Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

im Stande sein, zu urtheilen, in wie weit du ihm
mit Sicherheit trauen darfst, oder nicht.

Frauenzimmer sind einander viel ähnlicher,
als Mansleute. Sie haben insgemein nur zwei
Leidenschaften, Eitelkeit und Liebe. Das sind ihre
algemeinen Kenzeichen. Eine Agrippine kan sie
dem Ehrgeize, oder eine Messaline der Geilheit
aufopfern. Diese Beispiele aber sind selten; ge-
wöhnlicher Weise zielt alles, was sie sagen oder
thun, auf Befriedigung der beiden erstgenanten
Hauptleidenschaften ab. Die kleinste Rede oder
Handlung, die sich möglicher Weise als Gering-
schäzung oder Verachtung auslegen läßt, ist ihnen
unverzeihlich, und wird niemahls von ihnen ver-
gessen werden.

Die Manspersonen sind in dem Stükke eben-
fals zärtlich, und werden eher Unrecht als Be-
schimpfung vergeben. Einige sind argwöhnischer,
als andre; einige sind allezeit verkehrten Sins;
alle aber haben einen solchen Antheil von Eitelkeit,
daß sie sich durch die mindeste Spur von Gering-
schäzung und Verachtung beleidigt finden. Nicht
jeder macht Anspruch darauf, ein Dichter, Ma-

thematiker

im Stande ſein, zu urtheilen, in wie weit du ihm
mit Sicherheit trauen darfſt, oder nicht.

Frauenzimmer ſind einander viel aͤhnlicher,
als Mansleute. Sie haben insgemein nur zwei
Leidenſchaften, Eitelkeit und Liebe. Das ſind ihre
algemeinen Kenzeichen. Eine Agrippine kan ſie
dem Ehrgeize, oder eine Meſſaline der Geilheit
aufopfern. Dieſe Beiſpiele aber ſind ſelten; ge-
woͤhnlicher Weiſe zielt alles, was ſie ſagen oder
thun, auf Befriedigung der beiden erſtgenanten
Hauptleidenſchaften ab. Die kleinſte Rede oder
Handlung, die ſich moͤglicher Weiſe als Gering-
ſchaͤzung oder Verachtung auslegen laͤßt, iſt ihnen
unverzeihlich, und wird niemahls von ihnen ver-
geſſen werden.

Die Mansperſonen ſind in dem Stuͤkke eben-
fals zaͤrtlich, und werden eher Unrecht als Be-
ſchimpfung vergeben. Einige ſind argwoͤhniſcher,
als andre; einige ſind allezeit verkehrten Sins;
alle aber haben einen ſolchen Antheil von Eitelkeit,
daß ſie ſich durch die mindeſte Spur von Gering-
ſchaͤzung und Verachtung beleidigt finden. Nicht
jeder macht Anſpruch darauf, ein Dichter, Ma-

thematiker
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0117" n="111"/>
im Stande &#x017F;ein, zu urtheilen, in wie weit du ihm<lb/>
mit Sicherheit trauen darf&#x017F;t, oder nicht.</p><lb/>
        <p>Frauenzimmer &#x017F;ind einander viel a&#x0364;hnlicher,<lb/>
als Mansleute. Sie haben insgemein nur zwei<lb/>
Leiden&#x017F;chaften, Eitelkeit und Liebe. Das &#x017F;ind ihre<lb/>
algemeinen Kenzeichen. Eine <hi rendition="#fr">Agrippine</hi> kan &#x017F;ie<lb/>
dem Ehrgeize, oder eine <hi rendition="#fr">Me&#x017F;&#x017F;aline</hi> der Geilheit<lb/>
aufopfern. Die&#x017F;e Bei&#x017F;piele aber &#x017F;ind &#x017F;elten; ge-<lb/>
wo&#x0364;hnlicher Wei&#x017F;e zielt alles, was &#x017F;ie &#x017F;agen oder<lb/>
thun, auf Befriedigung der beiden er&#x017F;tgenanten<lb/>
Hauptleiden&#x017F;chaften ab. Die klein&#x017F;te Rede oder<lb/>
Handlung, die &#x017F;ich mo&#x0364;glicher Wei&#x017F;e als Gering-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;zung oder Verachtung auslegen la&#x0364;ßt, i&#x017F;t ihnen<lb/>
unverzeihlich, und wird niemahls von ihnen ver-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en werden.</p><lb/>
        <p>Die Mansper&#x017F;onen &#x017F;ind in dem Stu&#x0364;kke eben-<lb/>
fals za&#x0364;rtlich, und werden eher Unrecht als Be-<lb/>
&#x017F;chimpfung vergeben. Einige &#x017F;ind argwo&#x0364;hni&#x017F;cher,<lb/>
als andre; einige &#x017F;ind allezeit verkehrten Sins;<lb/>
alle aber haben einen &#x017F;olchen Antheil von Eitelkeit,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;ich durch die minde&#x017F;te Spur von Gering-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;zung und Verachtung beleidigt finden. Nicht<lb/>
jeder macht An&#x017F;pruch darauf, ein Dichter, Ma-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">thematiker</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[111/0117] im Stande ſein, zu urtheilen, in wie weit du ihm mit Sicherheit trauen darfſt, oder nicht. Frauenzimmer ſind einander viel aͤhnlicher, als Mansleute. Sie haben insgemein nur zwei Leidenſchaften, Eitelkeit und Liebe. Das ſind ihre algemeinen Kenzeichen. Eine Agrippine kan ſie dem Ehrgeize, oder eine Meſſaline der Geilheit aufopfern. Dieſe Beiſpiele aber ſind ſelten; ge- woͤhnlicher Weiſe zielt alles, was ſie ſagen oder thun, auf Befriedigung der beiden erſtgenanten Hauptleidenſchaften ab. Die kleinſte Rede oder Handlung, die ſich moͤglicher Weiſe als Gering- ſchaͤzung oder Verachtung auslegen laͤßt, iſt ihnen unverzeihlich, und wird niemahls von ihnen ver- geſſen werden. Die Mansperſonen ſind in dem Stuͤkke eben- fals zaͤrtlich, und werden eher Unrecht als Be- ſchimpfung vergeben. Einige ſind argwoͤhniſcher, als andre; einige ſind allezeit verkehrten Sins; alle aber haben einen ſolchen Antheil von Eitelkeit, daß ſie ſich durch die mindeſte Spur von Gering- ſchaͤzung und Verachtung beleidigt finden. Nicht jeder macht Anſpruch darauf, ein Dichter, Ma- thematiker

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/117
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/117>, abgerufen am 07.05.2024.