1. Abschnitt.breiteten Haß Luft machen, oder nur eine Rache für Fa- milienunglück oder persönliche Beleidigungen üben. So wie die Herrschaft eine unbedingte, aller gesetzlichen Schranken entledigte, so ist auch das Mittel der Gegner ein unbeding- tes. Schon Boccaccio sagt es offen: 1) "Soll ich den Ge- waltherrn König, Fürst heißen und ihm Treue bewahren als meinem Obern? Nein! denn er ist Feind des ge- meinen Wesens. Gegen ihn kann ich Waffen, Verschwörung, Späher, Hinterhalt, List gebrauchen; das ist ein heiliges, nothwendiges Werk. Es giebt kein lieblicheres Opfer als Tyrannenblut". Die einzelnen Hergänge dürfen uns hier nicht beschäftigen; Macchiavell hat in einem allbekannten Capitel 2) seiner Discorsi die antiken und modernen Ver- schwörungen von der alten griechischen Tyrannenzeit an be- handelt und sie nach ihrer verschiedenen Anlage und ihren Chancen ganz kaltblütig beurtheilt. Nur zwei Bemerkungen: über die Mordthaten beim Gottesdienst und über die Ein- wirkung des Alterthums mögen hier gestattet sein.
Der Kirchen- mord.Es war fast unmöglich, der wohlbewachten Gewalt- herrscher anderswo habhaft zu werden als bei feierlichen Kirch- gängen, vollends aber war eine ganze fürstliche Familie bei keinem andern Anlaß beisammenzutreffen. So ermor- deten die Fabrianesen 3) (1435) ihr Tyrannenhaus, die Chiavelli, während eines Hochamtes, und zwar laut Abrede bei den Worten des Credo: Et incarnatus est. In Mai- land wurde (1412) Herzog Giovan Maria Visconti am Eingang der Kirche S. Gottardo, (1476) Herzog Galeazzo Maria Sforza in der Kirche S. Stefano ermordet, und Lodovico Moro entging einst (1484) den Dolchen der An- hänger der verwittweten Herzogin Bona nur dadurch, daß er die Kirche S. Ambrogio durch eine andere Thür betrat
1)De casibus virorum illustrium, L. II, cap. 15.
2)Discorsi III, 6. Womit storie fior. L. VIII. zu vergleichen.
3)Corio, fol. 333. Das folgende ibid. fol. 305. 422, s. 440.
1. Abſchnitt.breiteten Haß Luft machen, oder nur eine Rache für Fa- milienunglück oder perſönliche Beleidigungen üben. So wie die Herrſchaft eine unbedingte, aller geſetzlichen Schranken entledigte, ſo iſt auch das Mittel der Gegner ein unbeding- tes. Schon Boccaccio ſagt es offen: 1) „Soll ich den Ge- waltherrn König, Fürſt heißen und ihm Treue bewahren als meinem Obern? Nein! denn er iſt Feind des ge- meinen Weſens. Gegen ihn kann ich Waffen, Verſchwörung, Späher, Hinterhalt, Liſt gebrauchen; das iſt ein heiliges, nothwendiges Werk. Es giebt kein lieblicheres Opfer als Tyrannenblut“. Die einzelnen Hergänge dürfen uns hier nicht beſchäftigen; Macchiavell hat in einem allbekannten Capitel 2) ſeiner Discorſi die antiken und modernen Ver- ſchwörungen von der alten griechiſchen Tyrannenzeit an be- handelt und ſie nach ihrer verſchiedenen Anlage und ihren Chancen ganz kaltblütig beurtheilt. Nur zwei Bemerkungen: über die Mordthaten beim Gottesdienſt und über die Ein- wirkung des Alterthums mögen hier geſtattet ſein.
Der Kirchen- mord.Es war faſt unmöglich, der wohlbewachten Gewalt- herrſcher anderswo habhaft zu werden als bei feierlichen Kirch- gängen, vollends aber war eine ganze fürſtliche Familie bei keinem andern Anlaß beiſammenzutreffen. So ermor- deten die Fabrianeſen 3) (1435) ihr Tyrannenhaus, die Chiavelli, während eines Hochamtes, und zwar laut Abrede bei den Worten des Credo: Et incarnatus est. In Mai- land wurde (1412) Herzog Giovan Maria Visconti am Eingang der Kirche S. Gottardo, (1476) Herzog Galeazzo Maria Sforza in der Kirche S. Stefano ermordet, und Lodovico Moro entging einſt (1484) den Dolchen der An- hänger der verwittweten Herzogin Bona nur dadurch, daß er die Kirche S. Ambrogio durch eine andere Thür betrat
1)De casibus virorum illustrium, L. II, cap. 15.
2)Discorsi III, 6. Womit storie fior. L. VIII. zu vergleichen.
