Er war zu solchen Dingen im Grunde der ungeeig-6. Abschnitt. netste Mensch, den man finden konnte. Sein wirkliches Ideal war eine Theocratie, bei welcher sich Alles in seliger Demuth vor dem Unsichtbaren beugt und alle Conflicte der Leidenschaft von vornherein abgeschnitten sind. Sein ganzer Sinn liegt in jener Inschrift des Signorenpalastes, deren Inhalt schon Ende 1495 sein Wahlspruch war 1), und die 1527 von seinen Anhängern erneuert wurde: "Jesus Chri- stus Rex populi florentini S. P. Q. decreto creatus." Zum Erdenleben und seinen Bedingungen hatte er so wenig ein Verhältniß als irgend ein echter und strenger Mönch. Der Mensch soll sich nach seiner Ansicht nur mit dem ab- geben was mit dem Seelenheil in unmittelbarer Verbin- dung steht.
Wie deutlich verräth sich dieß bei seinen Ansichten überSein Verh. zur Bildung. die antike Literatur. "Das einzige Gute, predigt er, was Plato und Aristoteles geleistet haben ist, daß sie viele Argu- mente vorbrachten, welche man gegen die Ketzer gebrauchen kann. Sie und andere Philosophen sitzen doch in der Hölle. Ein altes Weib weiß mehr vom Glauben als Plato. Es wäre gut für den Glauben wenn viele sonst nützlich schei- nende Bücher zernichtet würden. Als es noch nicht so viele Bücher und nicht so viele Vernunftgründe (ragioni natu- rali) und Disputen gab, wuchs der Glaube rascher als er seither gewachsen ist." Die classische Lecture der Schulen will er auf Homer, Virgil und Cicero beschränkt und den Rest aus Hieronymus und Augustin ergänzt wissen; dagegen sollen nicht nur Catull und Ovid, sondern auch Tibull und Terenz verbannt bleiben. Hier spricht einstweilen wohl nur eine ängstliche Moralität, allein er giebt in einer besondern
des toscanischen Staates irgendwie retten konnte. Daran aber kam ihm der Gedanke nicht.
1) Ein merkwürdiger Contrast zu den Sienesen, welche 1483 ihre ent- zweite Stadt feierlich der Madonna geschenkt hatten. Allegretto, ap. Murat. XXIII, Col. 815.
Er war zu ſolchen Dingen im Grunde der ungeeig-6. Abſchnitt. netſte Menſch, den man finden konnte. Sein wirkliches Ideal war eine Theocratie, bei welcher ſich Alles in ſeliger Demuth vor dem Unſichtbaren beugt und alle Conflicte der Leidenſchaft von vornherein abgeſchnitten ſind. Sein ganzer Sinn liegt in jener Inſchrift des Signorenpalaſtes, deren Inhalt ſchon Ende 1495 ſein Wahlſpruch war 1), und die 1527 von ſeinen Anhängern erneuert wurde: „Jesus Chri- stus Rex populi florentini S. P. Q. decreto creatus.“ Zum Erdenleben und ſeinen Bedingungen hatte er ſo wenig ein Verhältniß als irgend ein echter und ſtrenger Mönch. Der Menſch ſoll ſich nach ſeiner Anſicht nur mit dem ab- geben was mit dem Seelenheil in unmittelbarer Verbin- dung ſteht.
Wie deutlich verräth ſich dieß bei ſeinen Anſichten überSein Verh. zur Bildung. die antike Literatur. „Das einzige Gute, predigt er, was Plato und Ariſtoteles geleiſtet haben iſt, daß ſie viele Argu- mente vorbrachten, welche man gegen die Ketzer gebrauchen kann. Sie und andere Philoſophen ſitzen doch in der Hölle. Ein altes Weib weiß mehr vom Glauben als Plato. Es wäre gut für den Glauben wenn viele ſonſt nützlich ſchei- nende Bücher zernichtet würden. Als es noch nicht ſo viele Bücher und nicht ſo viele Vernunftgründe (ragioni natu- rali) und Disputen gab, wuchs der Glaube raſcher als er ſeither gewachſen iſt.“ Die claſſiſche Lecture der Schulen will er auf Homer, Virgil und Cicero beſchränkt und den Reſt aus Hieronymus und Auguſtin ergänzt wiſſen; dagegen ſollen nicht nur Catull und Ovid, ſondern auch Tibull und Terenz verbannt bleiben. Hier ſpricht einſtweilen wohl nur eine ängſtliche Moralität, allein er giebt in einer beſondern
des toscaniſchen Staates irgendwie retten konnte. Daran aber kam ihm der Gedanke nicht.
