Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

6. Abschnitt.auf dem Lande noch dieß und jenes vor, worin sich ein
bewußter Rest heidnischen Glaubens gar nicht verkennen
ließ. So das Hinstellen von Speise für die Todten, vier
Tage vor Petri Stuhlfeier, also noch am Tage der alten
Feralien, 18. Februar 1). Manches andere dieser Art mag
damals noch in Uebung gewesen und erst seither ausgerottet
worden sein. Vielleicht ist es nur scheinbar paradox zu
sagen, daß der populäre Glaube in Italien ganz besonders
fest gegründet war, so weit er Heidenthum war.

Wie weit nun die Herrschaft dieser Art von Glauben
sich auch in die obern Stände erstreckte, ließe sich wohl bis
zu einem gewissen Puncte näher nachweisen. Derselbe hatte,
wie bereits bei Anlaß des Verhältnisses zum Clerus bemerkt
wurde, die Macht der Gewöhnung und der frühen Ein-
drücke für sich; auch die Liebe zum kirchlichen Festpomp
wirkte mit, und hie und da kam eine jener großen Buß-
epidemien hinzu, welchen auch Spötter und Läugner schwer
widerstehen konnten.

Der Reliquien-
glaube.
Es ist aber bedenklich, in diesen Fragen rasch auf
durchgehende Resultate hinzusteuern. Man sollte z. B.
meinen, daß das Verhalten der Gebildeten zu den Reli-
quien von Heiligen einen Schlüssel gewähren müsse, der

1) Bapt. Mantuan. de sacris diebus, L. II. rust aus:
Ista superstitio, ducens a Manibus ortum
Tartareis, sancta de relligione facessat
Christigenaum! vivis epulas date, sacra sepultis.
Ein Jahrhundert vorher, als das Executionsheer Johann's XXII.
gegen die Ghibellinen in der Mark zog, geschah es unter ausdrück-
licher Anklage auf eresia und idolatria; Recanati, das sich frei-
willig ergeben, wurde doch verbrannt, "weil daselbst Idole angebetet
worden waren". Giov. Villani, IX, 139. 141. -- Eine geheim-
nißvolle Anspielung auf eine Idolatria del Toro in Rom findet sich
in dem Brief des Negri, Lettere de' principi, I, vom 14. August
1522. -- Unter Pius II. kommt ein hartnäckiger Sonnenanbeter,
Urbinate von Geburt, zum Vorschein. Aen. Sylvii opera p. 289.
Hist. rer. ubique gestar. c.
12.

6. Abſchnitt.auf dem Lande noch dieß und jenes vor, worin ſich ein
bewußter Reſt heidniſchen Glaubens gar nicht verkennen
ließ. So das Hinſtellen von Speiſe für die Todten, vier
Tage vor Petri Stuhlfeier, alſo noch am Tage der alten
Feralien, 18. Februar 1). Manches andere dieſer Art mag
damals noch in Uebung geweſen und erſt ſeither ausgerottet
worden ſein. Vielleicht iſt es nur ſcheinbar paradox zu
ſagen, daß der populäre Glaube in Italien ganz beſonders
feſt gegründet war, ſo weit er Heidenthum war.

Wie weit nun die Herrſchaft dieſer Art von Glauben
ſich auch in die obern Stände erſtreckte, ließe ſich wohl bis
zu einem gewiſſen Puncte näher nachweiſen. Derſelbe hatte,
wie bereits bei Anlaß des Verhältniſſes zum Clerus bemerkt
wurde, die Macht der Gewöhnung und der frühen Ein-
drücke für ſich; auch die Liebe zum kirchlichen Feſtpomp
wirkte mit, und hie und da kam eine jener großen Buß-
epidemien hinzu, welchen auch Spötter und Läugner ſchwer
widerſtehen konnten.

