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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
che nicht nach seinem Wunsche von statten; sondern was derselbe zu seinem Be-
sten vorhatte, das schläget zu seinem Unglücke aus. Denn als Selim, der
Statthalter zu Trapeßond war, von diesen Anstalten Nachricht bekommt: so
gehet er mit den Truppen seiner Landschaft über das schwarze Meer, ziehet nach
Adrianopel, und giebt vor (um die Gemüther des Volks nicht durch den Na-
men des Aufruhrs von sich abzukehren), er wäre gekommen, seinem Vater seine
Ehrerbietigkeit zu bezeigen 44. Von hier gehet er mit zwanzig tausend Mann
gerades Weges auf Constantinopel zu, in der Hoffnung, die Jeng-itscheri, von
denen er wußte, daß sie seine Partey hielten, würden sich mit ihm vereinigen.
Bajeßid, der seines Sohnes Vorhaben wohl merket, versammelt so viel Trup-
pen, als sich eben damals zu Constantinopel befanden, gehet damit Selim beherzt
H. 917.


J. C. 1511.
entgegen, und trifft denselben im Monate Dschemaßiül ewwel des Jahres 917, nicht
weit von Tschorlü, bey einem Dorfe Ogriß genennet, an. Das Treffen bleibet
lange zweifelhaft: endlich aber wird Selim überwunden, und gezwungen, die
Flucht zu ergreifen. Bajeßid verbietet iedermann, ihm nachzusetzen, in Hoff-
nung, wie er sagte, sein Sohn werde sein freches Gemüth ablegen, wieder auf
vernünftige Wege kommen, und durch seine väterliche Züchtigung überzeuget
werden, daß Gott den Aufruhr der Kinder gegen ihre Aeltern keinesweges bil-
lige. Wenn aber derselbe sich auch noch itzo nicht bessern wollte: so müßte man
ihn der göttlichen Rache überlassen, die niemals gestattete, daß aufrührische
Kinder ungestraft blieben. Auf diese Weise entwischet Selim durch die Gütig-
[Spaltenumbruch]
44 seine Ehrerbietigkeit zu bezeigen]
Die Türken sind nach ihrem Gesetze verbun-
den, ihr Vaterland und ihre Aeltern, nach
langer Abwesenheit von denselben, zu besu-
chen, wenn es in ihrem Vermögen stehet.
Wer dieses verabsäumet: der wird bey ihnen
für einen Uebertreter des göttlichen Gesetzes
gehalten. Daher kommt das Sprichwort
bey ihnen: "Wer sein Vaterland und seine
"Aeltern zu der gehörigen Zeit besuchet;
"der thut kein minderes Werk, als einer,
"der eine andächtige Wallfahrt nach Mekka
"verrichtet." Wenn daher ein Slaw sei-
nen Herrn um Erlaubniß bittet, sein Vater-
land zu besuchen; so kann der Herr ihm die-
ses nicht abschlagen: oder wenn er es thut;
so hat er die Sünde auf sich, und nicht der
[Spaltenumbruch]
Slaw. Dieses gebrauchte Selim nur zum
Vorwande, da er doch bloß die Absicht hatte,
seinen Vater vom Throne zu stoßen. Denn
seit dem Bajeßid zur Regierung gelanget war,
hatte Selim ihn noch nicht ein einziges mal
besuchet.
45 Warna] Eine Stadt am schwarzen
Meere, die wegen der Niederlage und Schlacht
Wladislaws, Königes in Ungarn und Polen,
berühmt ist.
46 nicht durch Menschen] Ungeachtet
die Türken behaupten, daß nichts, weder
Gutes noch Böses, ohne den Willen Gottes
erfolgen könne: so glauben sie doch auch da-
bey, Gott könne einem Misliman nichts ab-

