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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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allein ihre wesentlich literarischen Zwecke benehmen ihnen6. Abschnitt.
ein gutes Theil der Beweiskraft. Diejenigen italienisch ab-
gefaßten Gedichte des XV. Jahrhunderts 1) und des be-
ginnenden XVI., aus welchen eine unmittelbare Religiosität
zu uns spricht, könnten meist auch von Protestanten ge-
schrieben sein; so die betreffenden Hymnen etc. des Lorenzo
magnifico, die Sonette der Vittoria Colonna, des Michel-
angelo u. s. w. Abgesehen von dem lyrischen Ausdruck des
Theismus redet meist das Gefühl der Sünde, das Bewußt-
sein der Erlösung durch den Tod Christi, die Sehnsucht
nach der höhern Welt, wobei die Fürbitte der Mutter
Gottes nur ganz ausnahmsweise erwähnt 2) wird. Es ist
dasselbe Phänomen, welches sich in der classischen Bildung
der Franzosen, in der Literatur Ludwigs XIV. wiederholt.
Erst die Gegenreformation brachte in Italien den Marien-
dienst wieder in die Kunstdichtung zurück. Freilich hatte
inzwischen die bildende Kunst das Höchste gethan zur Ver-
herrlichung der Madonna. Der Heiligendienst endlich nahm
bei den Gebildeten nicht selten (S. 56, ff., 261) eine wesentlich
heidnische Farbe an.

Wir könnten nun noch verschiedene Seiten des dama-
ligen italienischen Catholicismus auf diese Weise prüfend
durchgehen und das vermuthliche Verhältniß der Gebildeten
zum Volksglauben bis zu einem gewissen Grade von Wahr-
scheinlichkeit ermitteln, ohne doch je zu einem durchgreifendenSchwankungen
im Cultus.

Resultat zu gelangen. Es giebt schwer zu deutende Con-

opera, p. 964 abgedruckt ist und der sich von Jugend auf unter
dem besondern Schutz der Maria glaubte. Jac. Card. Papiens.,
de morte Pii, p. 656.
1) Also aus der Zeit da Sixtus IV. sich für die unbefleckte Empfäng-
niß ereiferte. Extravag. commun. L. III, Tit. XII. Er stiftete
auch das Fest der Darstellung Mariä im Tempel, das der heil. Anna
und des heil. Joseph. Vgl. Trithem. Ann. Hirsaug. II, p. 518.
2) Höchst belehrend sind hiefür die wenigen und kühlen Madonnensonette
der Vittoria. (N. 85 u. ff.)

allein ihre weſentlich literariſchen Zwecke benehmen ihnen6. Abſchnitt.
ein gutes Theil der Beweiskraft. Diejenigen italieniſch ab-
gefaßten Gedichte des XV. Jahrhunderts 1) und des be-
ginnenden XVI., aus welchen eine unmittelbare Religioſität
zu uns ſpricht, könnten meiſt auch von Proteſtanten ge-
ſchrieben ſein; ſo die betreffenden Hymnen ꝛc. des Lorenzo
magnifico, die Sonette der Vittoria Colonna, des Michel-
angelo u. ſ. w. Abgeſehen von dem lyriſchen Ausdruck des
Theismus redet meiſt das Gefühl der Sünde, das Bewußt-
ſein der Erlöſung durch den Tod Chriſti, die Sehnſucht
nach der höhern Welt, wobei die Fürbitte der Mutter
Gottes nur ganz ausnahmsweiſe erwähnt 2) wird. Es iſt
daſſelbe Phänomen, welches ſich in der claſſiſchen Bildung
der Franzoſen, in der Literatur Ludwigs XIV. wiederholt.
Erſt die Gegenreformation brachte in Italien den Marien-
dienſt wieder in die Kunſtdichtung zurück. Freilich hatte
inzwiſchen die bildende Kunſt das Höchſte gethan zur Ver-
herrlichung der Madonna. Der Heiligendienſt endlich nahm
bei den Gebildeten nicht ſelten (S. 56, ff., 261) eine weſentlich
heidniſche Farbe an.