Der Reliquien-
glaube.
Es iſt aber bedenklich, in dieſen Fragen raſch auf
durchgehende Reſultate hinzuſteuern. Man ſollte z. B.
meinen, daß das Verhalten der Gebildeten zu den Reli-
quien von Heiligen einen Schlüſſel gewähren müſſe, der

1) Bapt. Mantuan. de sacris diebus, L. II. ruſt aus:
Ista superstitio, ducens a Manibus ortum
Tartareis, sancta de relligione facessat
Christigenûm! vivis epulas date, sacra sepultis.
Ein Jahrhundert vorher, als das Executionsheer Johann's XXII.
gegen die Ghibellinen in der Mark zog, geſchah es unter ausdrück-
licher Anklage auf eresia und idolatria; Recanati, das ſich frei-
willig ergeben, wurde doch verbrannt, „weil daſelbſt Idole angebetet
worden waren“. Giov. Villani, IX, 139. 141. — Eine geheim-
nißvolle Anſpielung auf eine Idolatria del Toro in Rom findet ſich
in dem Brief des Negri, Lettere de' principi, I, vom 14. Auguſt
1522. — Unter Pius II. kommt ein hartnäckiger Sonnenanbeter,
Urbinate von Geburt, zum Vorſchein. Aen. Sylvii opera p. 289.
Hist. rer. ubique gestar. c.
12.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0494" n="484"/><note place="left"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">6. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note>auf dem Lande noch dieß und jenes vor, worin &#x017F;ich ein<lb/>
bewußter Re&#x017F;t heidni&#x017F;chen Glaubens gar nicht verkennen<lb/>
ließ. So das Hin&#x017F;tellen von Spei&#x017F;e für die Todten, vier<lb/>
Tage vor Petri Stuhlfeier, al&#x017F;o noch am Tage der alten<lb/>
Feralien, 18. Februar <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Bapt. Mantuan. de sacris diebus, L. II.</hi> ru&#x017F;t aus:<lb/><lg type="poem"><l><hi rendition="#aq">Ista superstitio, ducens a Manibus ortum</hi></l><lb/><l><hi rendition="#aq">Tartareis, sancta de relligione facessat</hi></l><lb/><l><hi rendition="#aq">Christigenûm! vivis epulas date, sacra sepultis.</hi></l></lg><lb/>
Ein Jahrhundert vorher, als das Executionsheer Johann's <hi rendition="#aq">XXII.</hi><lb/>
gegen die Ghibellinen in der Mark zog, ge&#x017F;chah es unter ausdrück-<lb/>
licher Anklage auf <hi rendition="#aq">eresia</hi> und <hi rendition="#aq">idolatria;</hi> Recanati, das &#x017F;ich frei-<lb/>
willig ergeben, wurde doch verbrannt, &#x201E;weil da&#x017F;elb&#x017F;t Idole angebetet<lb/>
worden waren&#x201C;. <hi rendition="#aq">Giov. Villani, IX,</hi> 139. 141. &#x2014; Eine geheim-<lb/>
nißvolle An&#x017F;pielung auf eine <hi rendition="#aq">Idolatria del Toro</hi> in Rom findet &#x017F;ich<lb/>
in dem Brief des Negri, <hi rendition="#aq">Lettere de' principi, I,</hi> vom 14. Augu&#x017F;t<lb/>
1522. &#x2014; Unter Pius <hi rendition="#aq">II.</hi> kommt ein hartnäckiger Sonnenanbeter,<lb/>
Urbinate von Geburt, zum Vor&#x017F;chein. <hi rendition="#aq">Aen. Sylvii opera p. 289.<lb/>
Hist. rer. ubique gestar. c.</hi> 12.</note>. Manches andere die&#x017F;er Art mag<lb/>
damals noch in Uebung gewe&#x017F;en und er&#x017F;t &#x017F;either ausgerottet<lb/>
worden &#x017F;ein. Vielleicht i&#x017F;t es nur &#x017F;cheinbar paradox zu<lb/>
&#x017F;agen, daß der populäre Glaube in Italien ganz be&#x017F;onders<lb/>
fe&#x017F;t gegründet war, &#x017F;o weit er Heidenthum war.</p><lb/>
