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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
manen, alles von Gott erlangen, was er von demselben bat. Zu diesem Manne,
der sich in einer Zelle aufhielte und von den Reizungen der Welt weit abgeson-
dert lebte, begab sich Murad in aller Demuth, erzählete ihm die erlittene Nie-
derlage, und setzte hinzu: "Der Anwachs und die Siege unserer Feinde sind
"für mich ein genugsamer Beweis, daß unser Volk durch unzählige Uebertre-
"tungen des Gesetzes sich den Zorn des ewigen und allmächtigen Gottes zu-
"gezogen habe. Meine eigenen Sünden aber hindern mich, daß ich wegen
"ihrer Verbrechen keine Aussöhnung erlangen und für sie Vergebung erbitten
"kann: denn wenn ich meine eigene Unwürdigkeit betrachte; so gestehe ich
"gar gerne, daß ich vor der göttlichen Majestät weder bestehen kann, noch
"einmal vor derselben erscheinen darf. Daher sehe ich mich genöthiget, deine
"Vermittelung zu begehren, durch welche ich mich dem Throne der Gnade
"nähern, den Geist unsers allerheiligsten Propheten versöhnen, und ihn mir
[Spaltenumbruch]
ken legen diesen Spruch Sultan Murad dem
II bey. Die Meinung desselben ist: ohne
Gott sey alle menschliche Mühe vergeblich.
Mäbud ist einer von den tausend und einem
Namen Gottes (denn so viel geben die Türken
Gott), und bedeutet dessen Sorgfalt für seine
Diener und Verehrer. Mähmud ist ein eige-
ner Name, der sich auf Mäbud beziehet:
daher kann das Sprichwort von Wort zu
Wort also übersetzet werden; wenn Mäbud
nicht giebt: was will Mähmud thun?
6 Geist Muhämmeds] Als der Satan
(der die göttlichen Werke und Geheimnisse
gerne nachäffet) begierig war, durch die mu-
hämmedische Religion die Lehre von der zwie-
fachen Natur Christi umzustoßen: so erfand
er in Ansehung Muhämmeds etwas, das mit
derselben eine Aehnlichkeit hat; aber so fabel-
haft herauskommt, daß es noch weit wider-
sinnischer ist, als die gedachte Lehre selbst der
menschlichen Vernunft immer vorkommen
mag, die andere Fabeln weit leichter, als
den Abgrund der göttlichen Geheimnisse, fas-
set. Denn, wer kann es ohne Lachen anhö-
ren, was die Verfasser der Lebensbeschreibung
[Spaltenumbruch]
desselben von dem Geiste dieses falschen Pro-
pheten erzählen, und welches seine Anhänger
mit nicht geringerer Heftigkeit behaupten,
als wir in Ansehung der Gottheit Christi
thun? Sie geben nämlich vor: siebenzehen
tausend Jahre vorher, ehe Gott den Rath-
schluß von Erschaffung der Welt gefasset,
habe derselbe an eben dem Orte, da sich die
Welt gegenwärtig befindet, das Paradies
angeleget, und in dessen Mitte einen hohen
Baum, Tuba genennet, gepflanzet: in die
Aeste desselben habe er den Tawus oder Pfau
gesetzet, und diesem den Geist Muhämmeds
in das Herz geleget, damit er darinnen
sorgfältig möchte aufbehalten werden. End-
lich, als er zu der bestimmten Zeit sich vor-
genommen, diese sichtbare Welt zu erschaffen
(die ihrer Meinung nach die letzte seyn wird),
und dieselbe dem Menschen zu seiner Wohnung
einzuräumen: so habe er etwas von Muhäm-
meds Geiste genommen, und damit den ersten
Menschen, Odem genennet, belebet; ihn hier-
auf in das Paradies gesetzet, und ihn gewar-
net, keinen Weizen zu essen. Nachdem Odem
den Garten nach seiner völligen Freyheit ge-
