macht hat, als verstehe sich die Sache ganz von selbst.6. Abschnitt. Anders verhält es sich mit der religiösen und philosophischen Lehre, welche sich in der Lage befindet, die Natur des menschlichen Willens mit den großen Weltgesetzen in Ein- klang bringen zu müssen. Hier ergiebt sich ein Mehr oder Weniger, wonach sich die Taxirung der Sittlichkeit über- haupt richtet. Dante ist nicht völlig unabhängig von den astrologischen Wahngebilden, welche den damaligen Horizont mit falschem Lichte erhellen, aber er rafft sich nach Kräften empor zu einer würdigen Anschauung des menschlichen We- sens. "Die Gestirne, läßt er 1) seinen Marco Lombardo sagen, geben wohl die ersten Antriebe zu euerm Thun, aber Licht ist euch gegeben über Gutes und Böses, und freier Wille, der nach anfänglichem Kampf mit den Gestirnen Alles besiegt, wenn er richtig genährt wird."
Andere mochten die der Freiheit gegenüberstehende Nothwendigkeit in einer andern Potenz suchen als in den Sternen -- jedenfalls war die Frage seitdem eine offene, nicht mehr zu umgehende. Soweit sie eine Frage der Schu- len, oder vollends nur eine Beschäftigung isolirter Denker blieb, dürfen wir dafür auf die Geschichten der Philosophie verweisen. Sofern sie aber in das Bewußtsein weiterer Kreise überging, wird noch davon die Rede sein müssen.
Das XIV. Jahrhundert ließ sich vorzüglich durch die philosophischen Schriften Cicero's anregen, welcher bekannt- lich als Eklektiker galt, aber als Skeptiker wirkte, weil er die Theorien verschiedener Schulen vorträgt ohne genügende Abschlüsse beizufügen. In zweiter Linie kommen Seneca und die wenigen in's Lateinische übersetzten Schriften des Aristoteles. Die Frucht dieses Studiums war einstweilen
1)Purgatorio XVI, 73. Womit die Theorie des Planeteneinflusses im Convito zu vergleichen. -- Auch der Dämon Astarotte bei Pulci (Morgante XXV, Str. 150) bezeugt die menschliche Willensfreiheit und die göttliche Gerechtigkeit.
macht hat, als verſtehe ſich die Sache ganz von ſelbſt.6. Abſchnitt. Anders verhält es ſich mit der religiöſen und philoſophiſchen Lehre, welche ſich in der Lage befindet, die Natur des menſchlichen Willens mit den großen Weltgeſetzen in Ein- klang bringen zu müſſen. Hier ergiebt ſich ein Mehr oder Weniger, wonach ſich die Taxirung der Sittlichkeit über- haupt richtet. Dante iſt nicht völlig unabhängig von den aſtrologiſchen Wahngebilden, welche den damaligen Horizont mit falſchem Lichte erhellen, aber er rafft ſich nach Kräften empor zu einer würdigen Anſchauung des menſchlichen We- ſens. „Die Geſtirne, läßt er 1) ſeinen Marco Lombardo ſagen, geben wohl die erſten Antriebe zu euerm Thun, aber Licht iſt euch gegeben über Gutes und Böſes, und freier Wille, der nach anfänglichem Kampf mit den Geſtirnen Alles beſiegt, wenn er richtig genährt wird.“
Andere mochten die der Freiheit gegenüberſtehende Nothwendigkeit in einer andern Potenz ſuchen als in den Sternen — jedenfalls war die Frage ſeitdem eine offene, nicht mehr zu umgehende. Soweit ſie eine Frage der Schu- len, oder vollends nur eine Beſchäftigung iſolirter Denker blieb, dürfen wir dafür auf die Geſchichten der Philoſophie verweiſen. Sofern ſie aber in das Bewußtſein weiterer Kreiſe überging, wird noch davon die Rede ſein müſſen.
Das XIV. Jahrhundert ließ ſich vorzüglich durch die philoſophiſchen Schriften Cicero's anregen, welcher bekannt- lich als Eklektiker galt, aber als Skeptiker wirkte, weil er die Theorien verſchiedener Schulen vorträgt ohne genügende Abſchlüſſe beizufügen. In zweiter Linie kommen Seneca und die wenigen in's Lateiniſche überſetzten Schriften des Ariſtoteles. Die Frucht dieſes Studiums war einſtweilen
1)Purgatorio XVI, 73. Womit die Theorie des Planeteneinfluſſes im Convito zu vergleichen. — Auch der Dämon Aſtarotte bei Pulci (Morgante XXV, Str. 150) bezeugt die menſchliche Willensfreiheit und die göttliche Gerechtigkeit.
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Anders verhält es ſich mit der religiöſen und philoſophiſchen
Lehre, welche ſich in der Lage befindet, die Natur des
menſchlichen Willens mit den großen Weltgeſetzen in Ein-
klang bringen zu müſſen. Hier ergiebt ſich ein Mehr oder
Weniger, wonach ſich die Taxirung der Sittlichkeit über-
haupt richtet. Dante iſt nicht völlig unabhängig von den
aſtrologiſchen Wahngebilden, welche den damaligen Horizont
mit falſchem Lichte erhellen, aber er rafft ſich nach Kräften
empor zu einer würdigen Anſchauung des menſchlichen We-
ſens. „Die Geſtirne, läßt er 1) ſeinen Marco Lombardo
ſagen, geben wohl die erſten Antriebe zu euerm Thun, aber
Licht iſt euch gegeben über Gutes und Böſes, und freier
Wille, der nach anfänglichem Kampf mit den Geſtirnen
Alles beſiegt, wenn er richtig genährt wird.“
6. Abſchnitt.
Andere mochten die der Freiheit gegenüberſtehende
Nothwendigkeit in einer andern Potenz ſuchen als in den
Sternen — jedenfalls war die Frage ſeitdem eine offene,
nicht mehr zu umgehende. Soweit ſie eine Frage der Schu-
len, oder vollends nur eine Beſchäftigung iſolirter Denker
blieb, dürfen wir dafür auf die Geſchichten der Philoſophie
verweiſen. Sofern ſie aber in das Bewußtſein weiterer
Kreiſe überging, wird noch davon die Rede ſein müſſen.
Das XIV. Jahrhundert ließ ſich vorzüglich durch die
philoſophiſchen Schriften Cicero's anregen, welcher bekannt-
lich als Eklektiker galt, aber als Skeptiker wirkte, weil er
die Theorien verſchiedener Schulen vorträgt ohne genügende
Abſchlüſſe beizufügen. In zweiter Linie kommen Seneca
und die wenigen in's Lateiniſche überſetzten Schriften des
Ariſtoteles. Die Frucht dieſes Studiums war einſtweilen
1) Purgatorio XVI, 73. Womit die Theorie des Planeteneinfluſſes
im Convito zu vergleichen. — Auch der Dämon Aſtarotte bei Pulci
(Morgante XXV, Str. 150) bezeugt die menſchliche Willensfreiheit
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/513>, abgerufen am 24.11.2024.
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