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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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19. Muhämmed der IIII
Ibrahim Pascha. Dieser war nicht allein wegen der allgemeinen Gefahr be-
sorgt (denn nachdem die vornehmsten Festungen in Ungarn verloren gegangen,
und das osmanische Heer geschlagen war: so schiene es, daß die Deutschen
wenige Hinderniß mehr vor sich hätten, das ganze Königreich nebst der Haupt-
stadt desselben unter ihre Gewalt zu bringen); sondern er befürchtete dasjenige
Schicksal, das ihm selbst drohete, und das bey öffentlichen Unglücksfällen, wie
ihm wohl bewußt war, den Weßiren selten günstig zu seyn pflegte. Er hatte
sein Ansehen durch den Entsatz von Ofen erhalten, und auch so gar befestiget:
und der Sultan war nicht im geringsten ungehalten, daß derselbe wegen einer
wirklichen oder vorgegebenen Unbäßlichkeit zu Hause bliebe; so lange das Reich
anderwärts keinen Nachtheil davon hatte. Allein, er sahe voraus, daß man
endlich alle diese Ausflüchte für ungültig achten, und ihn anhalten würde, die
Befehlhabung über das Kriegesheer zu übernehmen; vielleicht auch, daß man
ihn, wegen des schlechten Erfolges des dießjährigen Feldzuges, wol gar seiner
Würde entsetzen würde. Nicht mehr als ein einziger Ausweg blieb übrig, den
auch andere Weßire vor ihm 72 genommen hatten: nämlich alle diejenigen, die
wegen ihrer Kriegserfahrenheit in dem Reiche im Ansehen stunden, aus dem
[Spaltenumbruch]
"wie das Krokodil: du bringest erst den
"Menschen um; und hernach weinest du
"über seinen Leichnam." Hierauf zog er
eine güldene Schachtel aus dem Busen, dar-
innen er vier und zwanzig Stücklein Knochen
verwahrete, die ihm die Wundärzte aus sei-
nen Wunden genommen hatten, und warf sie
demselben mit diesen Worten ins Angesicht:
Ben bu Wißarete we Saltänete Dewleti se-
nüng gjibi Sihirbaßlik ile Dschadilik ile najil
olmadüm; illa ben Dewlete Sädakät ile we
Kanümüng dökjilmisch ile pejda ejledüm.
Bundan songra senüng gjibi bir Gjawur Ba-
schümi dachi kätl: idüp Ajaklarümi Anang-
üng Amüng-e sok. Das ist: "Ich bin
"zu diesem Amte eines Weßirs und zu der
"Glückseligkeit meiner Gewalt gelanget,
"nicht wie du, durch mancherley Zauber-
"künste; sondern durch meine treuen Dien-
"ste und durch Vergießung meines Blutes.
"So haue mir dann nur den Kopf ab, wie
[Spaltenumbruch]
"ein Ketzer thut, wenn es dir so gefällt;
"meine Füße aber stecke in deiner Mutter
"Fotze." Husejn Pascha war ehedem Si-
lahtar unter Murad dem IIII gewesen, und
bey diesem so sehr in Gnaden gestanden, daß
derselbe nichts thun noch beschließen wollte,
ohne ihn vorher um seine Meinung zu fragen.