3)Corio, fol. 333. Das folgende ibid. fol. 305. 422, s. 440.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0066"n="56"/><noteplace="left"><hirendition="#b"><hirendition="#u">1. Abſchnitt.</hi></hi></note>breiteten Haß Luft machen, oder nur eine Rache für Fa-<lb/>
milienunglück oder perſönliche Beleidigungen üben. So wie<lb/>
die Herrſchaft eine unbedingte, aller geſetzlichen Schranken<lb/>
entledigte, ſo iſt auch das Mittel der Gegner ein unbeding-<lb/>
tes. Schon Boccaccio ſagt es offen: <noteplace="foot"n="1)"><hirendition="#aq">De casibus virorum illustrium, L. II, cap.</hi> 15.</note>„Soll ich den Ge-<lb/>
waltherrn König, Fürſt heißen und ihm Treue bewahren<lb/>
als meinem Obern? Nein! denn er iſt Feind des ge-<lb/>
meinen Weſens. Gegen ihn kann ich Waffen, Verſchwörung,<lb/>
Späher, Hinterhalt, Liſt gebrauchen; das iſt ein heiliges,<lb/>
nothwendiges Werk. Es giebt kein lieblicheres Opfer als<lb/>
Tyrannenblut“. Die einzelnen Hergänge dürfen uns hier<lb/>
nicht beſchäftigen; Macchiavell hat in einem allbekannten<lb/>
Capitel <noteplace="foot"n="2)"><hirendition="#aq">Discorsi III,</hi> 6. Womit <hirendition="#aq">storie fior. L. VIII.</hi> zu vergleichen.</note>ſeiner Discorſi die antiken und modernen Ver-<lb/>ſchwörungen von der alten griechiſchen Tyrannenzeit an be-<lb/>
handelt und ſie nach ihrer verſchiedenen Anlage und ihren<lb/>
Chancen ganz kaltblütig beurtheilt. Nur zwei Bemerkungen:<lb/>
über die Mordthaten beim Gottesdienſt und über die Ein-<lb/>
wirkung des Alterthums mögen hier geſtattet ſein.</p><lb/><p><noteplace="left">Der Kirchen-<lb/>
mord.</note>Es war faſt unmöglich, der wohlbewachten Gewalt-<lb/>
herrſcher anderswo habhaft zu werden als bei feierlichen Kirch-<lb/>
gängen, vollends aber war eine ganze fürſtliche Familie<lb/>
bei keinem andern Anlaß beiſammenzutreffen. So ermor-<lb/>
deten die Fabrianeſen <noteplace="foot"n="3)"><hirendition="#aq">Corio, fol.</hi> 333. Das folgende <hirendition="#aq">ibid. fol. 305. 422, s.</hi> 440.</note> (1435) ihr Tyrannenhaus, die<lb/>
Chiavelli, während eines Hochamtes, und zwar laut Abrede<lb/>
bei den Worten des Credo: <hirendition="#aq">Et incarnatus est.</hi> In Mai-<lb/>
land wurde (1412) Herzog Giovan Maria Visconti am<lb/>
Eingang der Kirche S. Gottardo, (1476) Herzog Galeazzo<lb/>
Maria Sforza in der Kirche S. Stefano ermordet, und<lb/>
Lodovico Moro entging einſt (1484) den Dolchen der An-<lb/>
hänger der verwittweten Herzogin Bona nur dadurch, daß<lb/>
er die Kirche S. Ambrogio durch eine andere Thür betrat<lb/></p></div></body></text></TEI>
[56/0066]
breiteten Haß Luft machen, oder nur eine Rache für Fa-
milienunglück oder perſönliche Beleidigungen üben. So wie
die Herrſchaft eine unbedingte, aller geſetzlichen Schranken
entledigte, ſo iſt auch das Mittel der Gegner ein unbeding-
tes. Schon Boccaccio ſagt es offen: 1) „Soll ich den Ge-
waltherrn König, Fürſt heißen und ihm Treue bewahren
als meinem Obern? Nein! denn er iſt Feind des ge-
meinen Weſens. Gegen ihn kann ich Waffen, Verſchwörung,
Späher, Hinterhalt, Liſt gebrauchen; das iſt ein heiliges,
nothwendiges Werk. Es giebt kein lieblicheres Opfer als
Tyrannenblut“. Die einzelnen Hergänge dürfen uns hier
nicht beſchäftigen; Macchiavell hat in einem allbekannten
Capitel 2) ſeiner Discorſi die antiken und modernen Ver-
ſchwörungen von der alten griechiſchen Tyrannenzeit an be-
handelt und ſie nach ihrer verſchiedenen Anlage und ihren
Chancen ganz kaltblütig beurtheilt. Nur zwei Bemerkungen:
über die Mordthaten beim Gottesdienſt und über die Ein-
wirkung des Alterthums mögen hier geſtattet ſein.
1. Abſchnitt.
Es war faſt unmöglich, der wohlbewachten Gewalt-
herrſcher anderswo habhaft zu werden als bei feierlichen Kirch-
gängen, vollends aber war eine ganze fürſtliche Familie
bei keinem andern Anlaß beiſammenzutreffen. So ermor-
deten die Fabrianeſen 3) (1435) ihr Tyrannenhaus, die
Chiavelli, während eines Hochamtes, und zwar laut Abrede
bei den Worten des Credo: Et incarnatus est. In Mai-
land wurde (1412) Herzog Giovan Maria Visconti am
Eingang der Kirche S. Gottardo, (1476) Herzog Galeazzo
Maria Sforza in der Kirche S. Stefano ermordet, und
Lodovico Moro entging einſt (1484) den Dolchen der An-
hänger der verwittweten Herzogin Bona nur dadurch, daß
er die Kirche S. Ambrogio durch eine andere Thür betrat
Der Kirchen-
mord.
1) De casibus virorum illustrium, L. II, cap. 15.
2) Discorsi III, 6. Womit storie fior. L. VIII. zu vergleichen.
3) Corio, fol. 333. Das folgende ibid. fol. 305. 422, s. 440.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/66>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.