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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
und Unschuldige, umbringen sollten. Allein der Weßir Ibrahim Pascha legte
eine Fürbitte für sie ein, und erhielte durch sein Ansehen bey dem Kaiser, daß
nur die Vornehmsten und Häupter der Verschwerung mit mancherley Arten
der Todesstrafe beleget; das gemeine Volk aber, weil dasselbe durch die Ver-
schwornen mehr verleitet worden war, als an dem Verbrechen für sich selbst
Theil genommen hatte, nach Rhodes verbannet wurde.

Sülejman wird
durch einen Re-
gen an seinem
Feldzuge nach
Ungarn verhin-dert:
15.

Mittlerweile, da Sülejman solchergestalt mit einheimischen Sachen
beschäfftiget war, nahm Alaman Kirali 23 gegen das Ende des Jahres dem Kö-
nige Johann in Ungarn 24 die Stadt Ofen weg, und verstärkte dieselbe mit neuen
Werken und einer deutschen Besatzung. Sülejman zog daher, um das Un-
recht, das einem unter seinem Schutze stehenden Könige wiederfahren war, zu rä-
H. 935.



J. C. 1528.chen, im Jahre 935 mit einem großen Kriegesheere von Constantinopel aus,
[Spaltenumbruch]
23 Alaman Kirali] Dieses ist der Ti-
tel, den die Türken vor diesem dem Kaiser
in Deutschland gaben. Heutiges Tages aber
wird derselbe in ihren Schreiben mit den Be-
nennungen Nemtsche Kirali, König der Deut-
schen, und Tschasar, Kaiser, imgleichen Ro-
ma Imperadori, beehret.
24 Könige ... in Ungarn] Wie
treulos Sülejman die ihm anvertraute Vor-
mundschaft verwaltet, und wie er, nach Ver-
treibung der Königinn und ihres Sohnes Le-
bessus oder Logosch Sandschak, sich des Kö-
nigreichs Ungarn auf einmal bemächtiget habe,
das ist viel zu wohl bekannt, als daß es einer
weitern Erzählung bedürfte. Inzwischen
wird es nicht undienlich seyn, die Abscheulich-
keit dieses Verraths desto besser einzusehen,
folgende Geschichte hier beyzufügen, wie sie
von den Türken selbst erzählet wird. Als
nach König Johanns Tode Sülejman ersu-
chet wurde, Ofen von den Deutschen zu be-
freyen: so kam der junge König in Beglei-
tung des ungarischen Adels, auf sehr ehrer-
bietige Weise, zu demselben in das Lager, ihm
[Spaltenumbruch]
seinen Besuch abzustatten. Der Sultan ließ
eine Malzeit zubereiten, und befahl dem
Weßire, die Edelleute zu sich zu bitten; und
seinem Sohne Selim gab er Befehl, den jun-
gen König zum Mittagsessen einzuladen, und
bediente sich dabey der Worte: "Bedenke,
"mein Sohn, ich bin dein natürlicher, und
"dessen sein Ochiret*, das ist (Vater) der
"andern Welt, oder geistlicher Vater.
"Wenn ich sterbe: so liebe ihn als deinen
"Bruder, und trage für ihn und sein Reich
"aufrichtige Sorgfalt." Nachdem die Be-
wirthung vorbey war: so sagte der Weßir
zu dem Sultan; "Siehe, großmächtigster
"Kaiser! heute stehet es in deiner Gewalt,
"mit einem einzigen Schwertstreiche dir
"das ganze Königreich Ungarn unterwürfig
"zu machen." Der Sultan wurde über
dieser Rede des Weßirs höchlich entrüstet,
oder stellete sich wenigstens, als wenn er es
wäre, und sagte darauf: "Wahrlich!
"das osmanische Reich muß nicht durch Ver-
"rath, Betrug, Treulosigkeit, noch unge-
"rechte Ermordung solcher Fürsten, die um
"Schutz anhalten, ausgebreitet werden;

und
* nämlich Babasi.

Osmaniſche Geſchichte
und Unſchuldige, umbringen ſollten. Allein der Weßir Ibrahim Paſcha legte
eine Fuͤrbitte fuͤr ſie ein, und erhielte durch ſein Anſehen bey dem Kaiſer, daß
nur die Vornehmſten und Haͤupter der Verſchwerung mit mancherley Arten
der Todesſtrafe beleget; das gemeine Volk aber, weil daſſelbe durch die Ver-
ſchwornen mehr verleitet worden war, als an dem Verbrechen fuͤr ſich ſelbſt
Theil genommen hatte, nach Rhodes verbannet wurde.

