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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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9. Selim der I
sollten verrichtet werden. Den fernern Fortgang seiner Waffen verhinderte
die Theurung des Getreides, die dadurch verursachet wurde, daß die Feinde
die benachbarten Länder verwüsteten, um dem türkischen Heere den Unterhalt
zu benehmen. Weil also der Ueberwinder sahe, daß er ohne großes Ungemach
an diesem Orte nicht bleiben konnte: so ließ er eine starke Besatzung in Tibris,
und kehrete wieder nach Amasia zurück. Die Truppen wurden in die Win-
terläger so enge, als es möglich war, zusammen geleget, damit sie bey dem künf-
tigen Feldzuge desto eher bey der Hand seyn möchten. Von hier sendete er nach
Constantinopel, zum Zeichen des Sieges, Husejn 14, Bikarars Sohn, der aus
einem sehr edlen persischen Geschlechte entsprungen war, nebst noch vielen andern
[Spaltenumbruch]
Dinge erzählten. Der Feldherr befahl zwar,
daß man diese Tatarn fleißig aufsuchen sollte:
man konnte sie aber unter so vielen Ordi
nicht ausfündig machen. Inzwischen beför-
derte er den Officier, nachdem sein Bart wie-
der gewachsen war, und machte ihn zu sei-
nem Stallmeister, verehrete ihm auch ansehn-
liche Geschenke. Auf diese Art stehlen die
Tatarn auch öfters türkische Kinder, und
verkaufen sie hernach für russische. Denn,
was die Treulosigkeit und Arglist betrifft:
darinnen kommt ihnen kein Volk in der
Welt bey.
14 Husein] der Mecönas der morgen-
ländischen Musikverständigen. Er hatte die
größte Hochachtung gegen Chodsche Musikar,
den Orpheus der Perser, und dessen Schüler
Gulam, den Araber. Die ganze Türkey und
Persien ergetzte sich an ihren Stücken und Ge-
sängen, bis auf die Zeit des Sultan Muhäm-
meds, unter dessen Regierung die Musikkunst,
die beynahe vergessen war, durch Osman
Efendi, einen edlen Constantinopeler, nicht
allein wieder in Gang gebracht, sondern auch
zu mehrerer Vollkommenheit erhoben wurde.
[Spaltenumbruch]
Dieser hinterließ viele Schüler, unter denen
der Stimme wegen berühmt waren, Chafiß,
mit dem Zunamen Kjömür (eine Kohle),
Buhürdschi Ogli, Memisch Aga, Kjutschükj
Müeßßin, und Despihtschi Emir: in Instru-
menten aber thaten sich zween Griechen her-
vor, Kjemani Aehmed, ein Abgefallener, und
Angeli, ein Rechtglaubiger (welche beyde funf-
zehen Jahre lang meine Lehrmeister gewesen
sind); imgleichen Tschelebiko, ein Jude, und
unter den Türken, Derwisch Osman, und
dessen Schüler, Kurschundschi* Ogli; imglei-
chen Taschtschi2* Ogli, Sinik3* Mehemmed,
und Bardaktschi4* Mehemmed Tschelebi. Die-
se beyden letztern, nachdem sie bereits bey ei-
nem, Kamboso Mehemmed Aga, gelernet hat-
ten, wurden nachgehends nebst Ralaki Eu-
pragiote, einem Griechen von Adel aus Con-
stantinopel, von mir in einigen Theilen der
Musik unterrichtet, sonderlich in den Lehr-
sätzen derselben und einer neuen Lehrart von
meiner Erfindung, die Gesänge und Stücke
durch Noten auszudrücken, die vorher den
Türken unbekannt gewesen war. Ich hatte
auch zu Schülern, sowol in den Lehrsätzen,
als Ausübung der Musik, Dawul5* Ismäil

Ge-
* der Bleygießer.
2* der Steinhauer.
3* der Gebrechliche.
4* der Krugträ-
ger. Ist ein Bedienter an dem türkischen Hofe, der dem Kaiser auf der Reise einen irdenen Krug
mit Wasser zu Pferde nachführet. Er wird sonst Kjüptar genennet.
5* eine Trommel.