Wir könnten nun noch verſchiedene Seiten des dama-
ligen italieniſchen Catholicismus auf dieſe Weiſe prüfend
durchgehen und das vermuthliche Verhältniß der Gebildeten
zum Volksglauben bis zu einem gewiſſen Grade von Wahr-
ſcheinlichkeit ermitteln, ohne doch je zu einem durchgreifendenSchwankungen
im Cultus.

Reſultat zu gelangen. Es giebt ſchwer zu deutende Con-

opera, p. 964 abgedruckt iſt und der ſich von Jugend auf unter
dem beſondern Schutz der Maria glaubte. Jac. Card. Papiens.,
de morte Pii, p. 656.
1) Alſo aus der Zeit da Sixtus IV. ſich für die unbefleckte Empfäng-
niß ereiferte. Extravag. commun. L. III, Tit. XII. Er ſtiftete
auch das Feſt der Darſtellung Mariä im Tempel, das der heil. Anna
und des heil. Joſeph. Vgl. Trithem. Ann. Hirsaug. II, p. 518.
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[489/0499] allein ihre weſentlich literariſchen Zwecke benehmen ihnen ein gutes Theil der Beweiskraft. Diejenigen italieniſch ab- gefaßten Gedichte des XV. Jahrhunderts 1) und des be- ginnenden XVI., aus welchen eine unmittelbare Religioſität zu uns ſpricht, könnten meiſt auch von Proteſtanten ge- ſchrieben ſein; ſo die betreffenden Hymnen ꝛc. des Lorenzo magnifico, die Sonette der Vittoria Colonna, des Michel- angelo u. ſ. w. Abgeſehen von dem lyriſchen Ausdruck des Theismus redet meiſt das Gefühl der Sünde, das Bewußt- ſein der Erlöſung durch den Tod Chriſti, die Sehnſucht nach der höhern Welt, wobei die Fürbitte der Mutter Gottes nur ganz ausnahmsweiſe erwähnt 2) wird. Es iſt daſſelbe Phänomen, welches ſich in der claſſiſchen Bildung der Franzoſen, in der Literatur Ludwigs XIV. wiederholt. Erſt die Gegenreformation brachte in Italien den Marien- dienſt wieder in die Kunſtdichtung zurück. Freilich hatte inzwiſchen die bildende Kunſt das Höchſte gethan zur Ver- herrlichung der Madonna. Der Heiligendienſt endlich nahm bei den Gebildeten nicht ſelten (S. 56, ff., 261) eine weſentlich heidniſche Farbe an. 6. Abſchnitt. Wir könnten nun noch verſchiedene Seiten des dama- ligen italieniſchen Catholicismus auf dieſe Weiſe prüfend durchgehen und das vermuthliche Verhältniß der Gebildeten zum Volksglauben bis zu einem gewiſſen Grade von Wahr- ſcheinlichkeit ermitteln, ohne doch je zu einem durchgreifenden Reſultat zu gelangen. Es giebt ſchwer zu deutende Con- 3) Schwankungen im Cultus. 1) Alſo aus der Zeit da Sixtus IV. ſich für die unbefleckte Empfäng- niß ereiferte. Extravag. commun. L. III, Tit. XII. Er ſtiftete auch das Feſt der Darſtellung Mariä im Tempel, das der heil. Anna und des heil. Joſeph. Vgl. Trithem. Ann. Hirsaug. II, p. 518. 2) Höchſt belehrend ſind hiefür die wenigen und kühlen Madonnenſonette der Vittoria. (N. 85 u. ff.) 3) opera, p. 964 abgedruckt iſt und der ſich von Jugend auf unter dem beſondern Schutz der Maria glaubte. Jac. Card. Papiens., de morte Pii, p. 656.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/499>, abgerufen am 23.04.2024.