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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
"von Siegen als aus einem Versuche lernen, mit was für Fortgange die
"osmanischen Waffen künftighin werden beglücket werden."

Nach Eroberung
der Stadt Tibris
bringet er den
Winter in Ama-sia zu.
8.

Des folgenden Tages, als die Einwohner von Tibris sich von ihrem
Könige verlassen sahen, und an einem Entsatze verzagten, versuchten dieselben,
sich die Gnade des Ueberwinders zu erwerben, indem sie ihm die Schlüssel ihrer
Stadt überreichten. Selim erhörete auch ihre demüthige Bitte, und zog in
die Stadt ein. Nachdem seine Soldaten einige Tage ausgeruhet hatten: so
befahl er, daß der Gottesdienst auf gewöhnliche Weise am Freytage in dem
Tempel gehalten, und für ihn sowol, als das gesammte Kriegesheer, Gebete
[Spaltenumbruch]

auf dem Markte zum Verkaufe ausstellen
möchte: und da würde er sich stellen, als
wenn er ausreißen wollte. Nachdem der
Kaufmann genugsam belehret war: so führet
er den Officier, der durch seine Striemen
und abgeschornen Bart unkenntlich geworden
war, mitten durch das Lager (denn das Heer
stund im Felde in Gezelten); und da gehet
der Officier durch, und laufet gerades We-
ges auf des Feldherrn Zelt zu. Der Kauf-
mann fänget an überlaut zu schreyen: halt
auf! um Gottes willen, halt auf! mein Ge-
fangener ist mir ausgerissen; der unglaubige
Russe ist mir aus den Händen entwischet.
Hierüber entstehet ein großer Lärmen auf dem
Markte und im ganzen Lager: alles laufet
hin und her, und will den Flüchtling ver-
folgen. Als der Officier an den Eingang
des großen Zeltes kommt, das Diwanchane
heißet: so gestehet er (im gebrochenen Tür-
kischen, um das Ansehen zu haben, als wenn
er durch die Länge der Zeit seine Mutterspra-
che vergessen hätte); er wäre zwar des Kauf-
manns Gefangener, aber dabey ein Türk
und Müsülman, der kürzlich aus Polen ent-
wischet wäre, und also wäre es unrecht, daß
man ihn zum Verkaufe ausstellete. Er setzte
hinzu: er hätte dem Feldherrn mancherley
Dinge zu entdecken; denn er wäre erst vor
[Spaltenumbruch]
funfzehen Tagen von Lemberg gekommen, und
es wäre ihm also der Zustand der polnischen
Sachen völlig bekannt. Als der Seräskjer
dieses höret: so befiehlet er, ihn in die Oba
oder das innere Zelt zu bringen. So bald
er hieher kommt: so bezeuget er dem Feld-
herrn seine Unterthänigkeit, und saget; Ka-
raman, der Pascha zu Kamjenjez, lässet mei-
nem Herrn seine Ehrerbietigkeit vermelden.
Der Feldherr kennet zwar die Stimme, weil
ihm aber das Gesicht fremd vorkommt: so
saget er darauf; wer bist du, und woher wei-
ßest du diese Dinge? Kennet ihr (antwortet
derselbe) euren Officier Ismäil Aga nicht,
den ihr letzthin an Karaman Pascha gesendet
habt? Ne snaesch po Rußku; verstehet ihr
kein Russisch? Der Feldherr versetzet: "Wel-
"cher Schelm hat dich so zugerichtet?"
Eure Tatarn (war desselben Antwort) ha-
ben mich zu einem Russen gemacht, und mich
an einen Slawenhändler verkaufet, aus des-
sen Händen ich zu meinem Herrn geflohen bin.
Nachdem er ihm hierauf alle die Umstände
erzählete, was er von diesem räuberischen
und verrätherischen Volke ausgestanden habe:
so konnte der Seräskjer sich nicht genugsam
über die Arglist dieser Räuber verwundern;
sonderlich, als Ismäil Agas Gefährten, die
des Tages darauf ankamen, ihm eben diese

sollten

Osmaniſche Geſchichte
“von Siegen als aus einem Verſuche lernen, mit was fuͤr Fortgange die
“osmaniſchen Waffen kuͤnftighin werden begluͤcket werden.„

Nach Eroberung
der Stadt Tibris
bringet er den
Winter in Ama-ſia zu.
8.

