Ein italienischer Fürst, welchem Agrippa von Nettesheim 1)1. Abschnitt. die Aufhebung derselben anrieth, antwortete: ihre Händel tragen mir ja bis 12000 Ducaten Bußgelder jährlich ein! -- Und als z. B. im Jahr 1500 während der kurzen Rück- kehr des Moro in seine Staaten die Guelfen von Tortona einen Theil des nahen französischen Heeres in ihre Stadt riefen, damit sie den Ghibellinen den Garaus machten, plünderten und ruinirten die Franzosen zunächst allerdings diese, dann aber auch die Guelfen selbst, bis Tortona völlig verwüstet war. 2) -- Auch in der Romagna, wo jede Leiden- schaft und jede Rache unsterblich waren, hatten jene beiden Namen den politischen Inhalt vollkommen eingebüßt. Es gehörte mit zum politischen Irrsinn des armen Volkes, daß die Guelfen hie und da sich zur Sympathie für Frank- reich, die Ghibellinen für Spanien verpflichtet glaubten. Ich sehe nicht, daß die welche diesen Irrsinn ausbeuteten, besonders weit damit gekommen wären. Frankreich hat Italien nach allen Interventionen immer wieder räumen müssen und was aus Spanien geworden ist, nachdem es Italien umgebracht hat, das greifen wir mit den Händen.
Doch wir kehren zum Fürstenthum der RenaissanceDie Verschwö- rungen. zurück. Eine vollkommen reine Seele hätte vielleicht auch damals raisonnirt, daß alle Gewalt von Gott sei, und daß diese Fürsten, wenn Jeder sie gutwillig und aus redlichem Herzen unterstütze, mit der Zeit gut werden und ihren ge- waltsamen Ursprung vergessen müßten. Aber von leiden- schaftlichen, mit schaffender Gluth begabten Phantasien und Gemüthern ist dieß nicht zu verlangen. Sie sahen, wie schlechte Aerzte, die Hebung der Krankheit in der Beseitigung des Symptoms und glaubten, wenn man die Fürsten er- morde, so gebe sich die Freiheit von selber. Oder sie dachten auch nicht so weit, und wollten nur dem allgemein ver-
1)De incert. et vanitate scientiar. cap. 55.
2) Prato, im Archiv. stor. III, p. 241.
Ein italieniſcher Fürſt, welchem Agrippa von Nettesheim 1)1. Abſchnitt. die Aufhebung derſelben anrieth, antwortete: ihre Händel tragen mir ja bis 12000 Ducaten Bußgelder jährlich ein! — Und als z. B. im Jahr 1500 während der kurzen Rück- kehr des Moro in ſeine Staaten die Guelfen von Tortona einen Theil des nahen franzöſiſchen Heeres in ihre Stadt riefen, damit ſie den Ghibellinen den Garaus machten, plünderten und ruinirten die Franzoſen zunächſt allerdings dieſe, dann aber auch die Guelfen ſelbſt, bis Tortona völlig verwüſtet war. 2) — Auch in der Romagna, wo jede Leiden- ſchaft und jede Rache unſterblich waren, hatten jene beiden Namen den politiſchen Inhalt vollkommen eingebüßt. Es gehörte mit zum politiſchen Irrſinn des armen Volkes, daß die Guelfen hie und da ſich zur Sympathie für Frank- reich, die Ghibellinen für Spanien verpflichtet glaubten. Ich ſehe nicht, daß die welche dieſen Irrſinn ausbeuteten, beſonders weit damit gekommen wären. Frankreich hat Italien nach allen Interventionen immer wieder räumen müſſen und was aus Spanien geworden iſt, nachdem es Italien umgebracht hat, das greifen wir mit den Händen.
Doch wir kehren zum Fürſtenthum der RenaiſſanceDie Verſchwö- rungen. zurück. Eine vollkommen reine Seele hätte vielleicht auch damals raiſonnirt, daß alle Gewalt von Gott ſei, und daß dieſe Fürſten, wenn Jeder ſie gutwillig und aus redlichem Herzen unterſtütze, mit der Zeit gut werden und ihren ge- waltſamen Urſprung vergeſſen müßten. Aber von leiden- ſchaftlichen, mit ſchaffender Gluth begabten Phantaſien und Gemüthern iſt dieß nicht zu verlangen. Sie ſahen, wie ſchlechte Aerzte, die Hebung der Krankheit in der Beſeitigung des Symptoms und glaubten, wenn man die Fürſten er- morde, ſo gebe ſich die Freiheit von ſelber. Oder ſie dachten auch nicht ſo weit, und wollten nur dem allgemein ver-
1)De incert. et vanitate scientiar. cap. 55.
2) Prato, im Archiv. stor. III, p. 241.
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Ein italieniſcher Fürſt, welchem Agrippa von Nettesheim 1)
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— Und als z. B. im Jahr 1500 während der kurzen Rück-
kehr des Moro in ſeine Staaten die Guelfen von Tortona
einen Theil des nahen franzöſiſchen Heeres in ihre Stadt
riefen, damit ſie den Ghibellinen den Garaus machten,
plünderten und ruinirten die Franzoſen zunächſt allerdings
dieſe, dann aber auch die Guelfen ſelbſt, bis Tortona völlig
verwüſtet war. 2) — Auch in der Romagna, wo jede Leiden-
ſchaft und jede Rache unſterblich waren, hatten jene beiden
Namen den politiſchen Inhalt vollkommen eingebüßt. Es
gehörte mit zum politiſchen Irrſinn des armen Volkes, daß
die Guelfen hie und da ſich zur Sympathie für Frank-
reich, die Ghibellinen für Spanien verpflichtet glaubten.
Ich ſehe nicht, daß die welche dieſen Irrſinn ausbeuteten,
beſonders weit damit gekommen wären. Frankreich hat
Italien nach allen Interventionen immer wieder räumen
müſſen und was aus Spanien geworden iſt, nachdem es
Italien umgebracht hat, das greifen wir mit den Händen.
1. Abſchnitt.
Doch wir kehren zum Fürſtenthum der Renaiſſance
zurück. Eine vollkommen reine Seele hätte vielleicht auch
damals raiſonnirt, daß alle Gewalt von Gott ſei, und daß
dieſe Fürſten, wenn Jeder ſie gutwillig und aus redlichem
Herzen unterſtütze, mit der Zeit gut werden und ihren ge-
waltſamen Urſprung vergeſſen müßten. Aber von leiden-
ſchaftlichen, mit ſchaffender Gluth begabten Phantaſien und
Gemüthern iſt dieß nicht zu verlangen. Sie ſahen, wie
ſchlechte Aerzte, die Hebung der Krankheit in der Beſeitigung
des Symptoms und glaubten, wenn man die Fürſten er-
morde, ſo gebe ſich die Freiheit von ſelber. Oder ſie dachten
auch nicht ſo weit, und wollten nur dem allgemein ver-
Die Verſchwö-
rungen.
1) De incert. et vanitate scientiar. cap. 55.
2) Prato, im Archiv. stor. III, p. 241.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/65>, abgerufen am 24.11.2024.
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