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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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6. Abschnitt.Reihe, von den uralten oder für uralt geltenden "Malereien
des St. Lucas" bis zu den Arbeiten von Zeitgenossen, welche
die Mirakel ihrer Bilder nicht selten noch erleben konnten.
Das Kunstwerk ist hier gar nicht so harmlos wie Battista
Mantovano 1) glaubt; es gewinnt je nach Umständen plötz-
lich eine magische Gewalt. Das populäre Wunderbedürfniß,
zumal der Frauen, mag dabei vollständig gestillt worden
sein und schon deßhalb der Reliquien wenig mehr geachtet
haben. Inwiefern dann noch der Spott der Novellisten
gegen falsche Reliquien auch den für echt geltenden Eintrag
that 2), mag auf sich beruhen.

und bei den Ge-
bildeten.
Das Verhältniß der Gebildeten zum Mariendienst
zeichnet sich dann schon etwas klarer als das zum Reliquien-
dienst. Es darf zunächst auffallen, daß in der Literatur
Dante mit seinem Paradies eigentlich der letzte bedeutende
Mariendichter der Italiener geblieben ist, während im Volk
die Madonnenlieder bis auf den heutigen Tag neu hervor-
gebracht werden. Man wird vielleicht Sannazaro, Sabel-
lico 3) und andere lateinische Dichter namhaft machen wollen,

1) Die merkwürdige Aussage, aus seinem späten Werke de sacris die-
bus (L. I.)
bezieht sich freilich auf weltliche und geistliche Kunst
zugleich. Bei den Hebräern, meint er, sei mit Recht alles Bildwerk
verdammt gewesen, weil sie sonst in den ringsherrschenden Götzen-
oder Teufelsdienst wieder zurückgefallen wären:
Nunc autem, postquam penitus natura SatanumCognita, et antiqua sine maiestate relicta est,Nulla ferunt nobis statuae discrimina, nullosFert pictura dolos; iam sunt innoxia signa;Sunt modo virtutum testes monimentaque laudumMarmora, et aeternae decora immortalia famae ...
2) So klagt Battista Mantovano (de sacris diebus, L. V.) über ge-
wisse "nebulones", welche an die Echtheit des heil. Blutes zu
Mantua nicht glauben wollten. Auch diejenige Kritik, welche bereits
die Schenkung Constantins bestritt, war sicher den Reliquien un-
günstig, wenn auch im Stillen.
3) Vielleicht auch Pius II, dessen Elegie auf die h. Jungfrau in den

6. Abſchnitt.Reihe, von den uralten oder für uralt geltenden „Malereien
des St. Lucas“ bis zu den Arbeiten von Zeitgenoſſen, welche
die Mirakel ihrer Bilder nicht ſelten noch erleben konnten.
Das Kunſtwerk iſt hier gar nicht ſo harmlos wie Battiſta
Mantovano 1) glaubt; es gewinnt je nach Umſtänden plötz-
lich eine magiſche Gewalt. Das populäre Wunderbedürfniß,
zumal der Frauen, mag dabei vollſtändig geſtillt worden
ſein und ſchon deßhalb der Reliquien wenig mehr geachtet
haben. Inwiefern dann noch der Spott der Novelliſten
gegen falſche Reliquien auch den für echt geltenden Eintrag
that 2), mag auf ſich beruhen.

und bei den Ge-
bildeten.
Das Verhältniß der Gebildeten zum Mariendienſt
zeichnet ſich dann ſchon etwas klarer als das zum Reliquien-
dienſt. Es darf zunächſt auffallen, daß in der Literatur
Dante mit ſeinem Paradies eigentlich der letzte bedeutende
Mariendichter der Italiener geblieben iſt, während im Volk
die Madonnenlieder bis auf den heutigen Tag neu hervor-
gebracht werden. Man wird vielleicht Sannazaro, Sabel-
lico 3) und andere lateiniſche Dichter namhaft machen wollen,