Des folgenden Tages, als die Einwohner von Tibris ſich von ihrem
Koͤnige verlaſſen ſahen, und an einem Entſatze verzagten, verſuchten dieſelben,
ſich die Gnade des Ueberwinders zu erwerben, indem ſie ihm die Schluͤſſel ihrer
Stadt uͤberreichten. Selim erhoͤrete auch ihre demuͤthige Bitte, und zog in
die Stadt ein. Nachdem ſeine Soldaten einige Tage ausgeruhet hatten: ſo
befahl er, daß der Gottesdienſt auf gewoͤhnliche Weiſe am Freytage in dem
Tempel gehalten, und fuͤr ihn ſowol, als das geſammte Kriegesheer, Gebete
[Spaltenumbruch]

auf dem Markte zum Verkaufe ausſtellen
moͤchte: und da wuͤrde er ſich ſtellen, als
wenn er ausreißen wollte. Nachdem der
Kaufmann genugſam belehret war: ſo fuͤhret
er den Officier, der durch ſeine Striemen
und abgeſchornen Bart unkenntlich geworden
war, mitten durch das Lager (denn das Heer
ſtund im Felde in Gezelten); und da gehet
der Officier durch, und laufet gerades We-
ges auf des Feldherrn Zelt zu. Der Kauf-
mann faͤnget an uͤberlaut zu ſchreyen: halt
auf! um Gottes willen, halt auf! mein Ge-
fangener iſt mir ausgeriſſen; der unglaubige
Ruſſe iſt mir aus den Haͤnden entwiſchet.
Hieruͤber entſtehet ein großer Laͤrmen auf dem
Markte und im ganzen Lager: alles laufet
hin und her, und will den Fluͤchtling ver-
folgen. Als der Officier an den Eingang
des großen Zeltes kommt, das Diwanchane
heißet: ſo geſtehet er (im gebrochenen Tuͤr-
kiſchen, um das Anſehen zu haben, als wenn
er durch die Laͤnge der Zeit ſeine Mutterſpra-
che vergeſſen haͤtte); er waͤre zwar des Kauf-
manns Gefangener, aber dabey ein Tuͤrk
und Muͤſuͤlman, der kuͤrzlich aus Polen ent-
wiſchet waͤre, und alſo waͤre es unrecht, daß
man ihn zum Verkaufe ausſtellete. Er ſetzte
hinzu: er haͤtte dem Feldherrn mancherley
Dinge zu entdecken; denn er waͤre erſt vor
[Spaltenumbruch]
funfzehen Tagen von Lemberg gekommen, und
es waͤre ihm alſo der Zuſtand der polniſchen
Sachen voͤllig bekannt. Als der Seraͤskjer
dieſes hoͤret: ſo befiehlet er, ihn in die Oba
oder das innere Zelt zu bringen. So bald
er hieher kommt: ſo bezeuget er dem Feld-
herrn ſeine Unterthaͤnigkeit, und ſaget; Ka-
raman, der Paſcha zu Kamjenjez, laͤſſet mei-
nem Herrn ſeine Ehrerbietigkeit vermelden.
Der Feldherr kennet zwar die Stimme, weil
ihm aber das Geſicht fremd vorkommt: ſo
ſaget er darauf; wer biſt du, und woher wei-
ßeſt du dieſe Dinge? Kennet ihr (antwortet
derſelbe) euren Officier Ismaͤil Aga nicht,
den ihr letzthin an Karaman Paſcha geſendet
habt? Ne ſnaeſch po Rußku; verſtehet ihr
kein Ruſſiſch? Der Feldherr verſetzet: “Wel-
“cher Schelm hat dich ſo zugerichtet?„
Eure Tatarn (war deſſelben Antwort) ha-
ben mich zu einem Ruſſen gemacht, und mich
an einen Slawenhaͤndler verkaufet, aus deſ-
ſen Haͤnden ich zu meinem Herrn geflohen bin.
Nachdem er ihm hierauf alle die Umſtaͤnde
erzaͤhlete, was er von dieſem raͤuberiſchen
und verraͤtheriſchen Volke ausgeſtanden habe:
ſo konnte der Seraͤskjer ſich nicht genugſam
uͤber die Argliſt dieſer Raͤuber verwundern;
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des Tages darauf ankamen, ihm eben dieſe

