von denen, die schon da sind, befreien solte; der Arzt jagt Schmetterlingen nach, und läßt seine Kranken ächzen, so viel sie wollen; der Schuster endlich läßt die Leute barfuß gehn, und seine Kin- der hungern, um in der Schenke die Zeitungen zu lesen, Krieg und Frieden zu beschließen, und die Könige nach Gefallen ein- und abzusezen.
Vornehmlich reißt diese Thorheit, zum großen Nachtheil der menschlichen Geselschaft, immer mehr und mehr unter jungen Leuten ein. Aus genauer Kentniß einiger Akademien kan ich versichern, daß unter zwanzigen, vielleicht unter mehreren jungen Studierenden heutiges Tages kaum einer noch gefunden wird, dem die wirk- liche Vorbereitung zu seinem künftigen Berufe in der That am Herzen läge. Alle Studien, welche darauf abzielen, scheinen ihnen trokken, unfrucht- bar, verächtlich zu sein. Thät' es die Furcht vor dem künftigen Examen nicht; sie würden sie gänz- lich liegen lassen. Aber mit der ganzen Inbrunst eines feurigen Liebhabers fallen sie über jedes süß- liche, empfindelnde, faselnde Gedichtchen her, ver- schlingen diese nahrungslose Saft- und Markver-
derbende
D 2
von denen, die ſchon da ſind, befreien ſolte; der Arzt jagt Schmetterlingen nach, und laͤßt ſeine Kranken aͤchzen, ſo viel ſie wollen; der Schuſter endlich laͤßt die Leute barfuß gehn, und ſeine Kin- der hungern, um in der Schenke die Zeitungen zu leſen, Krieg und Frieden zu beſchließen, und die Koͤnige nach Gefallen ein- und abzuſezen.
Vornehmlich reißt dieſe Thorheit, zum großen Nachtheil der menſchlichen Geſelſchaft, immer mehr und mehr unter jungen Leuten ein. Aus genauer Kentniß einiger Akademien kan ich verſichern, daß unter zwanzigen, vielleicht unter mehreren jungen Studierenden heutiges Tages kaum einer noch gefunden wird, dem die wirk- liche Vorbereitung zu ſeinem kuͤnftigen Berufe in der That am Herzen laͤge. Alle Studien, welche darauf abzielen, ſcheinen ihnen trokken, unfrucht- bar, veraͤchtlich zu ſein. Thaͤt’ es die Furcht vor dem kuͤnftigen Examen nicht; ſie wuͤrden ſie gaͤnz- lich liegen laſſen. Aber mit der ganzen Inbrunſt eines feurigen Liebhabers fallen ſie uͤber jedes ſuͤß- liche, empfindelnde, faſelnde Gedichtchen her, ver- ſchlingen dieſe nahrungsloſe Saft- und Markver-
derbende
D 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0081"n="51"/>
von denen, die ſchon da ſind, befreien ſolte; der<lb/>
Arzt jagt Schmetterlingen nach, und laͤßt ſeine<lb/>
Kranken aͤchzen, ſo viel ſie wollen; der Schuſter<lb/>
endlich laͤßt die Leute barfuß gehn, und ſeine Kin-<lb/>
der hungern, um in der Schenke die Zeitungen<lb/>
zu leſen, Krieg und Frieden zu beſchließen, und<lb/>
die Koͤnige nach Gefallen ein- und abzuſezen.</p><lb/><p>Vornehmlich reißt dieſe Thorheit, zum großen<lb/>
Nachtheil der menſchlichen Geſelſchaft, immer<lb/>
mehr und mehr unter jungen Leuten ein.<lb/>
Aus genauer Kentniß einiger Akademien kan ich<lb/>
verſichern, daß unter zwanzigen, vielleicht unter<lb/>
mehreren jungen Studierenden heutiges Tages<lb/>
kaum einer noch gefunden wird, dem die wirk-<lb/>
liche Vorbereitung zu ſeinem kuͤnftigen Berufe in<lb/>
der That am Herzen laͤge. Alle Studien, welche<lb/>
darauf abzielen, ſcheinen ihnen trokken, unfrucht-<lb/>
bar, veraͤchtlich zu ſein. Thaͤt’ es die Furcht vor<lb/>
dem kuͤnftigen Examen nicht; ſie wuͤrden ſie gaͤnz-<lb/>
lich liegen laſſen. Aber mit der ganzen Inbrunſt<lb/>
eines feurigen Liebhabers fallen ſie uͤber jedes ſuͤß-<lb/>
liche, empfindelnde, faſelnde Gedichtchen her, ver-<lb/>ſchlingen dieſe nahrungsloſe Saft- und Markver-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">D 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">derbende</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[51/0081]
von denen, die ſchon da ſind, befreien ſolte; der
Arzt jagt Schmetterlingen nach, und laͤßt ſeine
Kranken aͤchzen, ſo viel ſie wollen; der Schuſter
endlich laͤßt die Leute barfuß gehn, und ſeine Kin-
der hungern, um in der Schenke die Zeitungen
zu leſen, Krieg und Frieden zu beſchließen, und
die Koͤnige nach Gefallen ein- und abzuſezen.
Vornehmlich reißt dieſe Thorheit, zum großen
Nachtheil der menſchlichen Geſelſchaft, immer
mehr und mehr unter jungen Leuten ein.
Aus genauer Kentniß einiger Akademien kan ich
verſichern, daß unter zwanzigen, vielleicht unter
mehreren jungen Studierenden heutiges Tages
kaum einer noch gefunden wird, dem die wirk-
liche Vorbereitung zu ſeinem kuͤnftigen Berufe in
der That am Herzen laͤge. Alle Studien, welche
darauf abzielen, ſcheinen ihnen trokken, unfrucht-
bar, veraͤchtlich zu ſein. Thaͤt’ es die Furcht vor
dem kuͤnftigen Examen nicht; ſie wuͤrden ſie gaͤnz-
lich liegen laſſen. Aber mit der ganzen Inbrunſt
eines feurigen Liebhabers fallen ſie uͤber jedes ſuͤß-
liche, empfindelnde, faſelnde Gedichtchen her, ver-
ſchlingen dieſe nahrungsloſe Saft- und Markver-
derbende
D 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/81>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.