zugleich seinen irdischen Gefährten, den Körper, durch mannigfaltigen unnatürlichen Zwang und durch den Genuß starkreizender Speisen und Getränke völlig auszumergeln. Und eine so ge- theilte, so nach allen Seiten hin unablässig ge- zerte Sele solte am Ende nicht einen großen Theil ihrer Federkraft verlieren? Solte bei dem unend- lichen Wirwar von Ideen, die sich in ihr durch- kreuzen, noch im Stande sein, die eine von der andern gehörig zu unterscheiden, jede nach Maaß- gabe ihrer Wichtigkeit gehörig zu beherzigen? Solte einer ernsten, anhaltenden und gründlichen Ueber- legung fähig sein? Solte an dem, was mich und dich betrift, dafern wir nicht etwa Stof zum Ta- del oder Lachen gewähren, einen wahren herzlichen Antheil nehmen können? Solte endlich noch fähig bleiben, über moralische Gegenstände, welche so weit ausser ihrer Sphäre liegen, ein gesundes und richtiges Urtheil zu fällen? Ach, mein Sohn! ich habe das Gegentheil hiervon in meinem Leben so oft erfahren müssen! Habe so oft, wenn ich Sa- chen, die nach ihrer moralischen Seite betrachtet fein wolten, in das helste Sonnenlicht gestelt zu
haben
zugleich ſeinen irdiſchen Gefaͤhrten, den Koͤrper, durch mannigfaltigen unnatuͤrlichen Zwang und durch den Genuß ſtarkreizender Speiſen und Getraͤnke voͤllig auszumergeln. Und eine ſo ge- theilte, ſo nach allen Seiten hin unablaͤſſig ge- zerte Sele ſolte am Ende nicht einen großen Theil ihrer Federkraft verlieren? Solte bei dem unend- lichen Wirwar von Ideen, die ſich in ihr durch- kreuzen, noch im Stande ſein, die eine von der andern gehoͤrig zu unterſcheiden, jede nach Maaß- gabe ihrer Wichtigkeit gehoͤrig zu beherzigen? Solte einer ernſten, anhaltenden und gruͤndlichen Ueber- legung faͤhig ſein? Solte an dem, was mich und dich betrift, dafern wir nicht etwa Stof zum Ta- del oder Lachen gewaͤhren, einen wahren herzlichen Antheil nehmen koͤnnen? Solte endlich noch faͤhig bleiben, uͤber moraliſche Gegenſtaͤnde, welche ſo weit auſſer ihrer Sphaͤre liegen, ein geſundes und richtiges Urtheil zu faͤllen? Ach, mein Sohn! ich habe das Gegentheil hiervon in meinem Leben ſo oft erfahren muͤſſen! Habe ſo oft, wenn ich Sa- chen, die nach ihrer moraliſchen Seite betrachtet fein wolten, in das helſte Sonnenlicht geſtelt zu
haben
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zugleich ſeinen irdiſchen Gefaͤhrten, den Koͤrper,
durch mannigfaltigen unnatuͤrlichen Zwang und
durch den Genuß ſtarkreizender Speiſen und
Getraͤnke voͤllig auszumergeln. Und eine ſo ge-
theilte, ſo nach allen Seiten hin unablaͤſſig ge-
zerte Sele ſolte am Ende nicht einen großen Theil
ihrer Federkraft verlieren? Solte bei dem unend-
lichen Wirwar von Ideen, die ſich in ihr durch-
kreuzen, noch im Stande ſein, die eine von der
andern gehoͤrig zu unterſcheiden, jede nach Maaß-
gabe ihrer Wichtigkeit gehoͤrig zu beherzigen? Solte
einer ernſten, anhaltenden und gruͤndlichen Ueber-
legung faͤhig ſein? Solte an dem, was mich und
dich betrift, dafern wir nicht etwa Stof zum Ta-
del oder Lachen gewaͤhren, einen wahren herzlichen
Antheil nehmen koͤnnen? Solte endlich noch faͤhig
bleiben, uͤber moraliſche Gegenſtaͤnde, welche ſo
weit auſſer ihrer Sphaͤre liegen, ein geſundes und
richtiges Urtheil zu faͤllen? Ach, mein Sohn! ich
habe das Gegentheil hiervon in meinem Leben ſo
oft erfahren muͤſſen! Habe ſo oft, wenn ich Sa-
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/139>, abgerufen am 24.11.2024.
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