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[Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von]: Neben-Stunden Unterschiedener Gedichte. [Hrsg. v. Joachim Lange]. Berlin, 1700.

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So ists: was unserm Fleisch am heftigsten behaget/
Hat/ wo nicht die Gewalt/ die Furcht doch untersaget/
Und läßt Gewalt und Furcht noch irgend etwas frey/
So machen wir es selbst zu einer Sclaverey.
Seitdem daß uns der Wahn die Augen hat verkleistert/
Und Hochmuth samt dem Geitz des Hertzens sich bemei-
stert/

So giebt der tolle Mensch den frey-gebohrnen Sinn/
Sein allerbestes Pfand/ zum Götzen-Opfer hin.
Wie meines Nachbars Sohn/ ist schon so hoch gestiegen/
Der kaum als Eigenthum drey Morgen können pflügen?
Spricht jener/ dem das Glück mit gar zu milder Hand/
Ein halbes Fürstenthum zum Erbtheil zugewandt/
Und ich sol unberühmt in meinen Gräntzen bleiben?
Nein! man sol etwas mehr auf meinen Leich-Stein
schreiben!

Schafft Roß und Wagen an/ bringt Pantzer und Gewehr!
Bald wird sein Haußgesind ein kleines Krieges-Heer.
Zwar wirfft das Ehgemahl sich zu des Ritters Füssen/
Sein unerzognes Kind läßt herbe Thränen fliessen/
Die Freunde rahten ab/ der Held wird fast bewegt;
Doch weil er allbereit die Rüstung angelegt/
Wird durch den tapffern Muth die Zärtlichkeit bestritten;
Er eylt/ läßt für den Zug auf allen Cantzeln bitten/
Begiebt sich in das Joch/ steht allen Kummer aus/
Verschmeltzt was Geldes werth/ verpfändet Hof und
Hauß/

Und kommt denn abgedanckt und arm nach wenig Jahren/
In kläglichem Triumph als Krüppel heimgefahren.
Schaut dort den grossen Mann/ für dem sich alles bückt/
Der scheint nicht weniger in dem Gehirn verrückt.
Wer? jenes weises Haupt? der Ausbund des Verstan-
des?

Ja eben jener Greiß/ der Abgott unsers Landes/
Auff dessen Ja und Nein/ so manche Wohlfahrt ruht/
Durch dessen Länderey/ man Tagereisen thut/
Auf
So iſts: was unſerm Fleiſch am heftigſten behaget/
Hat/ wo nicht die Gewalt/ die Furcht doch unterſaget/
Und laͤßt Gewalt und Furcht noch irgend etwas frey/
So machen wir es ſelbſt zu einer Sclaverey.
Seitdem daß uns der Wahn die Augen hat verkleiſtert/
Und Hochmuth ſamt dem Geitz des Hertzens ſich bemei-
ſtert/

So giebt der tolle Menſch den frey-gebohrnen Sinn/
Sein allerbeſtes Pfand/ zum Goͤtzen-Opfer hin.
Wie meines Nachbars Sohn/ iſt ſchon ſo hoch geſtiegen/
Der kaum als Eigenthum drey Morgen koͤnnen pfluͤgen?
Spricht jener/ dem das Gluͤck mit gar zu milder Hand/
Ein halbes Fuͤrſtenthum zum Erbtheil zugewandt/
Und ich ſol unberuͤhmt in meinen Graͤntzen bleiben?
Nein! man ſol etwas mehr auf meinen Leich-Stein
ſchreiben!

Schafft Roß und Wagen an/ bringt Pantzer und Gewehr!
Bald wird ſein Haußgeſind ein kleines Krieges-Heer.
Zwar wirfft das Ehgemahl ſich zu des Ritters Fuͤſſen/
Sein unerzognes Kind laͤßt herbe Thraͤnen flieſſen/
Die Freunde rahten ab/ der Held wird faſt bewegt;
Doch weil er allbereit die Ruͤſtung angelegt/
Wird durch den tapffern Muth die Zaͤrtlichkeit beſtritten;
Er eylt/ laͤßt fuͤr den Zug auf allen Cantzeln bitten/
Begiebt ſich in das Joch/ ſteht allen Kummer aus/
Verſchmeltzt was Geldes werth/ verpfaͤndet Hof und
Hauß/

Und kom̃t denn abgedanckt und arm nach wenig Jahren/
In klaͤglichem Triumph als Kruͤppel heimgefahren.
Schaut dort den groſſen Mann/ fuͤr dem ſich alles buͤckt/
Der ſcheint nicht weniger in dem Gehirn verruͤckt.
Wer? jenes weiſes Haupt? der Ausbund des Verſtan-
des?

Ja eben jener Greiß/ der Abgott unſers Landes/
Auff deſſen Ja und Nein/ ſo manche Wohlfahrt ruht/
Durch deſſen Laͤnderey/ man Tagereiſen thut/
Auf
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[72/0085] So iſts: was unſerm Fleiſch am heftigſten behaget/ Hat/ wo nicht die Gewalt/ die Furcht doch unterſaget/ Und laͤßt Gewalt und Furcht noch irgend etwas frey/ So machen wir es ſelbſt zu einer Sclaverey. Seitdem daß uns der Wahn die Augen hat verkleiſtert/ Und Hochmuth ſamt dem Geitz des Hertzens ſich bemei- ſtert/ So giebt der tolle Menſch den frey-gebohrnen Sinn/ Sein allerbeſtes Pfand/ zum Goͤtzen-Opfer hin. Wie meines Nachbars Sohn/ iſt ſchon ſo hoch geſtiegen/ Der kaum als Eigenthum drey Morgen koͤnnen pfluͤgen? Spricht jener/ dem das Gluͤck mit gar zu milder Hand/ Ein halbes Fuͤrſtenthum zum Erbtheil zugewandt/ Und ich ſol unberuͤhmt in meinen Graͤntzen bleiben? Nein! man ſol etwas mehr auf meinen Leich-Stein ſchreiben! Schafft Roß und Wagen an/ bringt Pantzer und Gewehr! Bald wird ſein Haußgeſind ein kleines Krieges-Heer. Zwar wirfft das Ehgemahl ſich zu des Ritters Fuͤſſen/ Sein unerzognes Kind laͤßt herbe Thraͤnen flieſſen/ Die Freunde rahten ab/ der Held wird faſt bewegt; Doch weil er allbereit die Ruͤſtung angelegt/ Wird durch den tapffern Muth die Zaͤrtlichkeit beſtritten; Er eylt/ laͤßt fuͤr den Zug auf allen Cantzeln bitten/ Begiebt ſich in das Joch/ ſteht allen Kummer aus/ Verſchmeltzt was Geldes werth/ verpfaͤndet Hof und Hauß/ Und kom̃t denn abgedanckt und arm nach wenig Jahren/ In klaͤglichem Triumph als Kruͤppel heimgefahren. Schaut dort den groſſen Mann/ fuͤr dem ſich alles buͤckt/ Der ſcheint nicht weniger in dem Gehirn verruͤckt. Wer? jenes weiſes Haupt? der Ausbund des Verſtan- des? Ja eben jener Greiß/ der Abgott unſers Landes/ Auff deſſen Ja und Nein/ ſo manche Wohlfahrt ruht/ Durch deſſen Laͤnderey/ man Tagereiſen thut/ Auf

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Zitationshilfe: [Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von]: Neben-Stunden Unterschiedener Gedichte. [Hrsg. v. Joachim Lange]. Berlin, 1700, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/canitz_gedichte_1700/85>, abgerufen am 21.11.2024.