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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
um einen solchen Preis von ihnen erkaufet werden sollte, als sie es für füglich
erachteten.

Der Weßir zie-
het mit seinem
Heere auf Bel-grad zu.
45.

Diese Anordnungen brachten ihm einen großen Ruhm der Klugheit,
Gerechtigkeit und Heiligkeit zuwege. Hierauf schickte er sich mit großem Ernste
zu dem Feldzuge; und damit während seiner Abwesenheit, wegen so vieler in den
Sachen gemachten Veränderungen, nicht etwan ein Aufstand gegen den Sul-
[Spaltenumbruch]

sten, die dem osmanischen Reiche unterworfen
sind, beliebt machte. In der That sind auch
fast alle seine Handlungen, imgleichen seine
richterlichen Bescheide, so viele offenbare Zeug-
nisse von seiner Billigkeit gegen iedermann
ohne Ansehen seiner Religion, und von seiner
Statsklugheit; davon es nicht undienlich
seyn wird, eines und das andere Beyspiel hier
anzuführen. Als er bey seinem ersten Feld-
zuge, darinnen er Belgrad eroberte, sein La-
ger nicht weit von Jagodin hatte, einem
großen Dorfe in Bulgarien, und sahe, daß
dasselbe beynahe gänzlich wüste und von Ein-
wohnern entblößet war: so ließ er zweene
der ältesten Bauern zu sich fordern, und
fragte sie; was doch die Ursache sey, daß ihr
Dorf so wüste liege? Diese gaben davon
zwo Ursachen an; erstlich, weil ihre Kirche
abgebrannt sey, und ihnen die Freyheit nicht
verstattet werde, eine andere zu bauen: so
seyen die meisten Einwohner an andere Oerter
hin gezogen. Zum zweyten habe das Dorf
so oft und so viele Jahre hinter einander den
Durchzug der osmanischen Völker erlitten,
daß der Landmann dadurch verhindert wor-
den sey, sein Korn einzusammeln; daraus
eine Hungersnoth entstanden, die die übrigen
genöthiget habe, sich hinweg zu begeben.
Hierüber wendete sich der Weßir gegen den
Rejs Efendi, und sagte: "So wenig als
"ein Müsülman da leben kann, da er kei-
"nen Dschami hat; eben so wenig kann
[Spaltenumbruch]
"ein Christ gezwungen werden, an einem
"Orte zu wohnen, da keine Kirche ist."
So gleich gab er den Einwohnern die Erlaub-
niß, eine Kirche zu bauen so groß, als sie
wollten; und ließ noch ein anderes Ferman
ausfertigen, dadurch allen und ieden bey
Lebensstrafe verboten wurde, nur einer Hand
breit aus der öffentlichen Straße abzuweichen
und den Bauern in das Feld zu gehen; oder
denselben nur ein Ey oder Huhn abzunehmen.
Um auch einen Versuch zu machen, wie viel
Vortheil diese Verordnung dem State ein-
bringen werde: befahl derselbe, daß ein ieder
von den Einwohnern für die Vergünstigung
eine Kirche zu bauen ihm ein Huhn geben soll-
te; und bekam auf diese Weise drey und funf-
zig Hühner. Bey seiner Zurückkunft aus dem
Feldzuge mußten die Leute auf seinen Befehl
ihm dieses Geschenk noch einmal bringen;
und da hatte er hundert fünf und zwanzig
Stücke: daher er Gelegenheit nahm, den übri-
gen Weßiren vorzustellen, was für einen Zu-
wachs die müsülmanische Schatzkammer von
guten Anordnungen zu erwarten haben würde.
Bey seiner Rückkunft zu Constantinopel wurde
derselbe durch eine Bittschrift um die Ver-
günstigung ersuchet, die alte Kirche, die da-
selbst stunde, auszubessern, oder eine neue zu
bauen; welche Bitte er auch den Ansuchenden
willig gestattete. Dieses veranlasset einige
Landleute, bey demselben in Demuth um Er-
laubniß anzuhalten, daß sie die Kirche in ih-

tan

Osmaniſche Geſchichte
um einen ſolchen Preis von ihnen erkaufet werden ſollte, als ſie es fuͤr fuͤglich
erachteten.

Der Weßir zie-
het mit ſeinem
Heere auf Bel-grad zu.
45.

