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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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haben glaubte, das Misvergnügen gehabt, zu be-
merken, daß ich mit Leuten redete, die für so etwas
schon lange keinen Sin mehr hatten! Habe so oft,
selbst bei wahren Freunden aus dieser Klasse von
Menschen, so wenig herzliche Theilnehmung an
Vorfällen wahrgenommen, bei denen mir vor
Freude oder Schmerz das Herz zerspringen wolte!
Eine flüchtige augenblikliche Aufmerksamkeit, eine
eben so flüchtige augenblikliche Theilnehmung ohne
Folgen, war in solchen Fällen gemeiniglich der ganze
armseelige Tribut, den der Schwindelgeist unserer
Zeit der Freundschaft zu entrichten noch gestattete.

Ich eröfne dir, indem ich dir diese und ähn-
liche Erfahrungen mittheile, freilich keine ange-
nehme Aussicht ins Leben: aber es ist Zeit, daß
du die Welt, in die du treten solst, sehest wie sie
ist; nicht wie die sogenanten Menschenfreunde sie
sich erschwärmen, oder wie Romanschreiber ohne
Menschenkentniß sie uns vorzugaukeln pflegen.
Ich fahre also fort:



Alle diese Menschen, und bei weitem
die meisten aus jedem Stande, urtheilen

nicht

haben glaubte, das Misvergnuͤgen gehabt, zu be-
merken, daß ich mit Leuten redete, die fuͤr ſo etwas
ſchon lange keinen Sin mehr hatten! Habe ſo oft,
ſelbſt bei wahren Freunden aus dieſer Klaſſe von
Menſchen, ſo wenig herzliche Theilnehmung an
Vorfaͤllen wahrgenommen, bei denen mir vor
Freude oder Schmerz das Herz zerſpringen wolte!
Eine fluͤchtige augenblikliche Aufmerkſamkeit, eine
eben ſo fluͤchtige augenblikliche Theilnehmung ohne
Folgen, war in ſolchen Faͤllen gemeiniglich der ganze
armſeelige Tribut, den der Schwindelgeiſt unſerer
Zeit der Freundſchaft zu entrichten noch geſtattete.

Ich eroͤfne dir, indem ich dir dieſe und aͤhn-
liche Erfahrungen mittheile, freilich keine ange-
nehme Ausſicht ins Leben: aber es iſt Zeit, daß
du die Welt, in die du treten ſolſt, ſeheſt wie ſie
iſt; nicht wie die ſogenanten Menſchenfreunde ſie
ſich erſchwaͤrmen, oder wie Romanſchreiber ohne
Menſchenkentniß ſie uns vorzugaukeln pflegen.
Ich fahre alſo fort:



Alle dieſe Menſchen, und bei weitem
die meiſten aus jedem Stande, urtheilen

nicht
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[110/0140] haben glaubte, das Misvergnuͤgen gehabt, zu be- merken, daß ich mit Leuten redete, die fuͤr ſo etwas ſchon lange keinen Sin mehr hatten! Habe ſo oft, ſelbſt bei wahren Freunden aus dieſer Klaſſe von Menſchen, ſo wenig herzliche Theilnehmung an Vorfaͤllen wahrgenommen, bei denen mir vor Freude oder Schmerz das Herz zerſpringen wolte! Eine fluͤchtige augenblikliche Aufmerkſamkeit, eine eben ſo fluͤchtige augenblikliche Theilnehmung ohne Folgen, war in ſolchen Faͤllen gemeiniglich der ganze armſeelige Tribut, den der Schwindelgeiſt unſerer Zeit der Freundſchaft zu entrichten noch geſtattete. Ich eroͤfne dir, indem ich dir dieſe und aͤhn- liche Erfahrungen mittheile, freilich keine ange- nehme Ausſicht ins Leben: aber es iſt Zeit, daß du die Welt, in die du treten ſolſt, ſeheſt wie ſie iſt; nicht wie die ſogenanten Menſchenfreunde ſie ſich erſchwaͤrmen, oder wie Romanſchreiber ohne Menſchenkentniß ſie uns vorzugaukeln pflegen. Ich fahre alſo fort: Alle dieſe Menſchen, und bei weitem die meiſten aus jedem Stande, urtheilen nicht

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/140>, abgerufen am 24.11.2024.