2 F

9. Selim der I
ſollten verrichtet werden. Den fernern Fortgang ſeiner Waffen verhinderte
die Theurung des Getreides, die dadurch verurſachet wurde, daß die Feinde
die benachbarten Laͤnder verwuͤſteten, um dem tuͤrkiſchen Heere den Unterhalt
zu benehmen. Weil alſo der Ueberwinder ſahe, daß er ohne großes Ungemach
an dieſem Orte nicht bleiben konnte: ſo ließ er eine ſtarke Beſatzung in Tibris,
und kehrete wieder nach Amaſia zuruͤck. Die Truppen wurden in die Win-
terlaͤger ſo enge, als es moͤglich war, zuſammen geleget, damit ſie bey dem kuͤnf-
tigen Feldzuge deſto eher bey der Hand ſeyn moͤchten. Von hier ſendete er nach
Conſtantinopel, zum Zeichen des Sieges, Huſejn 14, Bikarars Sohn, der aus
einem ſehr edlen perſiſchen Geſchlechte entſprungen war, nebſt noch vielen andern
[Spaltenumbruch]
Dinge erzaͤhlten. Der Feldherr befahl zwar,
daß man dieſe Tatarn fleißig aufſuchen ſollte:
man konnte ſie aber unter ſo vielen Ordi
nicht ausfuͤndig machen. Inzwiſchen befoͤr-
derte er den Officier, nachdem ſein Bart wie-
der gewachſen war, und machte ihn zu ſei-
nem Stallmeiſter, verehrete ihm auch anſehn-
liche Geſchenke. Auf dieſe Art ſtehlen die
Tatarn auch oͤfters tuͤrkiſche Kinder, und
verkaufen ſie hernach fuͤr ruſſiſche. Denn,
was die Treuloſigkeit und Argliſt betrifft:
darinnen kommt ihnen kein Volk in der
Welt bey.
14 Huſein] der Mecoͤnas der morgen-
laͤndiſchen Muſikverſtaͤndigen. Er hatte die
groͤßte Hochachtung gegen Chodſche Muſikar,
den Orpheus der Perſer, und deſſen Schuͤler
Gulam, den Araber. Die ganze Tuͤrkey und
Perſien ergetzte ſich an ihren Stuͤcken und Ge-
ſaͤngen, bis auf die Zeit des Sultan Muhaͤm-
meds, unter deſſen Regierung die Muſikkunſt,
die beynahe vergeſſen war, durch Osman
Efendi, einen edlen Conſtantinopeler, nicht
allein wieder in Gang gebracht, ſondern auch
zu mehrerer Vollkommenheit erhoben wurde.
[Spaltenumbruch]
Dieſer hinterließ viele Schuͤler, unter denen
der Stimme wegen beruͤhmt waren, Chafiß,
mit dem Zunamen Kjoͤmuͤr (eine Kohle),
Buhuͤrdſchi Ogli, Memiſch Aga, Kjutſchuͤkj
Muͤeßßin, und Deſpihtſchi Emir: in Inſtru-
menten aber thaten ſich zween Griechen her-
vor, Kjemani Aehmed, ein Abgefallener, und
Angeli, ein Rechtglaubiger (welche beyde funf-
zehen Jahre lang meine Lehrmeiſter geweſen
ſind); imgleichen Tſchelebiko, ein Jude, und
unter den Tuͤrken, Derwiſch Osman, und
deſſen Schuͤler, Kurſchundſchi* Ogli; imglei-
chen Taſchtſchi2* Ogli, Sinik3* Mehemmed,
und Bardaktſchi4* Mehemmed Tſchelebi. Die-
ſe beyden letztern, nachdem ſie bereits bey ei-
nem, Kamboſo Mehemmed Aga, gelernet hat-
ten, wurden nachgehends nebſt Ralaki Eu-
pragiote, einem Griechen von Adel aus Con-
ſtantinopel, von mir in einigen Theilen der
Muſik unterrichtet, ſonderlich in den Lehr-
ſaͤtzen derſelben und einer neuen Lehrart von
meiner Erfindung, die Geſaͤnge und Stuͤcke
durch Noten auszudruͤcken, die vorher den
Tuͤrken unbekannt geweſen war. Ich hatte
auch zu Schuͤlern, ſowol in den Lehrſaͤtzen,
als Ausuͤbung der Muſik, Dawul5* Ismaͤil

Ge-
* der Bleygießer.
2* der Steinhauer.
3* der Gebrechliche.
4* der Krugtraͤ-
ger. Iſt ein Bedienter an dem tuͤrkiſchen Hofe, der dem Kaiſer auf der Reiſe einen irdenen Krug
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5* eine Trommel.
