, und auf solche Art seine Seele verunreinigen. Mittelst dieser unschuldigen Lüge, die damals die unumgängliche Noth erforderte, entging ich nicht allein der Wut der Barbarn; son- dern bekam auch noch Dank dazu für den guten Dienst, den ich ihnen geleistet hätte. 66. Am 4 S 2
22. Muſtaͤfa der II kaufen konnten. Ihr Laſtvieh noch dazu, ſowol als ſie ſelbſt, wollten vor Durſteſterben, und hatten kein Waſſer, denſelben zu lindern. Denn der Moraſt, der um Temiſchwar herumgehet, war von der Sommerhitze beynahe ganz eingetrock- net; und wenn ie noch eine ſtinkende Pfuͤtze zu finden war: ſo nahmen diejeni- gen, die die maͤchtigſten waren 27, dieſelbe in Beſitz, und ſchloſſen die uͤbrigen davon aus. 65. Endlich, nachdem das osmaniſche Heer drey Tage lang einem SchiffeDer Sultan niget hatte: ſo bekam ich davon friſches und klares Waſſer. Als meine Leute und Pferde ihren Durſt geſtillet hatten: ſo ſchickte ich des andern Morgens bey anbrechendem Tage durch einen Knecht einen Krug voll Waſſer an den Koch. Es begegnete ihm aber ein Soldat, der ihm den Krug abnahm, das Waſſer austrank, und ihn umzubringen dro- hete, wenn er ihm nicht ſagte, wo er das Waſſer angetroffen habe. Der arme Tropf, dem der Soldat den bloßen Saͤbel auf die Bruſt geſetzet hatte, erſchrack daruͤber ſo ſehr, daß er geſtunde, er habe eine Quelle unter meinem Zelte gefunden. Den Augenblick, als der Soldat dieſe Nachricht bekommen hatte, gehet er zu ſeinen Mitbruͤdern, und erzaͤhlet ihnen, was er gehoͤret hatte. Dar- auf kommen ſie alle herbey, mit einem bloßen Saͤbel in der einen, und einem Eimer in der [Spaltenumbruch] andern Hand, und fragen iedermann, der ihnen begegnet, wo mein Zelt ſey. Weil ich nun daraus merkte, daß die Sache verrathen war und nicht laͤnger verborgen gehalten werden konnte: ſo ließ ich mein Zelt da weg- nehmen, daß die Quelle offen ſtunde. Um mich nun zu entſchuldigen, ſagte ich zu ihnen: ich haͤtte einen todten Menſchen daſelbſt gefun- den, und daher die Quelle verborgen gehalten; aus Beſorgung, es moͤchte iemand vor hefti- gem Durſte unwiſſender Weiſe etwas von dem Waſſer genießen, ehe es geſaͤubert waͤre, und auf ſolche Art ſeine Seele verunreinigen. Mittelſt dieſer unſchuldigen Luͤge, die damals die unumgaͤngliche Noth erforderte, entging ich nicht allein der Wut der Barbarn; ſon- dern bekam auch noch Dank dazu fuͤr den guten Dienſt, den ich ihnen geleiſtet haͤtte. 66. Am 4 S 2
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22. Muſtaͤfa der II
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ſterben, und hatten kein Waſſer, denſelben zu lindern. Denn der Moraſt, der
um Temiſchwar herumgehet, war von der Sommerhitze beynahe ganz eingetrock-
net; und wenn ie noch eine ſtinkende Pfuͤtze zu finden war: ſo nahmen diejeni-
gen, die die maͤchtigſten waren
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, dieſelbe in Beſitz, und ſchloſſen die uͤbrigen
davon aus.
65. Endlich, nachdem das osmaniſche Heer drey Tage lang einem Schiffe
aͤhnlich geweſen war, das auf dem ſtuͤrmigen Meere treibet, und weder Ruder
noch Steuermann hat: ſo entſchloß ſich der Sultan, weil er ſahe, daß von den
Deutſchen keine Gefahr zu befuͤrchten war, in Begleitung einer Wache von
Soldaten, die er ſich von dem Paſcha zu Temiſchwar geben ließe, ſich ſeinem
Heere zu entdecken. Dadurch wurde den Soldaten ihre Furcht auf einmal
benommen; denn die Truppen bezeigeten bey Erblickung deſſelben insgeſammt
eine ſolche Freude, als wenn er im Triumphe zuruͤck gekehret waͤre, und riefen
aus: ſie achteten itzo ihr erlittenes Ungluͤck nicht mehr; ſondern wollten ſich
an dem Feinde nachdruͤcklich raͤchen, nachdem ſie nunmehr von der Sicherheit
ihres Sultans gewiß ſeyen.
Der Sultan
entdecket ſich
endlich dem Ue-
berreſte ſeines
Heeres.
66. Am
niget hatte: ſo bekam ich davon friſches und
klares Waſſer. Als meine Leute und Pferde
ihren Durſt geſtillet hatten: ſo ſchickte ich
des andern Morgens bey anbrechendem Tage
durch einen Knecht einen Krug voll Waſſer
an den Koch. Es begegnete ihm aber ein
Soldat, der ihm den Krug abnahm, das
Waſſer austrank, und ihn umzubringen dro-
hete, wenn er ihm nicht ſagte, wo er das
Waſſer angetroffen habe. Der arme Tropf,
dem der Soldat den bloßen Saͤbel auf die
Bruſt geſetzet hatte, erſchrack daruͤber ſo ſehr,
daß er geſtunde, er habe eine Quelle unter
meinem Zelte gefunden. Den Augenblick,
als der Soldat dieſe Nachricht bekommen
hatte, gehet er zu ſeinen Mitbruͤdern, und
erzaͤhlet ihnen, was er gehoͤret hatte. Dar-
auf kommen ſie alle herbey, mit einem bloßen
Saͤbel in der einen, und einem Eimer in der
andern Hand, und fragen iedermann, der
ihnen begegnet, wo mein Zelt ſey. Weil ich
nun daraus merkte, daß die Sache verrathen
war und nicht laͤnger verborgen gehalten
werden konnte: ſo ließ ich mein Zelt da weg-
nehmen, daß die Quelle offen ſtunde. Um
mich nun zu entſchuldigen, ſagte ich zu ihnen:
ich haͤtte einen todten Menſchen daſelbſt gefun-
den, und daher die Quelle verborgen gehalten;
aus Beſorgung, es moͤchte iemand vor hefti-
gem Durſte unwiſſender Weiſe etwas von dem
Waſſer genießen, ehe es geſaͤubert waͤre, und
auf ſolche Art ſeine Seele verunreinigen.
Mittelſt dieſer unſchuldigen Luͤge, die damals
die unumgaͤngliche Noth erforderte, entging
ich nicht allein der Wut der Barbarn; ſon-
dern bekam auch noch Dank dazu fuͤr den
guten Dienſt, den ich ihnen geleiſtet haͤtte.
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