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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
Hierauf verlassen die Osmanen vor Schrecken Calamita, Passawa und Chie-
lafa; welche Städte die Venetianer sogleich einnehmen und die Festungswerke
derselben schleifen. Nach so vielen glücklichen Eroberungen, die das venetia-
nische Heer gemacht hatte, nahm dasselbe auf dem Rückzuge den Türken noch
Gommenizze ab, eine Stadt in Achajen, Korcyra gegen über gelegen.

Abwechselndes
Glück des Krie-ges.
128.

Mittlerweile hatte Valier Ssing in Dalmatien belagert. Als
aber die Paschen von Bosnien und Erzegowina zum Entsatze desselben heran-
zogen: so befand er sich gegen sie zu schwach, und verließ die Stadt wieder,
nachdem er eine große Anzahl seiner Leute dabey eingebüßet hatte. Die Türken
wurden durch diesen glücklichen Erfolg hochmüthig, und griffen sogleich Duare
an; wurden aber wenige Tage hernach von Valier, der inzwischen frische Völ-
ker zusammengebracht hatte, davor weggeschlagen.

Der Weßir ist
mehr bekümmert
um seine eigene
Wohlfahrt, als
um das Beste
des osmanischenReiches.
129.

Als die Zeitung von diesen Begebenheiten nach Constantinopel kam:
so ist es kaum zu beschreiben, wie sehr dieselbe die Gemüther und Anschläge des
osmanischen Hofes verwirrete; sonderlich aber den obersten Weßir, Kara
[Spaltenumbruch]

72 vor ihm] Es haben sich einige der
berühmtesten Weßire dieses Kunstgriffes bedie-
net, diejenigen Personen, die wegen ihrer Tap-
ferkeit und Tugenden in dem größten Ansehen
stunden, ums Leben zu bringen; damit näm-
lich, wann diese aus dem Wege geräumet
wären, niemand mehr übrig seyn möchte, der
tüchtig wäre, ihre Stelle zu bekleiden. Der
allergeschickteste in diesem Stücke war Kjü-
prili Mehemmed Pascha. Denn nachdem er
von geringem Stande zu der Würde des Weßirs
erhoben worden war: so ließ er innerhalb
sieben Jahre, die er diesem Amte vorstunde,
unter mancherley Vorwande fast alle die alten
Paschen umbringen, die unter Sultan Murad
dem IIII in die Höhe gekommen waren.
Die vornehmsten darunter waren, Sejdi Ogli,
der Vertheidiger von Ungarn gegen die Deut-
schen; und Deli Husejn Pascha, Statthalter
von Dalmatien: zween der vortrefflichsten
und unüberwindlichsten Helden, die das osma-
[Spaltenumbruch]
nische Reich iemals gehabt hat. Nachdem
Mehemmed Pascha von dem Sultane ein Chät-
tischerif erhalten hatte, den letztern umbrin-
gen zu lassen: so erzählet man, daß er ihn
zu sich rufen lassen, und mit threnenden Au-
gen zu ihm gesaget habe: "Siehe, mein
"theurester Bruder, was mir der Sultan
"zu thun befohlen hat! Ich habe zwar
"keine Mühe gesparet, den Sultan zur Gna-
"de zu bewegen; ich habe aber befunden,
"daß er so sehr gegen euch erzürnet ist, daß
"er mein Bitten und Flehen nicht anhören
"wollte. Ich halte also dafür, daß der Tod
"durch die göttliche Vorsehung für euch be-
"stimmet ist; und es gebühret einem Müsül-
"mane, dieselbe lieber in Demuth zu vereh-
"ren, als sich ihr zu widersetzen." Allein,
Husejn Pascha soll darauf folgendes versetzet
haben: Bire hej Dschaßu! Timsah gjibi
Odemi bogarsin; andan songra aglarsin.
"O du alter Hexenmeister! du machst es,

Ibra-

Osmaniſche Geſchichte
Hierauf verlaſſen die Osmanen vor Schrecken Calamita, Paſſawa und Chie-
lafa; welche Staͤdte die Venetianer ſogleich einnehmen und die Feſtungswerke
derſelben ſchleifen. Nach ſo vielen gluͤcklichen Eroberungen, die das venetia-
niſche Heer gemacht hatte, nahm daſſelbe auf dem Ruͤckzuge den Tuͤrken noch
Gommenizze ab, eine Stadt in Achajen, Korcyra gegen uͤber gelegen.