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[225/0313] 9. Selim der I ſollten verrichtet werden. Den fernern Fortgang ſeiner Waffen verhinderte die Theurung des Getreides, die dadurch verurſachet wurde, daß die Feinde die benachbarten Laͤnder verwuͤſteten, um dem tuͤrkiſchen Heere den Unterhalt zu benehmen. Weil alſo der Ueberwinder ſahe, daß er ohne großes Ungemach an dieſem Orte nicht bleiben konnte: ſo ließ er eine ſtarke Beſatzung in Tibris, und kehrete wieder nach Amaſia zuruͤck. Die Truppen wurden in die Win- terlaͤger ſo enge, als es moͤglich war, zuſammen geleget, damit ſie bey dem kuͤnf- tigen Feldzuge deſto eher bey der Hand ſeyn moͤchten. Von hier ſendete er nach Conſtantinopel, zum Zeichen des Sieges, Huſejn ¹⁴ , Bikarars Sohn, der aus einem ſehr edlen perſiſchen Geſchlechte entſprungen war, nebſt noch vielen andern Ge- Dinge erzaͤhlten. Der Feldherr befahl zwar, daß man dieſe Tatarn fleißig aufſuchen ſollte: man konnte ſie aber unter ſo vielen Ordi nicht ausfuͤndig machen. Inzwiſchen befoͤr- derte er den Officier, nachdem ſein Bart wie- der gewachſen war, und machte ihn zu ſei- nem Stallmeiſter, verehrete ihm auch anſehn- liche Geſchenke. Auf dieſe Art ſtehlen die Tatarn auch oͤfters tuͤrkiſche Kinder, und verkaufen ſie hernach fuͤr ruſſiſche. Denn, was die Treuloſigkeit und Argliſt betrifft: darinnen kommt ihnen kein Volk in der Welt bey. ¹⁴ Huſein] der Mecoͤnas der morgen- laͤndiſchen Muſikverſtaͤndigen. Er hatte die groͤßte Hochachtung gegen Chodſche Muſikar, den Orpheus der Perſer, und deſſen Schuͤler Gulam, den Araber. Die ganze Tuͤrkey und Perſien ergetzte ſich an ihren Stuͤcken und Ge- ſaͤngen, bis auf die Zeit des Sultan Muhaͤm- meds, unter deſſen Regierung die Muſikkunſt, die beynahe vergeſſen war, durch Osman Efendi, einen edlen Conſtantinopeler, nicht allein wieder in Gang gebracht, ſondern auch zu mehrerer Vollkommenheit erhoben wurde. Dieſer hinterließ viele Schuͤler, unter denen der Stimme wegen beruͤhmt waren, Chafiß, mit dem Zunamen Kjoͤmuͤr (eine Kohle), Buhuͤrdſchi Ogli, Memiſch Aga, Kjutſchuͤkj Muͤeßßin, und Deſpihtſchi Emir: in Inſtru- menten aber thaten ſich zween Griechen her- vor, Kjemani Aehmed, ein Abgefallener, und Angeli, ein Rechtglaubiger (welche beyde funf- zehen Jahre lang meine Lehrmeiſter geweſen ſind); imgleichen Tſchelebiko, ein Jude, und unter den Tuͤrken, Derwiſch Osman, und deſſen Schuͤler, Kurſchundſchi * Ogli; imglei- chen Taſchtſchi 2* Ogli, Sinik 3* Mehemmed, und Bardaktſchi 4* Mehemmed Tſchelebi. Die- ſe beyden letztern, nachdem ſie bereits bey ei- nem, Kamboſo Mehemmed Aga, gelernet hat- ten, wurden nachgehends nebſt Ralaki Eu- pragiote, einem Griechen von Adel aus Con- ſtantinopel, von mir in einigen Theilen der Muſik unterrichtet, ſonderlich in den Lehr- ſaͤtzen derſelben und einer neuen Lehrart von meiner Erfindung, die Geſaͤnge und Stuͤcke durch Noten auszudruͤcken, die vorher den Tuͤrken unbekannt geweſen war. Ich hatte auch zu Schuͤlern, ſowol in den Lehrſaͤtzen, als Ausuͤbung der Muſik, Dawul 5* Ismaͤil Efendi, * der Bleygießer. 2* der Steinhauer. 3* der Gebrechliche. 4* der Krugtraͤ- ger. Iſt ein Bedienter an dem tuͤrkiſchen Hofe, der dem Kaiſer auf der Reiſe einen irdenen Krug mit Waſſer zu Pferde nachfuͤhret. Er wird ſonſt Kjuͤptar genennet. 5* eine Trommel. 2 F

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/313>, abgerufen am 23.11.2024.