brauchet, und dabey das göttliche Verbot

"selbst

Osmaniſche Geſchichte
manen, alles von Gott erlangen, was er von demſelben bat. Zu dieſem Manne,
der ſich in einer Zelle aufhielte und von den Reizungen der Welt weit abgeſon-
dert lebte, begab ſich Murad in aller Demuth, erzaͤhlete ihm die erlittene Nie-
derlage, und ſetzte hinzu: “Der Anwachs und die Siege unſerer Feinde ſind
“fuͤr mich ein genugſamer Beweis, daß unſer Volk durch unzaͤhlige Uebertre-
“tungen des Geſetzes ſich den Zorn des ewigen und allmaͤchtigen Gottes zu-
“gezogen habe. Meine eigenen Suͤnden aber hindern mich, daß ich wegen
“ihrer Verbrechen keine Ausſoͤhnung erlangen und fuͤr ſie Vergebung erbitten
“kann: denn wenn ich meine eigene Unwuͤrdigkeit betrachte; ſo geſtehe ich
“gar gerne, daß ich vor der goͤttlichen Majeſtaͤt weder beſtehen kann, noch
“einmal vor derſelben erſcheinen darf. Daher ſehe ich mich genoͤthiget, deine
“Vermittelung zu begehren, durch welche ich mich dem Throne der Gnade
“naͤhern, den Geiſt unſers allerheiligſten Propheten verſoͤhnen, und ihn mir
[Spaltenumbruch]
ken legen dieſen Spruch Sultan Murad dem
II bey. Die Meinung deſſelben iſt: ohne
Gott ſey alle menſchliche Muͤhe vergeblich.
Maͤbud iſt einer von den tauſend und einem
Namen Gottes (denn ſo viel geben die Tuͤrken
Gott), und bedeutet deſſen Sorgfalt fuͤr ſeine
Diener und Verehrer. Maͤhmud iſt ein eige-
ner Name, der ſich auf Maͤbud beziehet:
daher kann das Sprichwort von Wort zu
Wort alſo uͤberſetzet werden; wenn Maͤbud
nicht giebt: was will Maͤhmud thun?
6 Geiſt Muhaͤmmeds] Als der Satan
(der die goͤttlichen Werke und Geheimniſſe
gerne nachaͤffet) begierig war, durch die mu-
haͤmmediſche Religion die Lehre von der zwie-
fachen Natur Chriſti umzuſtoßen: ſo erfand
er in Anſehung Muhaͤmmeds etwas, das mit
derſelben eine Aehnlichkeit hat; aber ſo fabel-
haft herauskommt, daß es noch weit wider-
ſinniſcher iſt, als die gedachte Lehre ſelbſt der
menſchlichen Vernunft immer vorkommen
mag, die andere Fabeln weit leichter, als
den Abgrund der goͤttlichen Geheimniſſe, faſ-
ſet. Denn, wer kann es ohne Lachen anhoͤ-
ren, was die Verfaſſer der Lebensbeſchreibung
[Spaltenumbruch]
deſſelben von dem Geiſte dieſes falſchen Pro-
pheten erzaͤhlen, und welches ſeine Anhaͤnger
mit nicht geringerer Heftigkeit behaupten,
als wir in Anſehung der Gottheit Chriſti
thun? Sie geben naͤmlich vor: ſiebenzehen
tauſend Jahre vorher, ehe Gott den Rath-
ſchluß von Erſchaffung der Welt gefaſſet,
habe derſelbe an eben dem Orte, da ſich die
Welt gegenwaͤrtig befindet, das Paradies
angeleget, und in deſſen Mitte einen hohen
Baum, Tuba genennet, gepflanzet: in die
Aeſte deſſelben habe er den Tawus oder Pfau
geſetzet, und dieſem den Geiſt Muhaͤmmeds
in das Herz geleget, damit er darinnen
ſorgfaͤltig moͤchte aufbehalten werden. End-
lich, als er zu der beſtimmten Zeit ſich vor-
genommen, dieſe ſichtbare Welt zu erſchaffen
(die ihrer Meinung nach die letzte ſeyn wird),
und dieſelbe dem Menſchen zu ſeiner Wohnung
einzuraͤumen: ſo habe er etwas von Muhaͤm-
meds Geiſte genommen, und damit den erſten
Menſchen, Odem genennet, belebet; ihn hier-
auf in das Paradies geſetzet, und ihn gewar-