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[224/0312] Osmaniſche Geſchichte “von Siegen als aus einem Verſuche lernen, mit was fuͤr Fortgange die “osmaniſchen Waffen kuͤnftighin werden begluͤcket werden.„ 8. Des folgenden Tages, als die Einwohner von Tibris ſich von ihrem Koͤnige verlaſſen ſahen, und an einem Entſatze verzagten, verſuchten dieſelben, ſich die Gnade des Ueberwinders zu erwerben, indem ſie ihm die Schluͤſſel ihrer Stadt uͤberreichten. Selim erhoͤrete auch ihre demuͤthige Bitte, und zog in die Stadt ein. Nachdem ſeine Soldaten einige Tage ausgeruhet hatten: ſo befahl er, daß der Gottesdienſt auf gewoͤhnliche Weiſe am Freytage in dem Tempel gehalten, und fuͤr ihn ſowol, als das geſammte Kriegesheer, Gebete ſollten auf dem Markte zum Verkaufe ausſtellen moͤchte: und da wuͤrde er ſich ſtellen, als wenn er ausreißen wollte. Nachdem der Kaufmann genugſam belehret war: ſo fuͤhret er den Officier, der durch ſeine Striemen und abgeſchornen Bart unkenntlich geworden war, mitten durch das Lager (denn das Heer ſtund im Felde in Gezelten); und da gehet der Officier durch, und laufet gerades We- ges auf des Feldherrn Zelt zu. Der Kauf- mann faͤnget an uͤberlaut zu ſchreyen: halt auf! um Gottes willen, halt auf! mein Ge- fangener iſt mir ausgeriſſen; der unglaubige Ruſſe iſt mir aus den Haͤnden entwiſchet. Hieruͤber entſtehet ein großer Laͤrmen auf dem Markte und im ganzen Lager: alles laufet hin und her, und will den Fluͤchtling ver- folgen. Als der Officier an den Eingang des großen Zeltes kommt, das Diwanchane heißet: ſo geſtehet er (im gebrochenen Tuͤr- kiſchen, um das Anſehen zu haben, als wenn er durch die Laͤnge der Zeit ſeine Mutterſpra- che vergeſſen haͤtte); er waͤre zwar des Kauf- manns Gefangener, aber dabey ein Tuͤrk und Muͤſuͤlman, der kuͤrzlich aus Polen ent- wiſchet waͤre, und alſo waͤre es unrecht, daß man ihn zum Verkaufe ausſtellete. Er ſetzte hinzu: er haͤtte dem Feldherrn mancherley Dinge zu entdecken; denn er waͤre erſt vor funfzehen Tagen von Lemberg gekommen, und es waͤre ihm alſo der Zuſtand der polniſchen Sachen voͤllig bekannt. Als der Seraͤskjer dieſes hoͤret: ſo befiehlet er, ihn in die Oba oder das innere Zelt zu bringen. So bald er hieher kommt: ſo bezeuget er dem Feld- herrn ſeine Unterthaͤnigkeit, und ſaget; Ka- raman, der Paſcha zu Kamjenjez, laͤſſet mei- nem Herrn ſeine Ehrerbietigkeit vermelden. Der Feldherr kennet zwar die Stimme, weil ihm aber das Geſicht fremd vorkommt: ſo ſaget er darauf; wer biſt du, und woher wei- ßeſt du dieſe Dinge? Kennet ihr (antwortet derſelbe) euren Officier Ismaͤil Aga nicht, den ihr letzthin an Karaman Paſcha geſendet habt? Ne ſnaeſch po Rußku; verſtehet ihr kein Ruſſiſch? Der Feldherr verſetzet: “Wel- “cher Schelm hat dich ſo zugerichtet?„ Eure Tatarn (war deſſelben Antwort) ha- ben mich zu einem Ruſſen gemacht, und mich an einen Slawenhaͤndler verkaufet, aus deſ- ſen Haͤnden ich zu meinem Herrn geflohen bin. Nachdem er ihm hierauf alle die Umſtaͤnde erzaͤhlete, was er von dieſem raͤuberiſchen und verraͤtheriſchen Volke ausgeſtanden habe: ſo konnte der Seraͤskjer ſich nicht genugſam uͤber die Argliſt dieſer Raͤuber verwundern; ſonderlich, als Ismaͤil Agas Gefaͤhrten, die des Tages darauf ankamen, ihm eben dieſe Dinge

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/312>, abgerufen am 23.11.2024.