Abwechſelndes
Gluͤck des Krie-ges.
128.

Mittlerweile hatte Valier Sſing in Dalmatien belagert. Als
aber die Paſchen von Bosnien und Erzegowina zum Entſatze deſſelben heran-
zogen: ſo befand er ſich gegen ſie zu ſchwach, und verließ die Stadt wieder,
nachdem er eine große Anzahl ſeiner Leute dabey eingebuͤßet hatte. Die Tuͤrken
wurden durch dieſen gluͤcklichen Erfolg hochmuͤthig, und griffen ſogleich Duare
an; wurden aber wenige Tage hernach von Valier, der inzwiſchen friſche Voͤl-
ker zuſammengebracht hatte, davor weggeſchlagen.

Der Weßir iſt
mehr bekuͤmmert
um ſeine eigene
Wohlfahrt, als
um das Beſte
des osmaniſchenReiches.
129.

Als die Zeitung von dieſen Begebenheiten nach Conſtantinopel kam:
ſo iſt es kaum zu beſchreiben, wie ſehr dieſelbe die Gemuͤther und Anſchlaͤge des
osmaniſchen Hofes verwirrete; ſonderlich aber den oberſten Weßir, Kara
[Spaltenumbruch]

72 vor ihm] Es haben ſich einige der
beruͤhmteſten Weßire dieſes Kunſtgriffes bedie-
net, diejenigen Perſonen, die wegen ihrer Tap-
ferkeit und Tugenden in dem groͤßten Anſehen
ſtunden, ums Leben zu bringen; damit naͤm-
lich, wann dieſe aus dem Wege geraͤumet
waͤren, niemand mehr uͤbrig ſeyn moͤchte, der
tuͤchtig waͤre, ihre Stelle zu bekleiden. Der
allergeſchickteſte in dieſem Stuͤcke war Kjuͤ-
prili Mehemmed Paſcha. Denn nachdem er
von geringem Stande zu der Wuͤrde des Weßirs
erhoben worden war: ſo ließ er innerhalb
ſieben Jahre, die er dieſem Amte vorſtunde,
unter mancherley Vorwande faſt alle die alten
Paſchen umbringen, die unter Sultan Murad
dem IIII in die Hoͤhe gekommen waren.
Die vornehmſten darunter waren, Sejdi Ogli,
der Vertheidiger von Ungarn gegen die Deut-
ſchen; und Deli Huſejn Paſcha, Statthalter
von Dalmatien: zween der vortrefflichſten
und unuͤberwindlichſten Helden, die das osma-
[Spaltenumbruch]
niſche Reich iemals gehabt hat. Nachdem
Mehemmed Paſcha von dem Sultane ein Chaͤt-
tiſcherif erhalten hatte, den letztern umbrin-
gen zu laſſen: ſo erzaͤhlet man, daß er ihn
zu ſich rufen laſſen, und mit threnenden Au-
gen zu ihm geſaget habe: “Siehe, mein
“theureſter Bruder, was mir der Sultan
“zu thun befohlen hat! Ich habe zwar
“keine Muͤhe geſparet, den Sultan zur Gna-
“de zu bewegen; ich habe aber befunden,
“daß er ſo ſehr gegen euch erzuͤrnet iſt, daß
“er mein Bitten und Flehen nicht anhoͤren
“wollte. Ich halte alſo dafuͤr, daß der Tod
“durch die goͤttliche Vorſehung fuͤr euch be-
“ſtimmet iſt; und es gebuͤhret einem Muͤſuͤl-
“mane, dieſelbe lieber in Demuth zu vereh-
“ren, als ſich ihr zu widerſetzen.„ Allein,
Huſejn Paſcha ſoll darauf folgendes verſetzet
haben: Bire hej Dſchaßu! Timſah gjibi
Odemi bogarſin; andan ſongra aglarſin.
“O du alter Hexenmeiſter! du machſt es,

