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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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überall zeigen; auch gab es ihrer ohne Vergleich viel mehrere6. Abschnitt.
als im übrigen Europa, wo sie nur an bedeutendern Höfen,
und selbst da nicht durchgängig, vorkommen. Wer in Ita-
lien irgend ein größeres Haus machte, hielt sich auch, sobald
der Eifer für die Sache groß genug war, einen Astrologen,
der freilich bisweilen Hunger leiden mochte 1). Durch die
schon vor dem Bücherdruck stark verbreitete Literatur dieser
Wissenschaft war überdieß ein Dilettantismus entstanden,
der sich so viel als möglich an die Meister des Faches an-
schloß. Die schlimme Gattung der Astrologen war die,
welche die Sterne nur zu Hülfe nahm, um Zauberkünste
damit zu verbinden oder vor den Leuten zu verdecken.

Doch selbst ohne eine solche Zuthat ist die AstrologieEinfluß im täg-
lichen Leben.

ein trauriges Element des damaligen italienischen Lebens.
Welchen Eindruck machen all jene hochbegabten, vielseitigen,
eigenwilligen Menschen, wenn die blinde Begier, das Künf-
tige zu wissen und zu bewirken, ihr kräftiges individuelles
Wollen und Entschließen auf einmal zur Abdication zwingt!
Dazwischen, wenn die Sterne etwa gar zu Ungünstiges
verkünden, raffen sie sich auf, handeln unabhängig und
sprechen dazu: Vir sapiens dominabitur astris 2), der
Weise wird über die Gestirne Meister; -- um bald wieder
in den alten Wahn zurückzufallen.

Zunächst wird allen Kindern angesehener Familien das
Horoscop gestellt und bisweilen schleppt man sich hierauf
das halbe Leben hindurch mit irgend einer nichtsnutzigen
Voraussetzung von Ereignissen, die nicht eintreffen 3). Dann

1) Bei Bandello III, Nov. 60 bekennt sich der Astrolog des Alessandro
Bentivoglio in Mailand vor dessen ganzer Gesellschaft als einen
armen Teufel.
2) Einen solchen Anfall von Entschlossenheit hatte Lodovico Moro, als
er das Kreuz mit jener Inschrift machen ließ, welches sich jetzt im
Churer Münster befindet. Auch Sixtus IV. sagte einmal, er wolle
probiren, ob der Spruch wahr sei.
3) Der Vater des Piero Capponi, selber Astrolog, steckte den Sohn in
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überall zeigen; auch gab es ihrer ohne Vergleich viel mehrere6. Abſchnitt.
als im übrigen Europa, wo ſie nur an bedeutendern Höfen,
und ſelbſt da nicht durchgängig, vorkommen. Wer in Ita-
lien irgend ein größeres Haus machte, hielt ſich auch, ſobald
der Eifer für die Sache groß genug war, einen Aſtrologen,
der freilich bisweilen Hunger leiden mochte 1). Durch die
ſchon vor dem Bücherdruck ſtark verbreitete Literatur dieſer
Wiſſenſchaft war überdieß ein Dilettantismus entſtanden,
der ſich ſo viel als möglich an die Meiſter des Faches an-
ſchloß. Die ſchlimme Gattung der Aſtrologen war die,
welche die Sterne nur zu Hülfe nahm, um Zauberkünſte
damit zu verbinden oder vor den Leuten zu verdecken.

Doch ſelbſt ohne eine ſolche Zuthat iſt die AſtrologieEinfluß im täg-
lichen Leben.

ein trauriges Element des damaligen italieniſchen Lebens.
Welchen Eindruck machen all jene hochbegabten, vielſeitigen,
eigenwilligen Menſchen, wenn die blinde Begier, das Künf-
tige zu wiſſen und zu bewirken, ihr kräftiges individuelles
Wollen und Entſchließen auf einmal zur Abdication zwingt!
Dazwiſchen, wenn die Sterne etwa gar zu Ungünſtiges
verkünden, raffen ſie ſich auf, handeln unabhängig und
ſprechen dazu: Vir sapiens dominabitur astris 2), der
Weiſe wird über die Geſtirne Meiſter; — um bald wieder
in den alten Wahn zurückzufallen.

Zunächſt wird allen Kindern angeſehener Familien das
Horoscop geſtellt und bisweilen ſchleppt man ſich hierauf
das halbe Leben hindurch mit irgend einer nichtsnutzigen
Vorausſetzung von Ereigniſſen, die nicht eintreffen 3). Dann

1) Bei Bandello III, Nov. 60 bekennt ſich der Aſtrolog des Aleſſandro
Bentivoglio in Mailand vor deſſen ganzer Geſellſchaft als einen
armen Teufel.
2) Einen ſolchen Anfall von Entſchloſſenheit hatte Lodovico Moro, als
er das Kreuz mit jener Inſchrift machen ließ, welches ſich jetzt im
Churer Münſter befindet. Auch Sixtus IV. ſagte einmal, er wolle
probiren, ob der Spruch wahr ſei.
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[515/0525] überall zeigen; auch gab es ihrer ohne Vergleich viel mehrere als im übrigen Europa, wo ſie nur an bedeutendern Höfen, und ſelbſt da nicht durchgängig, vorkommen. Wer in Ita- lien irgend ein größeres Haus machte, hielt ſich auch, ſobald der Eifer für die Sache groß genug war, einen Aſtrologen, der freilich bisweilen Hunger leiden mochte 1). Durch die ſchon vor dem Bücherdruck ſtark verbreitete Literatur dieſer Wiſſenſchaft war überdieß ein Dilettantismus entſtanden, der ſich ſo viel als möglich an die Meiſter des Faches an- ſchloß. Die ſchlimme Gattung der Aſtrologen war die, welche die Sterne nur zu Hülfe nahm, um Zauberkünſte damit zu verbinden oder vor den Leuten zu verdecken. 6. Abſchnitt. Doch ſelbſt ohne eine ſolche Zuthat iſt die Aſtrologie ein trauriges Element des damaligen italieniſchen Lebens. Welchen Eindruck machen all jene hochbegabten, vielſeitigen, eigenwilligen Menſchen, wenn die blinde Begier, das Künf- tige zu wiſſen und zu bewirken, ihr kräftiges individuelles Wollen und Entſchließen auf einmal zur Abdication zwingt! Dazwiſchen, wenn die Sterne etwa gar zu Ungünſtiges verkünden, raffen ſie ſich auf, handeln unabhängig und ſprechen dazu: Vir sapiens dominabitur astris 2), der Weiſe wird über die Geſtirne Meiſter; — um bald wieder in den alten Wahn zurückzufallen. Einfluß im täg- lichen Leben. Zunächſt wird allen Kindern angeſehener Familien das Horoscop geſtellt und bisweilen ſchleppt man ſich hierauf das halbe Leben hindurch mit irgend einer nichtsnutzigen Vorausſetzung von Ereigniſſen, die nicht eintreffen 3). Dann 1) Bei Bandello III, Nov. 60 bekennt ſich der Aſtrolog des Aleſſandro Bentivoglio in Mailand vor deſſen ganzer Geſellſchaft als einen armen Teufel. 2) Einen ſolchen Anfall von Entſchloſſenheit hatte Lodovico Moro, als er das Kreuz mit jener Inſchrift machen ließ, welches ſich jetzt im Churer Münſter befindet. Auch Sixtus IV. ſagte einmal, er wolle probiren, ob der Spruch wahr ſei. 3) Der Vater des Piero Capponi, ſelber Aſtrolog, ſteckte den Sohn in 33*

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/525>, abgerufen am 24.11.2024.