Nebst andern ansehnlichen Tugenden war er
sonderlich berühmt wegen seiner unüberwind-
lichen Standhaftigkeit, sowol in Glücks- als
Unglücksfällen; wegen seines fertigen Ver-
standes, seiner Beredtsamkeit und Behendig-
keit im Antworten. Man hat viele herrli-
chen Thaten und Reden von ihm aufgezeich-
net, davon ich nur einige wenige anführen
will; sonst möchte diese Anmerkung zu weit-
läuftig werden. Einmal befiehlet ihm der
Sultan Murad im Scherze, ein altes Weib
von siebenzig Jahren aus dem Palaste zu hei-
raten; mit dem gemessenen Verbote, keine
Beyschläferinn dabey zu halten. Er gehor-

Wege
3 T 2

19. Muhaͤmmed der IIII
Ibrahim Paſcha. Dieſer war nicht allein wegen der allgemeinen Gefahr be-
ſorgt (denn nachdem die vornehmſten Feſtungen in Ungarn verloren gegangen,
und das osmaniſche Heer geſchlagen war: ſo ſchiene es, daß die Deutſchen
wenige Hinderniß mehr vor ſich haͤtten, das ganze Koͤnigreich nebſt der Haupt-
ſtadt deſſelben unter ihre Gewalt zu bringen); ſondern er befuͤrchtete dasjenige
Schickſal, das ihm ſelbſt drohete, und das bey oͤffentlichen Ungluͤcksfaͤllen, wie
ihm wohl bewußt war, den Weßiren ſelten guͤnſtig zu ſeyn pflegte. Er hatte
ſein Anſehen durch den Entſatz von Ofen erhalten, und auch ſo gar befeſtiget:
und der Sultan war nicht im geringſten ungehalten, daß derſelbe wegen einer
wirklichen oder vorgegebenen Unbaͤßlichkeit zu Hauſe bliebe; ſo lange das Reich
anderwaͤrts keinen Nachtheil davon hatte. Allein, er ſahe voraus, daß man
endlich alle dieſe Ausfluͤchte fuͤr unguͤltig achten, und ihn anhalten wuͤrde, die
Befehlhabung uͤber das Kriegesheer zu uͤbernehmen; vielleicht auch, daß man
ihn, wegen des ſchlechten Erfolges des dießjaͤhrigen Feldzuges, wol gar ſeiner
Wuͤrde entſetzen wuͤrde. Nicht mehr als ein einziger Ausweg blieb uͤbrig, den
auch andere Weßire vor ihm 72 genommen hatten: naͤmlich alle diejenigen, die
wegen ihrer Kriegserfahrenheit in dem Reiche im Anſehen ſtunden, aus dem
[Spaltenumbruch]
“wie das Krokodil: du bringeſt erſt den
“Menſchen um; und hernach weineſt du
“uͤber ſeinen Leichnam.„ Hierauf zog er
eine guͤldene Schachtel aus dem Buſen, dar-
innen er vier und zwanzig Stuͤcklein Knochen
verwahrete, die ihm die Wundaͤrzte aus ſei-
nen Wunden genommen hatten, und warf ſie
demſelben mit dieſen Worten ins Angeſicht:
Ben bu Wißarete we Saltaͤnete Dewleti ſe-
nuͤng gjibi Sihirbaßlik ile Dſchadilik ile najil
olmaduͤm; illa ben Dewlete Saͤdakaͤt ile we
Kanuͤmuͤng doͤkjilmiſch ile pejda ejleduͤm.
Bundan ſongra ſenuͤng gjibi bir Gjawur Ba-
ſchuͤmi dachi kaͤtl: iduͤp Ajaklaruͤmi Anang-
uͤng Amuͤng-e ſok. Das iſt: “Ich bin
“zu dieſem Amte eines Weßirs und zu der
“Gluͤckſeligkeit meiner Gewalt gelanget,
“nicht wie du, durch mancherley Zauber-
“kuͤnſte; ſondern durch meine treuen Dien-
“ſte und durch Vergießung meines Blutes.
“So haue mir dann nur den Kopf ab, wie
[Spaltenumbruch]
“ein Ketzer thut, wenn es dir ſo gefaͤllt;
“meine Fuͤße aber ſtecke in deiner Mutter
“Fotze.„ Huſejn Paſcha war ehedem Si-
lahtar unter Murad dem IIII geweſen, und
bey dieſem ſo ſehr in Gnaden geſtanden, daß
derſelbe nichts thun noch beſchließen wollte,
ohne ihn vorher um ſeine Meinung zu fragen.