1) Die merkwürdige Ausſage, aus ſeinem ſpäten Werke de sacris die-
bus (L. I.)
bezieht ſich freilich auf weltliche und geiſtliche Kunſt
zugleich. Bei den Hebräern, meint er, ſei mit Recht alles Bildwerk
verdammt geweſen, weil ſie ſonſt in den ringsherrſchenden Götzen-
oder Teufelsdienſt wieder zurückgefallen wären:
Nunc autem, postquam penitus natura SatanumCognita, et antiqua sine maiestate relicta est,Nulla ferunt nobis statuæ discrimina, nullosFert pictura dolos; iam sunt innoxia signa;Sunt modo virtutum testes monimentaque laudumMarmora, et æternæ decora immortalia famæ …
2) So klagt Battiſta Mantovano (de sacris diebus, L. V.) über ge-
wiſſe „nebulones“, welche an die Echtheit des heil. Blutes zu
Mantua nicht glauben wollten. Auch diejenige Kritik, welche bereits
die Schenkung Conſtantins beſtritt, war ſicher den Reliquien un-
günſtig, wenn auch im Stillen.
3) Vielleicht auch Pius II, deſſen Elegie auf die h. Jungfrau in den
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[488/0498] Reihe, von den uralten oder für uralt geltenden „Malereien des St. Lucas“ bis zu den Arbeiten von Zeitgenoſſen, welche die Mirakel ihrer Bilder nicht ſelten noch erleben konnten. Das Kunſtwerk iſt hier gar nicht ſo harmlos wie Battiſta Mantovano 1) glaubt; es gewinnt je nach Umſtänden plötz- lich eine magiſche Gewalt. Das populäre Wunderbedürfniß, zumal der Frauen, mag dabei vollſtändig geſtillt worden ſein und ſchon deßhalb der Reliquien wenig mehr geachtet haben. Inwiefern dann noch der Spott der Novelliſten gegen falſche Reliquien auch den für echt geltenden Eintrag that 2), mag auf ſich beruhen. 6. Abſchnitt. Das Verhältniß der Gebildeten zum Mariendienſt zeichnet ſich dann ſchon etwas klarer als das zum Reliquien- dienſt. Es darf zunächſt auffallen, daß in der Literatur Dante mit ſeinem Paradies eigentlich der letzte bedeutende Mariendichter der Italiener geblieben iſt, während im Volk die Madonnenlieder bis auf den heutigen Tag neu hervor- gebracht werden. Man wird vielleicht Sannazaro, Sabel- lico 3) und andere lateiniſche Dichter namhaft machen wollen, und bei den Ge- bildeten. 1) Die merkwürdige Ausſage, aus ſeinem ſpäten Werke de sacris die- bus (L. I.) bezieht ſich freilich auf weltliche und geiſtliche Kunſt zugleich. Bei den Hebräern, meint er, ſei mit Recht alles Bildwerk verdammt geweſen, weil ſie ſonſt in den ringsherrſchenden Götzen- oder Teufelsdienſt wieder zurückgefallen wären: Nunc autem, postquam penitus natura Satanum Cognita, et antiqua sine maiestate relicta est, Nulla ferunt nobis statuæ discrimina, nullos Fert pictura dolos; iam sunt innoxia signa; Sunt modo virtutum testes monimentaque laudum Marmora, et æternæ decora immortalia famæ … 2) So klagt Battiſta Mantovano (de sacris diebus, L. V.) über ge- wiſſe „nebulones“, welche an die Echtheit des heil. Blutes zu Mantua nicht glauben wollten. Auch diejenige Kritik, welche bereits die Schenkung Conſtantins beſtritt, war ſicher den Reliquien un- günſtig, wenn auch im Stillen. 3) Vielleicht auch Pius II, deſſen Elegie auf die h. Jungfrau in den

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/498>, abgerufen am 24.04.2024.