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[114/0196] Osmaniſche Geſchichte manen, alles von Gott erlangen, was er von demſelben bat. Zu dieſem Manne, der ſich in einer Zelle aufhielte und von den Reizungen der Welt weit abgeſon- dert lebte, begab ſich Murad in aller Demuth, erzaͤhlete ihm die erlittene Nie- derlage, und ſetzte hinzu: “Der Anwachs und die Siege unſerer Feinde ſind “fuͤr mich ein genugſamer Beweis, daß unſer Volk durch unzaͤhlige Uebertre- “tungen des Geſetzes ſich den Zorn des ewigen und allmaͤchtigen Gottes zu- “gezogen habe. Meine eigenen Suͤnden aber hindern mich, daß ich wegen “ihrer Verbrechen keine Ausſoͤhnung erlangen und fuͤr ſie Vergebung erbitten “kann: denn wenn ich meine eigene Unwuͤrdigkeit betrachte; ſo geſtehe ich “gar gerne, daß ich vor der goͤttlichen Majeſtaͤt weder beſtehen kann, noch “einmal vor derſelben erſcheinen darf. Daher ſehe ich mich genoͤthiget, deine “Vermittelung zu begehren, durch welche ich mich dem Throne der Gnade “naͤhern, den Geiſt unſers allerheiligſten Propheten verſoͤhnen, und ihn mir “ſelbſt ken legen dieſen Spruch Sultan Murad dem II bey. Die Meinung deſſelben iſt: ohne Gott ſey alle menſchliche Muͤhe vergeblich. Maͤbud iſt einer von den tauſend und einem Namen Gottes (denn ſo viel geben die Tuͤrken Gott), und bedeutet deſſen Sorgfalt fuͤr ſeine Diener und Verehrer. Maͤhmud iſt ein eige- ner Name, der ſich auf Maͤbud beziehet: daher kann das Sprichwort von Wort zu Wort alſo uͤberſetzet werden; wenn Maͤbud nicht giebt: was will Maͤhmud thun? ⁶ Geiſt Muhaͤmmeds] Als der Satan (der die goͤttlichen Werke und Geheimniſſe gerne nachaͤffet) begierig war, durch die mu- haͤmmediſche Religion die Lehre von der zwie- fachen Natur Chriſti umzuſtoßen: ſo erfand er in Anſehung Muhaͤmmeds etwas, das mit derſelben eine Aehnlichkeit hat; aber ſo fabel- haft herauskommt, daß es noch weit wider- ſinniſcher iſt, als die gedachte Lehre ſelbſt der menſchlichen Vernunft immer vorkommen mag, die andere Fabeln weit leichter, als den Abgrund der goͤttlichen Geheimniſſe, faſ- ſet. Denn, wer kann es ohne Lachen anhoͤ- ren, was die Verfaſſer der Lebensbeſchreibung deſſelben von dem Geiſte dieſes falſchen Pro- pheten erzaͤhlen, und welches ſeine Anhaͤnger mit nicht geringerer Heftigkeit behaupten, als wir in Anſehung der Gottheit Chriſti thun? Sie geben naͤmlich vor: ſiebenzehen tauſend Jahre vorher, ehe Gott den Rath- ſchluß von Erſchaffung der Welt gefaſſet, habe derſelbe an eben dem Orte, da ſich die Welt gegenwaͤrtig befindet, das Paradies angeleget, und in deſſen Mitte einen hohen Baum, Tuba genennet, gepflanzet: in die Aeſte deſſelben habe er den Tawus oder Pfau geſetzet, und dieſem den Geiſt Muhaͤmmeds in das Herz geleget, damit er darinnen ſorgfaͤltig moͤchte aufbehalten werden. End- lich, als er zu der beſtimmten Zeit ſich vor- genommen, dieſe ſichtbare Welt zu erſchaffen (die ihrer Meinung nach die letzte ſeyn wird), und dieſelbe dem Menſchen zu ſeiner Wohnung einzuraͤumen: ſo habe er etwas von Muhaͤm- meds Geiſte genommen, und damit den erſten Menſchen, Odem genennet, belebet; ihn hier- auf in das Paradies geſetzet, und ihn gewar- net, keinen Weizen zu eſſen. Nachdem Odem den Garten nach ſeiner voͤlligen Freyheit ge- brauchet, und dabey das goͤttliche Verbot dergeſtalt

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/196>, abgerufen am 23.11.2024.