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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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6. Abschnitt.nach Italien kam und die Medici vertrieben wurden, wie
Savonarola mit klaren Worten geweissagt hatte, glaubte
man nur noch ihm.

Und hier muß nun zugestanden werden, daß er gegen
seine eigenen Ahnungen und Visionen keine Kritik übte und
gegen diejenigen Anderer eine ziemlich strenge. In der Leichen-
rede auf Pico della Mirandola geht er mit dem verstorbenen
Freunde etwas unbarmherzig um. Weil Pico trotz einer
innern Stimme, die von Gott kam, doch nicht in den Orden
treten wollte, habe er selber Gott gebeten, Jenen etwas zu
züchtigen; seinen Tod aber habe er wahrlich nicht gewünscht;
nun sei durch Almosen und Gebet so viel erwirkt, daß die
Seele sich einstweilen im Fegefeuer befinde. In Betreff
einer tröstlichen Vision, die Pico auf dem Krankenbette ge-
habt, wobei ihm die Madonna erschien und versprach, er
solle nicht sterben, gesteht Savonarola, er habe es lange für
eine dämonische Täuschung gehalten, bis ihm geoffenbart
worden sei, die Madonna habe den zweiten Tod, nämlich
den ewigen gemeint. -- Wenn dieß und Aehnliches Ueber-
hebung war, so hat dieses große Gemüth wenigstens dafür
gebüßt so bitter es dafür büßen konnte: in seinen letzten
Tagen scheint Savonarola die Nichtigkeit seiner Gesichte
und Weissagungen erkannt zu haben, und doch blieb ihm
innerer Friede genug übrig um in heiliger Stimmung zum
Tode zu gehen. Seine Anhänger aber hielten außer seiner
Lehre auch seine Prophezeiungen noch drei Jahrzehnde hin-
durch fest.

Seine
Verfassung.
Als Reorganisator des Staates hatte er nur gearbeitet,
weil sonst statt seiner feindselige Kräfte sich der Sache be-
mächtigt haben würden. Es ist unbillig, ihn nach der
halbdemocratischen Verfassung (S. 85, Anm.) vom Anfang
des Jahres 1495 zu beurtheilen. Sie ist nicht besser und
nicht schlechter als andere florentinische Verfassungen auch 1).

1) Savonarola wäre vielleicht der Einzige gewesen, der den Unterthanen-
städten die Freiheit wiedergeben und dennoch den Zusammenhalt

6. Abſchnitt.nach Italien kam und die Medici vertrieben wurden, wie
Savonarola mit klaren Worten geweiſſagt hatte, glaubte
man nur noch ihm.

Und hier muß nun zugeſtanden werden, daß er gegen
ſeine eigenen Ahnungen und Viſionen keine Kritik übte und
gegen diejenigen Anderer eine ziemlich ſtrenge. In der Leichen-
rede auf Pico della Mirandola geht er mit dem verſtorbenen
Freunde etwas unbarmherzig um. Weil Pico trotz einer
innern Stimme, die von Gott kam, doch nicht in den Orden
treten wollte, habe er ſelber Gott gebeten, Jenen etwas zu
züchtigen; ſeinen Tod aber habe er wahrlich nicht gewünſcht;
nun ſei durch Almoſen und Gebet ſo viel erwirkt, daß die
Seele ſich einſtweilen im Fegefeuer befinde. In Betreff
einer tröſtlichen Viſion, die Pico auf dem Krankenbette ge-
habt, wobei ihm die Madonna erſchien und verſprach, er
ſolle nicht ſterben, geſteht Savonarola, er habe es lange für
eine dämoniſche Täuſchung gehalten, bis ihm geoffenbart
worden ſei, die Madonna habe den zweiten Tod, nämlich
den ewigen gemeint. — Wenn dieß und Aehnliches Ueber-
hebung war, ſo hat dieſes große Gemüth wenigſtens dafür
gebüßt ſo bitter es dafür büßen konnte: in ſeinen letzten
Tagen ſcheint Savonarola die Nichtigkeit ſeiner Geſichte
und Weiſſagungen erkannt zu haben, und doch blieb ihm
innerer Friede genug übrig um in heiliger Stimmung zum
Tode zu gehen. Seine Anhänger aber hielten außer ſeiner
Lehre auch ſeine Prophezeiungen noch drei Jahrzehnde hin-
durch feſt.

Seine
Verfaſſung.
Als Reorganiſator des Staates hatte er nur gearbeitet,
weil ſonſt ſtatt ſeiner feindſelige Kräfte ſich der Sache be-
mächtigt haben würden. Es iſt unbillig, ihn nach der
halbdemocratiſchen Verfaſſung (S. 85, Anm.) vom Anfang
des Jahres 1495 zu beurtheilen. Sie iſt nicht beſſer und
nicht ſchlechter als andere florentiniſche Verfaſſungen auch 1).

1) Savonarola wäre vielleicht der Einzige geweſen, der den Unterthanen-
ſtädten die Freiheit wiedergeben und dennoch den Zuſammenhalt
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[478/0488] nach Italien kam und die Medici vertrieben wurden, wie Savonarola mit klaren Worten geweiſſagt hatte, glaubte man nur noch ihm. 6. Abſchnitt. Und hier muß nun zugeſtanden werden, daß er gegen ſeine eigenen Ahnungen und Viſionen keine Kritik übte und gegen diejenigen Anderer eine ziemlich ſtrenge. In der Leichen- rede auf Pico della Mirandola geht er mit dem verſtorbenen Freunde etwas unbarmherzig um. Weil Pico trotz einer innern Stimme, die von Gott kam, doch nicht in den Orden treten wollte, habe er ſelber Gott gebeten, Jenen etwas zu züchtigen; ſeinen Tod aber habe er wahrlich nicht gewünſcht; nun ſei durch Almoſen und Gebet ſo viel erwirkt, daß die Seele ſich einſtweilen im Fegefeuer befinde. In Betreff einer tröſtlichen Viſion, die Pico auf dem Krankenbette ge- habt, wobei ihm die Madonna erſchien und verſprach, er ſolle nicht ſterben, geſteht Savonarola, er habe es lange für eine dämoniſche Täuſchung gehalten, bis ihm geoffenbart worden ſei, die Madonna habe den zweiten Tod, nämlich den ewigen gemeint. — Wenn dieß und Aehnliches Ueber- hebung war, ſo hat dieſes große Gemüth wenigſtens dafür gebüßt ſo bitter es dafür büßen konnte: in ſeinen letzten Tagen ſcheint Savonarola die Nichtigkeit ſeiner Geſichte und Weiſſagungen erkannt zu haben, und doch blieb ihm innerer Friede genug übrig um in heiliger Stimmung zum Tode zu gehen. Seine Anhänger aber hielten außer ſeiner Lehre auch ſeine Prophezeiungen noch drei Jahrzehnde hin- durch feſt. Als Reorganiſator des Staates hatte er nur gearbeitet, weil ſonſt ſtatt ſeiner feindſelige Kräfte ſich der Sache be- mächtigt haben würden. Es iſt unbillig, ihn nach der halbdemocratiſchen Verfaſſung (S. 85, Anm.) vom Anfang des Jahres 1495 zu beurtheilen. Sie iſt nicht beſſer und nicht ſchlechter als andere florentiniſche Verfaſſungen auch 1). Seine Verfaſſung. 1) Savonarola wäre vielleicht der Einzige geweſen, der den Unterthanen- ſtädten die Freiheit wiedergeben und dennoch den Zuſammenhalt

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/488>, abgerufen am 28.03.2024.