Nebſt andern anſehnlichen Tugenden war er
ſonderlich beruͤhmt wegen ſeiner unuͤberwind-
lichen Standhaftigkeit, ſowol in Gluͤcks- als
Ungluͤcksfaͤllen; wegen ſeines fertigen Ver-
ſtandes, ſeiner Beredtſamkeit und Behendig-
keit im Antworten. Man hat viele herrli-
chen Thaten und Reden von ihm aufgezeich-
net, davon ich nur einige wenige anfuͤhren
will; ſonſt moͤchte dieſe Anmerkung zu weit-
laͤuftig werden. Einmal befiehlet ihm der
Sultan Murad im Scherze, ein altes Weib
von ſiebenzig Jahren aus dem Palaſte zu hei-
raten; mit dem gemeſſenen Verbote, keine
Beyſchlaͤferinn dabey zu halten. Er gehor-

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3 T 2
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[515/0623] 19. Muhaͤmmed der IIII Ibrahim Paſcha. Dieſer war nicht allein wegen der allgemeinen Gefahr be- ſorgt (denn nachdem die vornehmſten Feſtungen in Ungarn verloren gegangen, und das osmaniſche Heer geſchlagen war: ſo ſchiene es, daß die Deutſchen wenige Hinderniß mehr vor ſich haͤtten, das ganze Koͤnigreich nebſt der Haupt- ſtadt deſſelben unter ihre Gewalt zu bringen); ſondern er befuͤrchtete dasjenige Schickſal, das ihm ſelbſt drohete, und das bey oͤffentlichen Ungluͤcksfaͤllen, wie ihm wohl bewußt war, den Weßiren ſelten guͤnſtig zu ſeyn pflegte. Er hatte ſein Anſehen durch den Entſatz von Ofen erhalten, und auch ſo gar befeſtiget: und der Sultan war nicht im geringſten ungehalten, daß derſelbe wegen einer wirklichen oder vorgegebenen Unbaͤßlichkeit zu Hauſe bliebe; ſo lange das Reich anderwaͤrts keinen Nachtheil davon hatte. Allein, er ſahe voraus, daß man endlich alle dieſe Ausfluͤchte fuͤr unguͤltig achten, und ihn anhalten wuͤrde, die Befehlhabung uͤber das Kriegesheer zu uͤbernehmen; vielleicht auch, daß man ihn, wegen des ſchlechten Erfolges des dießjaͤhrigen Feldzuges, wol gar ſeiner Wuͤrde entſetzen wuͤrde. Nicht mehr als ein einziger Ausweg blieb uͤbrig, den auch andere Weßire vor ihm ⁷² genommen hatten: naͤmlich alle diejenigen, die wegen ihrer Kriegserfahrenheit in dem Reiche im Anſehen ſtunden, aus dem Wege “wie das Krokodil: du bringeſt erſt den “Menſchen um; und hernach weineſt du “uͤber ſeinen Leichnam.„ Hierauf zog er eine guͤldene Schachtel aus dem Buſen, dar- innen er vier und zwanzig Stuͤcklein Knochen verwahrete, die ihm die Wundaͤrzte aus ſei- nen Wunden genommen hatten, und warf ſie demſelben mit dieſen Worten ins Angeſicht: Ben bu Wißarete we Saltaͤnete Dewleti ſe- nuͤng gjibi Sihirbaßlik ile Dſchadilik ile najil olmaduͤm; illa ben Dewlete Saͤdakaͤt ile we Kanuͤmuͤng doͤkjilmiſch ile pejda ejleduͤm. Bundan ſongra ſenuͤng gjibi bir Gjawur Ba- ſchuͤmi dachi kaͤtl: iduͤp Ajaklaruͤmi Anang- uͤng Amuͤng-e ſok. Das iſt: “Ich bin “zu dieſem Amte eines Weßirs und zu der “Gluͤckſeligkeit meiner Gewalt gelanget, “nicht wie du, durch mancherley Zauber- “kuͤnſte; ſondern durch meine treuen Dien- “ſte und durch Vergießung meines Blutes. “So haue mir dann nur den Kopf ab, wie “ein Ketzer thut, wenn es dir ſo gefaͤllt; “meine Fuͤße aber ſtecke in deiner Mutter “Fotze.„ Huſejn Paſcha war ehedem Si- lahtar unter Murad dem IIII geweſen, und bey dieſem ſo ſehr in Gnaden geſtanden, daß derſelbe nichts thun noch beſchließen wollte, ohne ihn vorher um ſeine Meinung zu fragen. Nebſt andern anſehnlichen Tugenden war er ſonderlich beruͤhmt wegen ſeiner unuͤberwind- lichen Standhaftigkeit, ſowol in Gluͤcks- als Ungluͤcksfaͤllen; wegen ſeines fertigen Ver- ſtandes, ſeiner Beredtſamkeit und Behendig- keit im Antworten. Man hat viele herrli- chen Thaten und Reden von ihm aufgezeich- net, davon ich nur einige wenige anfuͤhren will; ſonſt moͤchte dieſe Anmerkung zu weit- laͤuftig werden. Einmal befiehlet ihm der Sultan Murad im Scherze, ein altes Weib von ſiebenzig Jahren aus dem Palaſte zu hei- raten; mit dem gemeſſenen Verbote, keine Beyſchlaͤferinn dabey zu halten. Er gehor- chet 3 T 2

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/623>, abgerufen am 22.11.2024.