        <p>Wie weit nun die Herr&#x017F;chaft die&#x017F;er Art von Glauben<lb/>
&#x017F;ich auch in die obern Stände er&#x017F;treckte, ließe &#x017F;ich wohl bis<lb/>
zu einem gewi&#x017F;&#x017F;en Puncte näher nachwei&#x017F;en. Der&#x017F;elbe hatte,<lb/>
wie bereits bei Anlaß des Verhältni&#x017F;&#x017F;es zum Clerus bemerkt<lb/>
wurde, die Macht der Gewöhnung und der frühen Ein-<lb/>
drücke für &#x017F;ich; auch die Liebe zum kirchlichen Fe&#x017F;tpomp<lb/>
wirkte mit, und hie und da kam eine jener großen Buß-<lb/>
epidemien hinzu, welchen auch Spötter und Läugner &#x017F;chwer<lb/>
wider&#x017F;tehen konnten.</p><lb/>
        <p><note place="left">Der Reliquien-<lb/>
glaube.</note>Es i&#x017F;t aber bedenklich, in die&#x017F;en Fragen ra&#x017F;ch auf<lb/>
durchgehende Re&#x017F;ultate hinzu&#x017F;teuern. Man &#x017F;ollte z. B.<lb/>
meinen, daß das Verhalten der Gebildeten zu den Reli-<lb/>
quien von Heiligen einen Schlü&#x017F;&#x017F;el gewähren mü&#x017F;&#x017F;e, der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[484/0494] auf dem Lande noch dieß und jenes vor, worin ſich ein bewußter Reſt heidniſchen Glaubens gar nicht verkennen ließ. So das Hinſtellen von Speiſe für die Todten, vier Tage vor Petri Stuhlfeier, alſo noch am Tage der alten Feralien, 18. Februar 1). Manches andere dieſer Art mag damals noch in Uebung geweſen und erſt ſeither ausgerottet worden ſein. Vielleicht iſt es nur ſcheinbar paradox zu ſagen, daß der populäre Glaube in Italien ganz beſonders feſt gegründet war, ſo weit er Heidenthum war. 6. Abſchnitt. Wie weit nun die Herrſchaft dieſer Art von Glauben ſich auch in die obern Stände erſtreckte, ließe ſich wohl bis zu einem gewiſſen Puncte näher nachweiſen. Derſelbe hatte, wie bereits bei Anlaß des Verhältniſſes zum Clerus bemerkt wurde, die Macht der Gewöhnung und der frühen Ein- drücke für ſich; auch die Liebe zum kirchlichen Feſtpomp wirkte mit, und hie und da kam eine jener großen Buß- epidemien hinzu, welchen auch Spötter und Läugner ſchwer widerſtehen konnten. Es iſt aber bedenklich, in dieſen Fragen raſch auf durchgehende Reſultate hinzuſteuern. Man ſollte z. B. meinen, daß das Verhalten der Gebildeten zu den Reli- quien von Heiligen einen Schlüſſel gewähren müſſe, der Der Reliquien- glaube. 1) Bapt. Mantuan. de sacris diebus, L. II. ruſt aus: Ista superstitio, ducens a Manibus ortum Tartareis, sancta de relligione facessat Christigenûm! vivis epulas date, sacra sepultis. Ein Jahrhundert vorher, als das Executionsheer Johann's XXII. gegen die Ghibellinen in der Mark zog, geſchah es unter ausdrück- licher Anklage auf eresia und idolatria; Recanati, das ſich frei- willig ergeben, wurde doch verbrannt, „weil daſelbſt Idole angebetet worden waren“. Giov. Villani, IX, 139. 141. — Eine geheim- nißvolle Anſpielung auf eine Idolatria del Toro in Rom findet ſich in dem Brief des Negri, Lettere de' principi, I, vom 14. Auguſt 1522. — Unter Pius II. kommt ein hartnäckiger Sonnenanbeter, Urbinate von Geburt, zum Vorſchein. Aen. Sylvii opera p. 289. Hist. rer. ubique gestar. c. 12.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/494
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/494>, abgerufen am 25.11.2024.