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Candidus, Karl: Der deutsche Christus. Fünfzehn Canzonen. Leipzig, 1844.

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Wer ruft mir? Ist's die Stimme nicht der süßen
Gespielin meines Freundes? nicht die Stimme
Der Nachtigall? An seinem Busen hegt er
Die Kleine, wenn ein Sturm hersaust im Grimme
Und toll ihm Ast und Laubschmuck wirft zu Füßen;
Doch wenn sein Frühlingsmond hold steigt, da trägt er
Die Flatternde, bewegt er
Sie auf dem Zeigefinger oder setzt sie
In dunkelstes Gebüsch, in traute Wipfel,
Und zu der Flüstergipfel
Chorliede schlagend jedes Ohr ergetzt sie.
Er lebt und webt in ihr und mag sich freuen
Des Vögleins wie der Hoheit seiner Leuen.
Mir neige deine Zweige, Lila-Flieder!
Er ist der Thau womit du mich besprengest,
Er ist dein Würzeduft und deine Schöne
Womit du dich in alle Herzen drängest.
Er kommt in dir holdselig anders wieder
Und streut umher was aller Not entwöhne.
Beim frohen Lenzgetöne
Entblühest du der Wesenortnung Tiefen,
Trittst vor uns hin mit eigenem Gebaren,
Ein süßes Offenbaren
Der Huld davon dir alle Dolden triefen.
Wie du so dastehst an der alten Mauer,
Erfassen mich geheime, süße Schauer.
Wer ruft mir? Iſt's die Stimme nicht der ſüßen
Geſpielin meines Freundes? nicht die Stimme
Der Nachtigall? An ſeinem Buſen hegt er
Die Kleine, wenn ein Sturm herſaust im Grimme
Und toll ihm Aſt und Laubſchmuck wirft zu Füßen;
Doch wenn ſein Frühlingsmond hold ſteigt, da trägt er
Die Flatternde, bewegt er
Sie auf dem Zeigefinger oder ſetzt ſie
In dunkelſtes Gebüſch, in traute Wipfel,
Und zu der Flüſtergipfel
Chorliede ſchlagend jedes Ohr ergetzt ſie.
Er lebt und webt in ihr und mag ſich freuen
Des Vögleins wie der Hoheit ſeiner Leuen.
Mir neige deine Zweige, Lila-Flieder!
Er iſt der Thau womit du mich beſprengeſt,
Er iſt dein Würzeduft und deine Schöne
Womit du dich in alle Herzen drängeſt.
Er kommt in dir holdſelig anders wieder
Und ſtreut umher was aller Not entwöhne.
Beim frohen Lenzgetöne
Entblüheſt du der Weſenortnung Tiefen,
Trittſt vor uns hin mit eigenem Gebaren,
Ein ſüßes Offenbaren
Der Huld davon dir alle Dolden triefen.
Wie du ſo daſtehſt an der alten Mauer,
Erfaſſen mich geheime, ſüße Schauer.
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[26/0040] Wer ruft mir? Iſt's die Stimme nicht der ſüßen Geſpielin meines Freundes? nicht die Stimme Der Nachtigall? An ſeinem Buſen hegt er Die Kleine, wenn ein Sturm herſaust im Grimme Und toll ihm Aſt und Laubſchmuck wirft zu Füßen; Doch wenn ſein Frühlingsmond hold ſteigt, da trägt er Die Flatternde, bewegt er Sie auf dem Zeigefinger oder ſetzt ſie In dunkelſtes Gebüſch, in traute Wipfel, Und zu der Flüſtergipfel Chorliede ſchlagend jedes Ohr ergetzt ſie. Er lebt und webt in ihr und mag ſich freuen Des Vögleins wie der Hoheit ſeiner Leuen. Mir neige deine Zweige, Lila-Flieder! Er iſt der Thau womit du mich beſprengeſt, Er iſt dein Würzeduft und deine Schöne Womit du dich in alle Herzen drängeſt. Er kommt in dir holdſelig anders wieder Und ſtreut umher was aller Not entwöhne. Beim frohen Lenzgetöne Entblüheſt du der Weſenortnung Tiefen, Trittſt vor uns hin mit eigenem Gebaren, Ein ſüßes Offenbaren Der Huld davon dir alle Dolden triefen. Wie du ſo daſtehſt an der alten Mauer, Erfaſſen mich geheime, ſüße Schauer.

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Zitationshilfe: Candidus, Karl: Der deutsche Christus. Fünfzehn Canzonen. Leipzig, 1844, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/candidus_christus_1854/40>, abgerufen am 29.03.2024.