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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
andern Weg einschlagen, und sein Vorhaben füritzo aufschieben, in Hoffnung,
daß er leicht eine bequeme Gelegenheit finden würde, dasselbe ins Werk zu rich-
ten. Allein, es schiene eine große Schwierigkeit zu seyn, seinen bereits bekannt
gemachten Entschluß von Aufgebung der Krone zu widerrufen: denn was auch
ein Sultan saget oder thut; das glaubet man so fest zu seyn 47, daß es aus kei-
nerley menschlichen Ursachen könne zurückgezogen werden. Daher bemühete er
sich, die Großen dahin zu bewegen, daß sie Aehmed ersuchen sollten, seine Ge-
danken zu ändern. Diese aber reizeten im Gegentheile die Jeng-itscheri an (als
denen ein stiller und nun zehen Jahre lang friedfertiger 48 Kaiser zuwider war),
Selims Partey zu halten, und lenketen sie auch gar leicht, dahin sie wollten:
denn die Soldaten waren nach so langem Frieden nach nichts anderem begierig,
als nach innerlichen Kriegen und Unruhen.

sondern rufen
Selim nach
Hause, und brin-
gen ihn nachConstantinopel.
27.

Die Großen senden hierauf ingeheim Briefe an Selim, und berich-
ten demselben, daß sie alle einmüthig entschlossen seyen, ihn als Kaiser bey sich
zu empfangen, und nicht zu gestatten, daß Bajeßid von seiner Erklärung, die
Krone niederzulegen, abginge. Selim, der vielleicht durch die vorige Gefahr
[Spaltenumbruch]

47 so fest zu seyn] Unter den hochmü-
thigsten Titeln des Sultans stehet derjenige
oben an, da derselbe Ssillüllah oder Gottes
Schatten heißet: weil dieser einen solchen Ge-
horsam gegen seine Befehle von andern erhei-
schet, als wenn sie von Gott selbst herkämen
und sich ihnen niemand widersetzen dürfte.
Zum Beweise dieser Meinung will ich eine
sonderbare Begebenheit anführen, die sich zu
meines Vaters Zeiten zugetragen hat. Als
Muhämmed der IIII sein Kriegesheer im
May durch Moldau zu der Belagerung von
Kamjenjez führete: so fiel ihm ein, daß es
itzo die Jahreszeit sey, da es reife Kirschen
zu Constantinopel gebe. Er fragte daher den
obersten Weßir: warum keine Kirschen auf
die Tafel gebracht würden. Der Weßir
schickte gleich einen Kapudschi Baschi an den
Fürsten von Moldau, mit dem Befehle, daß
er unverzüglich Kirschen für die kaiserliche
Tafel schaffen sollte. Da sich nun der Fürst
[Spaltenumbruch]
entschuldigte, und sagte; es seyen itzo noch
keine Kirschen zu haben, und man habe sie
kaum im Junius: so versetzte Kapudschi Ba-
schi; "O Fürst! wann der Kaiser etwas
"befiehlet: so schicket es sich nicht zu sagen,
"daß ein Ding nicht sey oder nicht geschehen
"könne." Der Fürst schickte daher, da-
mit man ihm glauben möchte, etliche Aeste
von Kirschenbäumen, die noch in der Blühte
stunden, durch Kapudschi Baschi zurück.
Als Muhämmed dieselben gebracht wurden: so
soll er ausgerufen haben; Gjawr Wilajeti
sowuk imisch, "die Länder der Unglaubigen
"sind kalt;" welches auf zweyerley Weise
ausgeleget werden kann, entweder von der
natürlichen Kälte, oder von etwas Abscheuli-
chem und das der muhämmedischen Religion
zuwider ist.
48 zehen Jahre lang friedfertiger]
Die beständige Erfahrung hat gelehret, daß