Suͤlejman wird
durch einen Re-
gen an ſeinem
Feldzuge nach
Ungarn verhin-dert:
15.

Mittlerweile, da Suͤlejman ſolchergeſtalt mit einheimiſchen Sachen
beſchaͤfftiget war, nahm Alaman Kirali 23 gegen das Ende des Jahres dem Koͤ-
nige Johann in Ungarn 24 die Stadt Ofen weg, und verſtaͤrkte dieſelbe mit neuen
Werken und einer deutſchen Beſatzung. Suͤlejman zog daher, um das Un-
recht, das einem unter ſeinem Schutze ſtehenden Koͤnige wiederfahren war, zu raͤ-
H. 935.



J. C. 1528.chen, im Jahre 935 mit einem großen Kriegesheere von Conſtantinopel aus,
[Spaltenumbruch]
23 Alaman Kirali] Dieſes iſt der Ti-
tel, den die Tuͤrken vor dieſem dem Kaiſer
in Deutſchland gaben. Heutiges Tages aber
wird derſelbe in ihren Schreiben mit den Be-
nennungen Nemtſche Kirali, Koͤnig der Deut-
ſchen, und Tſchaſar, Kaiſer, imgleichen Ro-
ma Imperadori, beehret.
24 Koͤnige ... in Ungarn] Wie
treulos Suͤlejman die ihm anvertraute Vor-
mundſchaft verwaltet, und wie er, nach Ver-
treibung der Koͤniginn und ihres Sohnes Le-
beſſus oder Logoſch Sandſchak, ſich des Koͤ-
nigreichs Ungarn auf einmal bemaͤchtiget habe,
das iſt viel zu wohl bekannt, als daß es einer
weitern Erzaͤhlung beduͤrfte. Inzwiſchen
wird es nicht undienlich ſeyn, die Abſcheulich-
keit dieſes Verraths deſto beſſer einzuſehen,
folgende Geſchichte hier beyzufuͤgen, wie ſie
von den Tuͤrken ſelbſt erzaͤhlet wird. Als
nach Koͤnig Johanns Tode Suͤlejman erſu-
chet wurde, Ofen von den Deutſchen zu be-
freyen: ſo kam der junge Koͤnig in Beglei-
tung des ungariſchen Adels, auf ſehr ehrer-
bietige Weiſe, zu demſelben in das Lager, ihm
[Spaltenumbruch]
ſeinen Beſuch abzuſtatten. Der Sultan ließ
eine Malzeit zubereiten, und befahl dem
Weßire, die Edelleute zu ſich zu bitten; und
ſeinem Sohne Selim gab er Befehl, den jun-
gen Koͤnig zum Mittagseſſen einzuladen, und
bediente ſich dabey der Worte: “Bedenke,
“mein Sohn, ich bin dein natuͤrlicher, und
“deſſen ſein Ochiret*, das iſt (Vater) der
“andern Welt, oder geiſtlicher Vater.
“Wenn ich ſterbe: ſo liebe ihn als deinen
“Bruder, und trage fuͤr ihn und ſein Reich
“aufrichtige Sorgfalt.„ Nachdem die Be-
wirthung vorbey war: ſo ſagte der Weßir
zu dem Sultan; “Siehe, großmaͤchtigſter
“Kaiſer! heute ſtehet es in deiner Gewalt,
“mit einem einzigen Schwertſtreiche dir
“das ganze Koͤnigreich Ungarn unterwuͤrfig
“zu machen.„ Der Sultan wurde uͤber
dieſer Rede des Weßirs hoͤchlich entruͤſtet,
oder ſtellete ſich wenigſtens, als wenn er es
waͤre, und ſagte darauf: “Wahrlich!
“das osmaniſche Reich muß nicht durch Ver-
“rath, Betrug, Treuloſigkeit, noch unge-
“rechte Ermordung ſolcher Fuͤrſten, die um
“Schutz anhalten, ausgebreitet werden;