Dieſe Anordnungen brachten ihm einen großen Ruhm der Klugheit,
Gerechtigkeit und Heiligkeit zuwege. Hierauf ſchickte er ſich mit großem Ernſte
zu dem Feldzuge; und damit waͤhrend ſeiner Abweſenheit, wegen ſo vieler in den
Sachen gemachten Veraͤnderungen, nicht etwan ein Aufſtand gegen den Sul-
[Spaltenumbruch]

ſten, die dem osmaniſchen Reiche unterworfen
ſind, beliebt machte. In der That ſind auch
faſt alle ſeine Handlungen, imgleichen ſeine
richterlichen Beſcheide, ſo viele offenbare Zeug-
niſſe von ſeiner Billigkeit gegen iedermann
ohne Anſehen ſeiner Religion, und von ſeiner
Statsklugheit; davon es nicht undienlich
ſeyn wird, eines und das andere Beyſpiel hier
anzufuͤhren. Als er bey ſeinem erſten Feld-
zuge, darinnen er Belgrad eroberte, ſein La-
ger nicht weit von Jagodin hatte, einem
großen Dorfe in Bulgarien, und ſahe, daß
daſſelbe beynahe gaͤnzlich wuͤſte und von Ein-
wohnern entbloͤßet war: ſo ließ er zweene
der aͤlteſten Bauern zu ſich fordern, und
fragte ſie; was doch die Urſache ſey, daß ihr
Dorf ſo wuͤſte liege? Dieſe gaben davon
zwo Urſachen an; erſtlich, weil ihre Kirche
abgebrannt ſey, und ihnen die Freyheit nicht
verſtattet werde, eine andere zu bauen: ſo
ſeyen die meiſten Einwohner an andere Oerter
hin gezogen. Zum zweyten habe das Dorf
ſo oft und ſo viele Jahre hinter einander den
Durchzug der osmaniſchen Voͤlker erlitten,
daß der Landmann dadurch verhindert wor-
den ſey, ſein Korn einzuſammeln; daraus
eine Hungersnoth entſtanden, die die uͤbrigen
genoͤthiget habe, ſich hinweg zu begeben.
Hieruͤber wendete ſich der Weßir gegen den
Rejs Efendi, und ſagte: “So wenig als
“ein Muͤſuͤlman da leben kann, da er kei-
“nen Dſchami hat; eben ſo wenig kann
[Spaltenumbruch]
“ein Chriſt gezwungen werden, an einem
“Orte zu wohnen, da keine Kirche iſt.„
So gleich gab er den Einwohnern die Erlaub-
niß, eine Kirche zu bauen ſo groß, als ſie
wollten; und ließ noch ein anderes Ferman
ausfertigen, dadurch allen und ieden bey
Lebensſtrafe verboten wurde, nur einer Hand
breit aus der oͤffentlichen Straße abzuweichen
und den Bauern in das Feld zu gehen; oder
denſelben nur ein Ey oder Huhn abzunehmen.
Um auch einen Verſuch zu machen, wie viel
Vortheil dieſe Verordnung dem State ein-
bringen werde: befahl derſelbe, daß ein ieder
von den Einwohnern fuͤr die Verguͤnſtigung
eine Kirche zu bauen ihm ein Huhn geben ſoll-
te; und bekam auf dieſe Weiſe drey und funf-
zig Huͤhner. Bey ſeiner Zuruͤckkunft aus dem
Feldzuge mußten die Leute auf ſeinen Befehl
ihm dieſes Geſchenk noch einmal bringen;
und da hatte er hundert fuͤnf und zwanzig
Stuͤcke: daher er Gelegenheit nahm, den uͤbri-
gen Weßiren vorzuſtellen, was fuͤr einen Zu-
wachs die muͤſuͤlmaniſche Schatzkammer von
guten Anordnungen zu erwarten haben wuͤrde.
Bey ſeiner Ruͤckkunft zu Conſtantinopel wurde
derſelbe durch eine Bittſchrift um die Ver-
guͤnſtigung erſuchet, die alte Kirche, die da-
ſelbſt ſtunde, auszubeſſern, oder eine neue zu
bauen; welche Bitte er auch den Anſuchenden
willig geſtattete. Dieſes veranlaſſet einige
Landleute, bey demſelben in Demuth um Er-
laubniß anzuhalten, daß ſie die Kirche in ih-