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[514/0622] Osmaniſche Geſchichte Hierauf verlaſſen die Osmanen vor Schrecken Calamita, Paſſawa und Chie- lafa; welche Staͤdte die Venetianer ſogleich einnehmen und die Feſtungswerke derſelben ſchleifen. Nach ſo vielen gluͤcklichen Eroberungen, die das venetia- niſche Heer gemacht hatte, nahm daſſelbe auf dem Ruͤckzuge den Tuͤrken noch Gommenizze ab, eine Stadt in Achajen, Korcyra gegen uͤber gelegen. 128. Mittlerweile hatte Valier Sſing in Dalmatien belagert. Als aber die Paſchen von Bosnien und Erzegowina zum Entſatze deſſelben heran- zogen: ſo befand er ſich gegen ſie zu ſchwach, und verließ die Stadt wieder, nachdem er eine große Anzahl ſeiner Leute dabey eingebuͤßet hatte. Die Tuͤrken wurden durch dieſen gluͤcklichen Erfolg hochmuͤthig, und griffen ſogleich Duare an; wurden aber wenige Tage hernach von Valier, der inzwiſchen friſche Voͤl- ker zuſammengebracht hatte, davor weggeſchlagen. 129. Als die Zeitung von dieſen Begebenheiten nach Conſtantinopel kam: ſo iſt es kaum zu beſchreiben, wie ſehr dieſelbe die Gemuͤther und Anſchlaͤge des osmaniſchen Hofes verwirrete; ſonderlich aber den oberſten Weßir, Kara Ibra- ⁷² vor ihm] Es haben ſich einige der beruͤhmteſten Weßire dieſes Kunſtgriffes bedie- net, diejenigen Perſonen, die wegen ihrer Tap- ferkeit und Tugenden in dem groͤßten Anſehen ſtunden, ums Leben zu bringen; damit naͤm- lich, wann dieſe aus dem Wege geraͤumet waͤren, niemand mehr uͤbrig ſeyn moͤchte, der tuͤchtig waͤre, ihre Stelle zu bekleiden. Der allergeſchickteſte in dieſem Stuͤcke war Kjuͤ- prili Mehemmed Paſcha. Denn nachdem er von geringem Stande zu der Wuͤrde des Weßirs erhoben worden war: ſo ließ er innerhalb ſieben Jahre, die er dieſem Amte vorſtunde, unter mancherley Vorwande faſt alle die alten Paſchen umbringen, die unter Sultan Murad dem IIII in die Hoͤhe gekommen waren. Die vornehmſten darunter waren, Sejdi Ogli, der Vertheidiger von Ungarn gegen die Deut- ſchen; und Deli Huſejn Paſcha, Statthalter von Dalmatien: zween der vortrefflichſten und unuͤberwindlichſten Helden, die das osma- niſche Reich iemals gehabt hat. Nachdem Mehemmed Paſcha von dem Sultane ein Chaͤt- tiſcherif erhalten hatte, den letztern umbrin- gen zu laſſen: ſo erzaͤhlet man, daß er ihn zu ſich rufen laſſen, und mit threnenden Au- gen zu ihm geſaget habe: “Siehe, mein “theureſter Bruder, was mir der Sultan “zu thun befohlen hat! Ich habe zwar “keine Muͤhe geſparet, den Sultan zur Gna- “de zu bewegen; ich habe aber befunden, “daß er ſo ſehr gegen euch erzuͤrnet iſt, daß “er mein Bitten und Flehen nicht anhoͤren “wollte. Ich halte alſo dafuͤr, daß der Tod “durch die goͤttliche Vorſehung fuͤr euch be- “ſtimmet iſt; und es gebuͤhret einem Muͤſuͤl- “mane, dieſelbe lieber in Demuth zu vereh- “ren, als ſich ihr zu widerſetzen.„ Allein, Huſejn Paſcha ſoll darauf folgendes verſetzet haben: Bire hej Dſchaßu! Timſah gjibi Odemi bogarſin; andan ſongra aglarſin. “O du alter Hexenmeiſter! du machſt es, “wie

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/622>, abgerufen am 22.11.2024.