und
* naͤmlich Babaſi.
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[276/0366] Osmaniſche Geſchichte und Unſchuldige, umbringen ſollten. Allein der Weßir Ibrahim Paſcha legte eine Fuͤrbitte fuͤr ſie ein, und erhielte durch ſein Anſehen bey dem Kaiſer, daß nur die Vornehmſten und Haͤupter der Verſchwerung mit mancherley Arten der Todesſtrafe beleget; das gemeine Volk aber, weil daſſelbe durch die Ver- ſchwornen mehr verleitet worden war, als an dem Verbrechen fuͤr ſich ſelbſt Theil genommen hatte, nach Rhodes verbannet wurde. 15. Mittlerweile, da Suͤlejman ſolchergeſtalt mit einheimiſchen Sachen beſchaͤfftiget war, nahm Alaman Kirali ²³ gegen das Ende des Jahres dem Koͤ- nige Johann in Ungarn ²⁴ die Stadt Ofen weg, und verſtaͤrkte dieſelbe mit neuen Werken und einer deutſchen Beſatzung. Suͤlejman zog daher, um das Un- recht, das einem unter ſeinem Schutze ſtehenden Koͤnige wiederfahren war, zu raͤ- chen, im Jahre 935 mit einem großen Kriegesheere von Conſtantinopel aus, und ²³ Alaman Kirali] Dieſes iſt der Ti- tel, den die Tuͤrken vor dieſem dem Kaiſer in Deutſchland gaben. Heutiges Tages aber wird derſelbe in ihren Schreiben mit den Be- nennungen Nemtſche Kirali, Koͤnig der Deut- ſchen, und Tſchaſar, Kaiſer, imgleichen Ro- ma Imperadori, beehret. ²⁴ Koͤnige ... in Ungarn] Wie treulos Suͤlejman die ihm anvertraute Vor- mundſchaft verwaltet, und wie er, nach Ver- treibung der Koͤniginn und ihres Sohnes Le- beſſus oder Logoſch Sandſchak, ſich des Koͤ- nigreichs Ungarn auf einmal bemaͤchtiget habe, das iſt viel zu wohl bekannt, als daß es einer weitern Erzaͤhlung beduͤrfte. Inzwiſchen wird es nicht undienlich ſeyn, die Abſcheulich- keit dieſes Verraths deſto beſſer einzuſehen, folgende Geſchichte hier beyzufuͤgen, wie ſie von den Tuͤrken ſelbſt erzaͤhlet wird. Als nach Koͤnig Johanns Tode Suͤlejman erſu- chet wurde, Ofen von den Deutſchen zu be- freyen: ſo kam der junge Koͤnig in Beglei- tung des ungariſchen Adels, auf ſehr ehrer- bietige Weiſe, zu demſelben in das Lager, ihm ſeinen Beſuch abzuſtatten. Der Sultan ließ eine Malzeit zubereiten, und befahl dem Weßire, die Edelleute zu ſich zu bitten; und ſeinem Sohne Selim gab er Befehl, den jun- gen Koͤnig zum Mittagseſſen einzuladen, und bediente ſich dabey der Worte: “Bedenke, “mein Sohn, ich bin dein natuͤrlicher, und “deſſen ſein Ochiret *, das iſt (Vater) der “andern Welt, oder geiſtlicher Vater. “Wenn ich ſterbe: ſo liebe ihn als deinen “Bruder, und trage fuͤr ihn und ſein Reich “aufrichtige Sorgfalt.„ Nachdem die Be- wirthung vorbey war: ſo ſagte der Weßir zu dem Sultan; “Siehe, großmaͤchtigſter “Kaiſer! heute ſtehet es in deiner Gewalt, “mit einem einzigen Schwertſtreiche dir “das ganze Koͤnigreich Ungarn unterwuͤrfig “zu machen.„ Der Sultan wurde uͤber dieſer Rede des Weßirs hoͤchlich entruͤſtet, oder ſtellete ſich wenigſtens, als wenn er es waͤre, und ſagte darauf: “Wahrlich! “das osmaniſche Reich muß nicht durch Ver- “rath, Betrug, Treuloſigkeit, noch unge- “rechte Ermordung ſolcher Fuͤrſten, die um “Schutz anhalten, ausgebreitet werden; “ſon- H. 935. J. C. 1528. * naͤmlich Babaſi.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/366>, abgerufen am 22.11.2024.