keit

Osmaniſche Geſchichte
che nicht nach ſeinem Wunſche von ſtatten; ſondern was derſelbe zu ſeinem Be-
ſten vorhatte, das ſchlaͤget zu ſeinem Ungluͤcke aus. Denn als Selim, der
Statthalter zu Trapeßond war, von dieſen Anſtalten Nachricht bekommt: ſo
gehet er mit den Truppen ſeiner Landſchaft uͤber das ſchwarze Meer, ziehet nach
Adrianopel, und giebt vor (um die Gemuͤther des Volks nicht durch den Na-
men des Aufruhrs von ſich abzukehren), er waͤre gekommen, ſeinem Vater ſeine
Ehrerbietigkeit zu bezeigen 44. Von hier gehet er mit zwanzig tauſend Mann
gerades Weges auf Conſtantinopel zu, in der Hoffnung, die Jeng-itſcheri, von
denen er wußte, daß ſie ſeine Partey hielten, wuͤrden ſich mit ihm vereinigen.
Bajeßid, der ſeines Sohnes Vorhaben wohl merket, verſammelt ſo viel Trup-
pen, als ſich eben damals zu Conſtantinopel befanden, gehet damit Selim beherzt
H. 917.


J. C. 1511.
entgegen, und trifft denſelben im Monate Dſchemaßiuͤl ewwel des Jahres 917, nicht
weit von Tſchorluͤ, bey einem Dorfe Ogriß genennet, an. Das Treffen bleibet
lange zweifelhaft: endlich aber wird Selim uͤberwunden, und gezwungen, die
Flucht zu ergreifen. Bajeßid verbietet iedermann, ihm nachzuſetzen, in Hoff-
nung, wie er ſagte, ſein Sohn werde ſein freches Gemuͤth ablegen, wieder auf
vernuͤnftige Wege kommen, und durch ſeine vaͤterliche Zuͤchtigung uͤberzeuget
werden, daß Gott den Aufruhr der Kinder gegen ihre Aeltern keinesweges bil-
lige. Wenn aber derſelbe ſich auch noch itzo nicht beſſern wollte: ſo muͤßte man
ihn der goͤttlichen Rache uͤberlaſſen, die niemals geſtattete, daß aufruͤhriſche
Kinder ungeſtraft blieben. Auf dieſe Weiſe entwiſchet Selim durch die Guͤtig-
[Spaltenumbruch]
44 ſeine Ehrerbietigkeit zu bezeigen]
Die Tuͤrken ſind nach ihrem Geſetze verbun-
den, ihr Vaterland und ihre Aeltern, nach
langer Abweſenheit von denſelben, zu beſu-
chen, wenn es in ihrem Vermoͤgen ſtehet.
Wer dieſes verabſaͤumet: der wird bey ihnen
fuͤr einen Uebertreter des goͤttlichen Geſetzes
gehalten. Daher kommt das Sprichwort
bey ihnen: “Wer ſein Vaterland und ſeine
“Aeltern zu der gehoͤrigen Zeit beſuchet;
“der thut kein minderes Werk, als einer,
“der eine andaͤchtige Wallfahrt nach Mekka
“verrichtet.„ Wenn daher ein Slaw ſei-
nen Herrn um Erlaubniß bittet, ſein Vater-
land zu beſuchen; ſo kann der Herr ihm die-
ſes nicht abſchlagen: oder wenn er es thut;
ſo hat er die Suͤnde auf ſich, und nicht der
[Spaltenumbruch]
Slaw. Dieſes gebrauchte Selim nur zum
Vorwande, da er doch bloß die Abſicht hatte,
ſeinen Vater vom Throne zu ſtoßen. Denn
ſeit dem Bajeßid zur Regierung gelanget war,
hatte Selim ihn noch nicht ein einziges mal
beſuchet.
45 Warna] Eine Stadt am ſchwarzen
Meere, die wegen der Niederlage und Schlacht
Wladislaws, Koͤniges in Ungarn und Polen,
beruͤhmt iſt.
46 nicht durch Menſchen] Ungeachtet
die Tuͤrken behaupten, daß nichts, weder
Gutes noch Boͤſes, ohne den Willen Gottes
erfolgen koͤnne: ſo glauben ſie doch auch da-
bey, Gott koͤnne einem Misliman nichts ab-

