Misverständnisse und schiefes Hinsehn auf die unrechte Seite der Dinge sind ohne Zweifel die Ursache der meisten Feindschaf- ten und Verdrießlichkeiten unter den Men- schen. Verständige dich mit denen, welche deine Worte oder deine Handlungen misverstanden ha- ben, in aller Freundlichkeit; rükke ihnen den Ge- genstand ihres Unwillens liebreich vors Auge, und zeige ihnen den wahren Gesichtspunkt, aus dem sie ihn betrachten müssen. War dan die ganze Sache wirklich nur ein Misverständniß, so wird es unter hundert Fällen kaum einen geben, da es dir nicht gelingen solte, ihren Un- willen im Keime zu erstikken, und das Verneh- men zwischen dir und ihnen wieder auf den alten Fuß zu stellen.
Aber hüte dich, dergleichen Aufklärun- gen entstandener Misverständnisse schrift- lich zu geben. Ich sage dir voraus, daß du auf diesem Wege deine Absicht in hundert Fällen neun und neunzig mahl verfehlen werdest. Denn hat der Andere erst einmahl Feuer gefangen, so
magst
Q
Misverſtaͤndniſſe und ſchiefes Hinſehn auf die unrechte Seite der Dinge ſind ohne Zweifel die Urſache der meiſten Feindſchaf- ten und Verdrießlichkeiten unter den Men- ſchen. Verſtaͤndige dich mit denen, welche deine Worte oder deine Handlungen misverſtanden ha- ben, in aller Freundlichkeit; ruͤkke ihnen den Ge- genſtand ihres Unwillens liebreich vors Auge, und zeige ihnen den wahren Geſichtspunkt, aus dem ſie ihn betrachten muͤſſen. War dan die ganze Sache wirklich nur ein Misverſtaͤndniß, ſo wird es unter hundert Faͤllen kaum einen geben, da es dir nicht gelingen ſolte, ihren Un- willen im Keime zu erſtikken, und das Verneh- men zwiſchen dir und ihnen wieder auf den alten Fuß zu ſtellen.
Aber huͤte dich, dergleichen Aufklaͤrun- gen entſtandener Misverſtaͤndniſſe ſchrift- lich zu geben. Ich ſage dir voraus, daß du auf dieſem Wege deine Abſicht in hundert Faͤllen neun und neunzig mahl verfehlen werdeſt. Denn hat der Andere erſt einmahl Feuer gefangen, ſo
magſt
Q
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0271"n="241"/><p><hirendition="#fr">Misverſtaͤndniſſe und ſchiefes Hinſehn<lb/>
auf die unrechte Seite der Dinge ſind ohne<lb/>
Zweifel die Urſache der meiſten Feindſchaf-<lb/>
ten und Verdrießlichkeiten unter den Men-<lb/>ſchen.</hi> Verſtaͤndige dich mit denen, welche deine<lb/>
Worte oder deine Handlungen misverſtanden ha-<lb/>
ben, in aller Freundlichkeit; ruͤkke ihnen den Ge-<lb/>
genſtand ihres Unwillens liebreich vors Auge,<lb/>
und zeige ihnen den wahren Geſichtspunkt, aus<lb/>
dem ſie ihn betrachten muͤſſen. War dan die<lb/>
ganze Sache wirklich nur ein Misverſtaͤndniß,<lb/>ſo wird es unter hundert Faͤllen kaum einen<lb/>
geben, da es dir nicht gelingen ſolte, ihren Un-<lb/>
willen im Keime zu erſtikken, und das Verneh-<lb/>
men zwiſchen dir und ihnen wieder auf den alten<lb/>
Fuß zu ſtellen.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#fr">Aber huͤte dich, dergleichen Aufklaͤrun-<lb/>
gen entſtandener Misverſtaͤndniſſe ſchrift-<lb/>
lich zu geben.</hi> Ich ſage dir voraus, daß du<lb/>
auf dieſem Wege deine Abſicht in hundert Faͤllen<lb/>
neun und neunzig mahl verfehlen werdeſt. Denn<lb/>
hat der Andere erſt einmahl Feuer gefangen, ſo<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Q</fw><fwplace="bottom"type="catch">magſt</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[241/0271]
Misverſtaͤndniſſe und ſchiefes Hinſehn
auf die unrechte Seite der Dinge ſind ohne
Zweifel die Urſache der meiſten Feindſchaf-
ten und Verdrießlichkeiten unter den Men-
ſchen. Verſtaͤndige dich mit denen, welche deine
Worte oder deine Handlungen misverſtanden ha-
ben, in aller Freundlichkeit; ruͤkke ihnen den Ge-
genſtand ihres Unwillens liebreich vors Auge,
und zeige ihnen den wahren Geſichtspunkt, aus
dem ſie ihn betrachten muͤſſen. War dan die
ganze Sache wirklich nur ein Misverſtaͤndniß,
ſo wird es unter hundert Faͤllen kaum einen
geben, da es dir nicht gelingen ſolte, ihren Un-
willen im Keime zu erſtikken, und das Verneh-
men zwiſchen dir und ihnen wieder auf den alten
Fuß zu ſtellen.
Aber huͤte dich, dergleichen Aufklaͤrun-
gen entſtandener Misverſtaͤndniſſe ſchrift-
lich zu geben. Ich ſage dir voraus, daß du
auf dieſem Wege deine Abſicht in hundert Faͤllen
neun und neunzig mahl verfehlen werdeſt. Denn
hat der Andere erſt einmahl Feuer gefangen, ſo
magſt
Q
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/271>, abgerufen am 11.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.