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Campe, Joachim Heinrich: Robinson der Jüngere. Bd. 1. Hamburg, 1779.

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Nikolas. Das habe ich auch schon ge-
dacht; und nun bin ich ihm auch gar nicht
mehr so gut.

Vater. Eure Bemerkung, Kinder, ist
volkommen richtig. Wir sehen freilig wohl,
daß Robinson lange noch nicht das feste,
unwandelbare kindliche Vertrauen zu Gott
hatte, welches er, nach so vielen Beweisen
seiner Güte und Weisheit, die er selbst erfah-
ren hatte, billig hätte haben müssen. Aber
ehe wir ihn deswegen verdammen: wollen wir
uns erst einen Augenblik an seine Stelle se-
zen, und unser eigenes Herz fragen, ob wir,
an seinem Plaze, es auch wohl besser würden
gemacht haben? Was dünkt dich, Nikolas,
würdest du, wenn du Robinson gewesen
wärest, wohl getroster gewesen sein?

Nikolas. (Mit leiser, zweifelhafter
Stimme.) Ich weiß nicht.

Vater. Erinnere dich einmahl an die
Zeit, da dir, deiner Augen wegen, eine spa-
nische Fliege gelegt werden mußte, die dir
einige Schmerzen verursachte. Weißt du noch,

wie
P 4

Nikolas. Das habe ich auch ſchon ge-
dacht; und nun bin ich ihm auch gar nicht
mehr ſo gut.

Vater. Eure Bemerkung, Kinder, iſt
volkommen richtig. Wir ſehen freilig wohl,
daß Robinſon lange noch nicht das feſte,
unwandelbare kindliche Vertrauen zu Gott
hatte, welches er, nach ſo vielen Beweiſen
ſeiner Guͤte und Weisheit, die er ſelbſt erfah-
ren hatte, billig haͤtte haben muͤſſen. Aber
ehe wir ihn deswegen verdammen: wollen wir
uns erſt einen Augenblik an ſeine Stelle ſe-
zen, und unſer eigenes Herz fragen, ob wir,
an ſeinem Plaze, es auch wohl beſſer wuͤrden
gemacht haben? Was duͤnkt dich, Nikolas,
wuͤrdeſt du, wenn du Robinſon geweſen
waͤreſt, wohl getroſter geweſen ſein?

Nikolas. (Mit leiſer, zweifelhafter
Stimme.) Ich weiß nicht.

Vater. Erinnere dich einmahl an die
Zeit, da dir, deiner Augen wegen, eine ſpa-
niſche Fliege gelegt werden mußte, die dir
einige Schmerzen verurſachte. Weißt du noch,

wie
P 4
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[231/0271] Nikolas. Das habe ich auch ſchon ge- dacht; und nun bin ich ihm auch gar nicht mehr ſo gut. Vater. Eure Bemerkung, Kinder, iſt volkommen richtig. Wir ſehen freilig wohl, daß Robinſon lange noch nicht das feſte, unwandelbare kindliche Vertrauen zu Gott hatte, welches er, nach ſo vielen Beweiſen ſeiner Guͤte und Weisheit, die er ſelbſt erfah- ren hatte, billig haͤtte haben muͤſſen. Aber ehe wir ihn deswegen verdammen: wollen wir uns erſt einen Augenblik an ſeine Stelle ſe- zen, und unſer eigenes Herz fragen, ob wir, an ſeinem Plaze, es auch wohl beſſer wuͤrden gemacht haben? Was duͤnkt dich, Nikolas, wuͤrdeſt du, wenn du Robinſon geweſen waͤreſt, wohl getroſter geweſen ſein? Nikolas. (Mit leiſer, zweifelhafter Stimme.) Ich weiß nicht. Vater. Erinnere dich einmahl an die Zeit, da dir, deiner Augen wegen, eine ſpa- niſche Fliege gelegt werden mußte, die dir einige Schmerzen verurſachte. Weißt du noch, wie P 4

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Robinson der Jüngere. Bd. 1. Hamburg, 1779, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_robinson01_1779/271>, abgerufen am 26.04.2024.