keit
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[202/0288] Osmaniſche Geſchichte che nicht nach ſeinem Wunſche von ſtatten; ſondern was derſelbe zu ſeinem Be- ſten vorhatte, das ſchlaͤget zu ſeinem Ungluͤcke aus. Denn als Selim, der Statthalter zu Trapeßond war, von dieſen Anſtalten Nachricht bekommt: ſo gehet er mit den Truppen ſeiner Landſchaft uͤber das ſchwarze Meer, ziehet nach Adrianopel, und giebt vor (um die Gemuͤther des Volks nicht durch den Na- men des Aufruhrs von ſich abzukehren), er waͤre gekommen, ſeinem Vater ſeine Ehrerbietigkeit zu bezeigen ⁴⁴ . Von hier gehet er mit zwanzig tauſend Mann gerades Weges auf Conſtantinopel zu, in der Hoffnung, die Jeng-itſcheri, von denen er wußte, daß ſie ſeine Partey hielten, wuͤrden ſich mit ihm vereinigen. Bajeßid, der ſeines Sohnes Vorhaben wohl merket, verſammelt ſo viel Trup- pen, als ſich eben damals zu Conſtantinopel befanden, gehet damit Selim beherzt entgegen, und trifft denſelben im Monate Dſchemaßiuͤl ewwel des Jahres 917, nicht weit von Tſchorluͤ, bey einem Dorfe Ogriß genennet, an. Das Treffen bleibet lange zweifelhaft: endlich aber wird Selim uͤberwunden, und gezwungen, die Flucht zu ergreifen. Bajeßid verbietet iedermann, ihm nachzuſetzen, in Hoff- nung, wie er ſagte, ſein Sohn werde ſein freches Gemuͤth ablegen, wieder auf vernuͤnftige Wege kommen, und durch ſeine vaͤterliche Zuͤchtigung uͤberzeuget werden, daß Gott den Aufruhr der Kinder gegen ihre Aeltern keinesweges bil- lige. Wenn aber derſelbe ſich auch noch itzo nicht beſſern wollte: ſo muͤßte man ihn der goͤttlichen Rache uͤberlaſſen, die niemals geſtattete, daß aufruͤhriſche Kinder ungeſtraft blieben. Auf dieſe Weiſe entwiſchet Selim durch die Guͤtig- keit ⁴⁴ ſeine Ehrerbietigkeit zu bezeigen] Die Tuͤrken ſind nach ihrem Geſetze verbun- den, ihr Vaterland und ihre Aeltern, nach langer Abweſenheit von denſelben, zu beſu- chen, wenn es in ihrem Vermoͤgen ſtehet. Wer dieſes verabſaͤumet: der wird bey ihnen fuͤr einen Uebertreter des goͤttlichen Geſetzes gehalten. Daher kommt das Sprichwort bey ihnen: “Wer ſein Vaterland und ſeine “Aeltern zu der gehoͤrigen Zeit beſuchet; “der thut kein minderes Werk, als einer, “der eine andaͤchtige Wallfahrt nach Mekka “verrichtet.„ Wenn daher ein Slaw ſei- nen Herrn um Erlaubniß bittet, ſein Vater- land zu beſuchen; ſo kann der Herr ihm die- ſes nicht abſchlagen: oder wenn er es thut; ſo hat er die Suͤnde auf ſich, und nicht der Slaw. Dieſes gebrauchte Selim nur zum Vorwande, da er doch bloß die Abſicht hatte, ſeinen Vater vom Throne zu ſtoßen. Denn ſeit dem Bajeßid zur Regierung gelanget war, hatte Selim ihn noch nicht ein einziges mal beſuchet. ⁴⁵ Warna] Eine Stadt am ſchwarzen Meere, die wegen der Niederlage und Schlacht Wladislaws, Koͤniges in Ungarn und Polen, beruͤhmt iſt. ⁴⁶ nicht durch Menſchen] Ungeachtet die Tuͤrken behaupten, daß nichts, weder Gutes noch Boͤſes, ohne den Willen Gottes erfolgen koͤnne: ſo glauben ſie doch auch da- bey, Gott koͤnne einem Misliman nichts ab- ſchlagen, H. 917. J. C. 1511.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/288>, abgerufen am 22.11.2024.