war

Osmaniſche Geſchichte
andern Weg einſchlagen, und ſein Vorhaben fuͤritzo aufſchieben, in Hoffnung,
daß er leicht eine bequeme Gelegenheit finden wuͤrde, daſſelbe ins Werk zu rich-
ten. Allein, es ſchiene eine große Schwierigkeit zu ſeyn, ſeinen bereits bekannt
gemachten Entſchluß von Aufgebung der Krone zu widerrufen: denn was auch
ein Sultan ſaget oder thut; das glaubet man ſo feſt zu ſeyn 47, daß es aus kei-
nerley menſchlichen Urſachen koͤnne zuruͤckgezogen werden. Daher bemuͤhete er
ſich, die Großen dahin zu bewegen, daß ſie Aehmed erſuchen ſollten, ſeine Ge-
danken zu aͤndern. Dieſe aber reizeten im Gegentheile die Jeng-itſcheri an (als
denen ein ſtiller und nun zehen Jahre lang friedfertiger 48 Kaiſer zuwider war),
Selims Partey zu halten, und lenketen ſie auch gar leicht, dahin ſie wollten:
denn die Soldaten waren nach ſo langem Frieden nach nichts anderem begierig,
als nach innerlichen Kriegen und Unruhen.

ſondern rufen
Selim nach
Hauſe, und brin-
gen ihn nachConſtantinopel.
27.

Die Großen ſenden hierauf ingeheim Briefe an Selim, und berich-
ten demſelben, daß ſie alle einmuͤthig entſchloſſen ſeyen, ihn als Kaiſer bey ſich
zu empfangen, und nicht zu geſtatten, daß Bajeßid von ſeiner Erklaͤrung, die
Krone niederzulegen, abginge. Selim, der vielleicht durch die vorige Gefahr
[Spaltenumbruch]