1) Ein merkwürdiger Contraſt zu den Sieneſen, welche 1483 ihre ent- zweite Stadt feierlich der Madonna geſchenkt hatten. Allegretto, ap. Murat. XXIII, Col. 815.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0489"n="479"/><p>Er war zu ſolchen Dingen im Grunde der ungeeig-<noteplace="right"><hirendition="#b"><hirendition="#u">6. Abſchnitt.</hi></hi></note><lb/>
netſte Menſch, den man finden konnte. Sein wirkliches<lb/>
Ideal war eine Theocratie, bei welcher ſich Alles in ſeliger<lb/>
Demuth vor dem Unſichtbaren beugt und alle Conflicte der<lb/>
Leidenſchaft von vornherein abgeſchnitten ſind. Sein ganzer<lb/>
Sinn liegt in jener Inſchrift des Signorenpalaſtes, deren<lb/>
Inhalt ſchon Ende 1495 ſein Wahlſpruch war <noteplace="foot"n="1)">Ein merkwürdiger Contraſt zu den Sieneſen, welche 1483 ihre ent-<lb/>
zweite Stadt feierlich der Madonna geſchenkt hatten. <hirendition="#aq">Allegretto,<lb/>
ap. Murat. XXIII, Col.</hi> 815.</note>, und die<lb/>
1527 von ſeinen Anhängern erneuert wurde: „<hirendition="#aq">Jesus Chri-<lb/>
stus Rex populi florentini S. P. Q. decreto creatus.</hi>“<lb/>
Zum Erdenleben und ſeinen Bedingungen hatte er ſo wenig<lb/>
ein Verhältniß als irgend ein echter und ſtrenger Mönch.<lb/>
Der Menſch ſoll ſich nach ſeiner Anſicht nur mit dem ab-<lb/>
geben was mit dem Seelenheil in unmittelbarer Verbin-<lb/>
dung ſteht.</p><lb/><p>Wie deutlich verräth ſich dieß bei ſeinen Anſichten über<noteplace="right">Sein Verh. zur<lb/>
Bildung.</note><lb/>
die antike Literatur. „Das einzige Gute, predigt er, was<lb/>
Plato und Ariſtoteles geleiſtet haben iſt, daß ſie viele Argu-<lb/>
mente vorbrachten, welche man gegen die Ketzer gebrauchen<lb/>
kann. Sie und andere Philoſophen ſitzen doch in der Hölle.<lb/>
Ein altes Weib weiß mehr vom Glauben als Plato. Es<lb/>
wäre gut für den Glauben wenn viele ſonſt nützlich ſchei-<lb/>
nende Bücher zernichtet würden. Als es noch nicht ſo viele<lb/>
Bücher und nicht ſo viele Vernunftgründe <hirendition="#aq">(ragioni natu-<lb/>
rali)</hi> und Disputen gab, wuchs der Glaube raſcher als er<lb/>ſeither gewachſen iſt.“ Die claſſiſche Lecture der Schulen<lb/>
will er auf Homer, Virgil und Cicero beſchränkt und den<lb/>
Reſt aus Hieronymus und Auguſtin ergänzt wiſſen; dagegen<lb/>ſollen nicht nur Catull und Ovid, ſondern auch Tibull und<lb/>
Terenz verbannt bleiben. Hier ſpricht einſtweilen wohl nur<lb/>
eine ängſtliche Moralität, allein er giebt in einer beſondern<lb/><notexml:id="seg2pn_34_2"prev="#seg2pn_34_1"place="foot"n="1)">des toscaniſchen Staates irgendwie retten konnte. Daran aber kam<lb/>
ihm der Gedanke nicht.</note><lb/></p></div></body></text></TEI>
[479/0489]
Er war zu ſolchen Dingen im Grunde der ungeeig-
netſte Menſch, den man finden konnte. Sein wirkliches
Ideal war eine Theocratie, bei welcher ſich Alles in ſeliger
Demuth vor dem Unſichtbaren beugt und alle Conflicte der
Leidenſchaft von vornherein abgeſchnitten ſind. Sein ganzer
Sinn liegt in jener Inſchrift des Signorenpalaſtes, deren
Inhalt ſchon Ende 1495 ſein Wahlſpruch war 1), und die
1527 von ſeinen Anhängern erneuert wurde: „Jesus Chri-
stus Rex populi florentini S. P. Q. decreto creatus.“
Zum Erdenleben und ſeinen Bedingungen hatte er ſo wenig
ein Verhältniß als irgend ein echter und ſtrenger Mönch.
Der Menſch ſoll ſich nach ſeiner Anſicht nur mit dem ab-
geben was mit dem Seelenheil in unmittelbarer Verbin-
dung ſteht.
6. Abſchnitt.
Wie deutlich verräth ſich dieß bei ſeinen Anſichten über
die antike Literatur. „Das einzige Gute, predigt er, was
Plato und Ariſtoteles geleiſtet haben iſt, daß ſie viele Argu-
mente vorbrachten, welche man gegen die Ketzer gebrauchen
kann. Sie und andere Philoſophen ſitzen doch in der Hölle.
Ein altes Weib weiß mehr vom Glauben als Plato. Es
wäre gut für den Glauben wenn viele ſonſt nützlich ſchei-
nende Bücher zernichtet würden. Als es noch nicht ſo viele
Bücher und nicht ſo viele Vernunftgründe (ragioni natu-
rali) und Disputen gab, wuchs der Glaube raſcher als er
ſeither gewachſen iſt.“ Die claſſiſche Lecture der Schulen
will er auf Homer, Virgil und Cicero beſchränkt und den
Reſt aus Hieronymus und Auguſtin ergänzt wiſſen; dagegen
ſollen nicht nur Catull und Ovid, ſondern auch Tibull und
Terenz verbannt bleiben. Hier ſpricht einſtweilen wohl nur
eine ängſtliche Moralität, allein er giebt in einer beſondern
1)
Sein Verh. zur
Bildung.
1) Ein merkwürdiger Contraſt zu den Sieneſen, welche 1483 ihre ent-
zweite Stadt feierlich der Madonna geſchenkt hatten. Allegretto,
ap. Murat. XXIII, Col. 815.
1) des toscaniſchen Staates irgendwie retten konnte. Daran aber kam
ihm der Gedanke nicht.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/489>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.