zu dessen Vertheidigung fechten wolte, darum weil er mit dem Agamemnon um eine Hure ge- zankt hatte; und hernach, blos durch eigne Rach- gier angetrieben, ging er herum, und nahm den Leuten niederträchtiger Weise das Leben, denn so wil ich es nennen, weil er sich für unverlezt hielt. Bei aller seiner Unverlezlichkeit trug er gleichwohl die stärkste Rüstung von der Welt. Das war aber, wie ich mir demüthig vorstelle, ein gewaltiger Irthum. Denn ein Hufeisen, an seine verwund- bare Ferse geschlagen, würde hinlänglich gewe- sen sein.
Auf der andern Seite behaupte ich mit Dry- den, in aller Demuth gegen die Gönner der Neuern, daß der Teufel eigentlich der Held in Miltons Gedichte ist. Der Entwurf, den jener anlegt, verfolgt, und zulezt ausführt, ist ja der Inhalt des Gedichts.
Aus allen diesen Betrachtungen ziehe ich den unparteiischen Schluß, daß die Alten, grade so wie die Neuern, ihre Vorzüge und Fehler, ihre Tugenden und Laster hatten. Pedanterie und gezierte Gelehrsamkeit entscheiden deutlich zum
Vor-
Theophron 2. Th. K
zu deſſen Vertheidigung fechten wolte, darum weil er mit dem Agamemnon um eine Hure ge- zankt hatte; und hernach, blos durch eigne Rach- gier angetrieben, ging er herum, und nahm den Leuten niedertraͤchtiger Weiſe das Leben, denn ſo wil ich es nennen, weil er ſich fuͤr unverlezt hielt. Bei aller ſeiner Unverlezlichkeit trug er gleichwohl die ſtaͤrkſte Ruͤſtung von der Welt. Das war aber, wie ich mir demuͤthig vorſtelle, ein gewaltiger Irthum. Denn ein Hufeiſen, an ſeine verwund- bare Ferſe geſchlagen, wuͤrde hinlaͤnglich gewe- ſen ſein.
Auf der andern Seite behaupte ich mit Dry- den, in aller Demuth gegen die Goͤnner der Neuern, daß der Teufel eigentlich der Held in Miltons Gedichte iſt. Der Entwurf, den jener anlegt, verfolgt, und zulezt ausfuͤhrt, iſt ja der Inhalt des Gedichts.
Aus allen dieſen Betrachtungen ziehe ich den unparteiiſchen Schluß, daß die Alten, grade ſo wie die Neuern, ihre Vorzuͤge und Fehler, ihre Tugenden und Laſter hatten. Pedanterie und gezierte Gelehrſamkeit entſcheiden deutlich zum
Vor-
Theophron 2. Th. K
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zu deſſen Vertheidigung fechten wolte, darum
weil er mit dem Agamemnon um eine Hure ge-
zankt hatte; und hernach, blos durch eigne Rach-
gier angetrieben, ging er herum, und nahm den
Leuten niedertraͤchtiger Weiſe das Leben, denn ſo
wil ich es nennen, weil er ſich fuͤr unverlezt hielt.
Bei aller ſeiner Unverlezlichkeit trug er gleichwohl
die ſtaͤrkſte Ruͤſtung von der Welt. Das war aber,
wie ich mir demuͤthig vorſtelle, ein gewaltiger
Irthum. Denn ein Hufeiſen, an ſeine verwund-
bare Ferſe geſchlagen, wuͤrde hinlaͤnglich gewe-
ſen ſein.
Auf der andern Seite behaupte ich mit Dry-
den, in aller Demuth gegen die Goͤnner der
Neuern, daß der Teufel eigentlich der Held in
Miltons Gedichte iſt. Der Entwurf, den jener
anlegt, verfolgt, und zulezt ausfuͤhrt, iſt ja der
Inhalt des Gedichts.
Aus allen dieſen Betrachtungen ziehe ich den
unparteiiſchen Schluß, daß die Alten, grade ſo
wie die Neuern, ihre Vorzuͤge und Fehler, ihre
Tugenden und Laſter hatten. Pedanterie und
gezierte Gelehrſamkeit entſcheiden deutlich zum
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/151>, abgerufen am 27.07.2024.
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