47 ſo feſt zu ſeyn] Unter den hochmuͤ-
thigſten Titeln des Sultans ſtehet derjenige
oben an, da derſelbe Sſilluͤllah oder Gottes
Schatten heißet: weil dieſer einen ſolchen Ge-
horſam gegen ſeine Befehle von andern erhei-
ſchet, als wenn ſie von Gott ſelbſt herkaͤmen
und ſich ihnen niemand widerſetzen duͤrfte.
Zum Beweiſe dieſer Meinung will ich eine
ſonderbare Begebenheit anfuͤhren, die ſich zu
meines Vaters Zeiten zugetragen hat. Als
Muhaͤmmed der IIII ſein Kriegesheer im
May durch Moldau zu der Belagerung von
Kamjenjez fuͤhrete: ſo fiel ihm ein, daß es
itzo die Jahreszeit ſey, da es reife Kirſchen
zu Conſtantinopel gebe. Er fragte daher den
oberſten Weßir: warum keine Kirſchen auf
die Tafel gebracht wuͤrden. Der Weßir
ſchickte gleich einen Kapudſchi Baſchi an den
Fuͤrſten von Moldau, mit dem Befehle, daß
er unverzuͤglich Kirſchen fuͤr die kaiſerliche
Tafel ſchaffen ſollte. Da ſich nun der Fuͤrſt
[Spaltenumbruch]
entſchuldigte, und ſagte; es ſeyen itzo noch
keine Kirſchen zu haben, und man habe ſie
kaum im Junius: ſo verſetzte Kapudſchi Ba-
ſchi; “O Fuͤrſt! wann der Kaiſer etwas
“befiehlet: ſo ſchicket es ſich nicht zu ſagen,
“daß ein Ding nicht ſey oder nicht geſchehen
“koͤnne.„ Der Fuͤrſt ſchickte daher, da-
mit man ihm glauben moͤchte, etliche Aeſte
von Kirſchenbaͤumen, die noch in der Bluͤhte
ſtunden, durch Kapudſchi Baſchi zuruͤck.
Als Muhaͤmmed dieſelben gebracht wurden: ſo
ſoll er ausgerufen haben; Gjawr Wilajeti
ſowuk imiſch, “die Laͤnder der Unglaubigen
“ſind kalt;„ welches auf zweyerley Weiſe
ausgeleget werden kann, entweder von der
natuͤrlichen Kaͤlte, oder von etwas Abſcheuli-
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[204/0290] Osmaniſche Geſchichte andern Weg einſchlagen, und ſein Vorhaben fuͤritzo aufſchieben, in Hoffnung, daß er leicht eine bequeme Gelegenheit finden wuͤrde, daſſelbe ins Werk zu rich- ten. Allein, es ſchiene eine große Schwierigkeit zu ſeyn, ſeinen bereits bekannt gemachten Entſchluß von Aufgebung der Krone zu widerrufen: denn was auch ein Sultan ſaget oder thut; das glaubet man ſo feſt zu ſeyn ⁴⁷ , daß es aus kei- nerley menſchlichen Urſachen koͤnne zuruͤckgezogen werden. Daher bemuͤhete er ſich, die Großen dahin zu bewegen, daß ſie Aehmed erſuchen ſollten, ſeine Ge- danken zu aͤndern. Dieſe aber reizeten im Gegentheile die Jeng-itſcheri an (als denen ein ſtiller und nun zehen Jahre lang friedfertiger ⁴⁸ Kaiſer zuwider war), Selims Partey zu halten, und lenketen ſie auch gar leicht, dahin ſie wollten: denn die Soldaten waren nach ſo langem Frieden nach nichts anderem begierig, als nach innerlichen Kriegen und Unruhen. 27. Die Großen ſenden hierauf ingeheim Briefe an Selim, und berich- ten demſelben, daß ſie alle einmuͤthig entſchloſſen ſeyen, ihn als Kaiſer bey ſich zu empfangen, und nicht zu geſtatten, daß Bajeßid von ſeiner Erklaͤrung, die Krone niederzulegen, abginge. Selim, der vielleicht durch die vorige Gefahr war ⁴⁷ ſo feſt zu ſeyn] Unter den hochmuͤ- thigſten Titeln des Sultans ſtehet derjenige oben an, da derſelbe Sſilluͤllah oder Gottes Schatten heißet: weil dieſer einen ſolchen Ge- horſam gegen ſeine Befehle von andern erhei- ſchet, als wenn ſie von Gott ſelbſt herkaͤmen und ſich ihnen niemand widerſetzen duͤrfte. Zum Beweiſe dieſer Meinung will ich eine ſonderbare Begebenheit anfuͤhren, die ſich zu meines Vaters Zeiten zugetragen hat. Als Muhaͤmmed der IIII ſein Kriegesheer im May durch Moldau zu der Belagerung von Kamjenjez fuͤhrete: ſo fiel ihm ein, daß es itzo die Jahreszeit ſey, da es reife Kirſchen zu Conſtantinopel gebe. Er fragte daher den oberſten Weßir: warum keine Kirſchen auf die Tafel gebracht wuͤrden. Der Weßir ſchickte gleich einen Kapudſchi Baſchi an den Fuͤrſten von Moldau, mit dem Befehle, daß er unverzuͤglich Kirſchen fuͤr die kaiſerliche Tafel ſchaffen ſollte. Da ſich nun der Fuͤrſt entſchuldigte, und ſagte; es ſeyen itzo noch keine Kirſchen zu haben, und man habe ſie kaum im Junius: ſo verſetzte Kapudſchi Ba- ſchi; “O Fuͤrſt! wann der Kaiſer etwas “befiehlet: ſo ſchicket es ſich nicht zu ſagen, “daß ein Ding nicht ſey oder nicht geſchehen “koͤnne.„ Der Fuͤrſt ſchickte daher, da- mit man ihm glauben moͤchte, etliche Aeſte von Kirſchenbaͤumen, die noch in der Bluͤhte ſtunden, durch Kapudſchi Baſchi zuruͤck. Als Muhaͤmmed dieſelben gebracht wurden: ſo ſoll er ausgerufen haben; Gjawr Wilajeti ſowuk imiſch, “die Laͤnder der Unglaubigen “ſind kalt;„ welches auf zweyerley Weiſe ausgeleget werden kann, entweder von der natuͤrlichen Kaͤlte, oder von etwas Abſcheuli- chem und das der muhaͤmmediſchen Religion zuwider iſt. ⁴⁸ zehen Jahre lang friedfertiger] Die beſtaͤndige Erfahrung hat gelehret, daß Ruhe

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/290>, abgerufen am 25.11.2024.