tan
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[598/0708] Osmaniſche Geſchichte um einen ſolchen Preis von ihnen erkaufet werden ſollte, als ſie es fuͤr fuͤglich erachteten. 45. Dieſe Anordnungen brachten ihm einen großen Ruhm der Klugheit, Gerechtigkeit und Heiligkeit zuwege. Hierauf ſchickte er ſich mit großem Ernſte zu dem Feldzuge; und damit waͤhrend ſeiner Abweſenheit, wegen ſo vieler in den Sachen gemachten Veraͤnderungen, nicht etwan ein Aufſtand gegen den Sul- tan ſten, die dem osmaniſchen Reiche unterworfen ſind, beliebt machte. In der That ſind auch faſt alle ſeine Handlungen, imgleichen ſeine richterlichen Beſcheide, ſo viele offenbare Zeug- niſſe von ſeiner Billigkeit gegen iedermann ohne Anſehen ſeiner Religion, und von ſeiner Statsklugheit; davon es nicht undienlich ſeyn wird, eines und das andere Beyſpiel hier anzufuͤhren. Als er bey ſeinem erſten Feld- zuge, darinnen er Belgrad eroberte, ſein La- ger nicht weit von Jagodin hatte, einem großen Dorfe in Bulgarien, und ſahe, daß daſſelbe beynahe gaͤnzlich wuͤſte und von Ein- wohnern entbloͤßet war: ſo ließ er zweene der aͤlteſten Bauern zu ſich fordern, und fragte ſie; was doch die Urſache ſey, daß ihr Dorf ſo wuͤſte liege? Dieſe gaben davon zwo Urſachen an; erſtlich, weil ihre Kirche abgebrannt ſey, und ihnen die Freyheit nicht verſtattet werde, eine andere zu bauen: ſo ſeyen die meiſten Einwohner an andere Oerter hin gezogen. Zum zweyten habe das Dorf ſo oft und ſo viele Jahre hinter einander den Durchzug der osmaniſchen Voͤlker erlitten, daß der Landmann dadurch verhindert wor- den ſey, ſein Korn einzuſammeln; daraus eine Hungersnoth entſtanden, die die uͤbrigen genoͤthiget habe, ſich hinweg zu begeben. Hieruͤber wendete ſich der Weßir gegen den Rejs Efendi, und ſagte: “So wenig als “ein Muͤſuͤlman da leben kann, da er kei- “nen Dſchami hat; eben ſo wenig kann “ein Chriſt gezwungen werden, an einem “Orte zu wohnen, da keine Kirche iſt.„ So gleich gab er den Einwohnern die Erlaub- niß, eine Kirche zu bauen ſo groß, als ſie wollten; und ließ noch ein anderes Ferman ausfertigen, dadurch allen und ieden bey Lebensſtrafe verboten wurde, nur einer Hand breit aus der oͤffentlichen Straße abzuweichen und den Bauern in das Feld zu gehen; oder denſelben nur ein Ey oder Huhn abzunehmen. Um auch einen Verſuch zu machen, wie viel Vortheil dieſe Verordnung dem State ein- bringen werde: befahl derſelbe, daß ein ieder von den Einwohnern fuͤr die Verguͤnſtigung eine Kirche zu bauen ihm ein Huhn geben ſoll- te; und bekam auf dieſe Weiſe drey und funf- zig Huͤhner. Bey ſeiner Zuruͤckkunft aus dem Feldzuge mußten die Leute auf ſeinen Befehl ihm dieſes Geſchenk noch einmal bringen; und da hatte er hundert fuͤnf und zwanzig Stuͤcke: daher er Gelegenheit nahm, den uͤbri- gen Weßiren vorzuſtellen, was fuͤr einen Zu- wachs die muͤſuͤlmaniſche Schatzkammer von guten Anordnungen zu erwarten haben wuͤrde. Bey ſeiner Ruͤckkunft zu Conſtantinopel wurde derſelbe durch eine Bittſchrift um die Ver- guͤnſtigung erſuchet, die alte Kirche, die da- ſelbſt ſtunde, auszubeſſern, oder eine neue zu bauen; welche Bitte er auch den Anſuchenden willig geſtattete. Dieſes veranlaſſet einige Landleute, bey demſelben in Demuth um Er- laubniß anzuhalten, daß ſie die Kirche in ih- rem

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/708>, abgerufen am 22.11.2024.