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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Aber auch die Mönche selber schonten oft Fürsten, Be-6. Abschnitt.
hörden, Clerus und ihren eigenen Stand durchaus nicht.
Zwar eine directe Predigt zum Sturz eines Tyrannenhauses,
wie die des Fra Jacopo Bussolaro zu Pavia im XIV.
Jahrhundert gewesen war 1), trifft man in den folgenden
Zeiten nicht mehr an, wohl aber muthigen Tadel, selbst
gegen den Papst in dessen eigener Capelle (S. 233, Anm.), und
naive politische Rathschläge in Gegenwart von Fürsten, die
dessen nicht zu bedürfen glaubten 2). Auf dem Castellplatz
zu Mailand durfte 1494 ein blinder Prediger aus der In-Die Warner.
coronata (also ein Augustiner) dem Lodovico Moro von
der Kanzel her zurufen: "Herr, zeige den Franzosen den
Weg nicht, denn Du wirst es bereuen! 3)" Es gab weis-
sagende Mönche, welche vielleicht nicht direct politisirten,
aber so schreckliche Bilder der Zukunft entwarfen, daß den
Zuhörern die Besinnung verging. Ein ganzer Verein von
solchen, zwölf Franciscaner Conventualen, durchzogen bald
nach der Wahl Leo's X. (1513) die verschiedenen Land-
schaften Italiens, wie sie dieselben unter sich vertheilt hatten.
Derjenige von ihnen, welcher in Florenz predigte 4), Fra
Francesco di Montepulciano, erregte ein steigendes Ent-
setzen unter dem ganzen Volke, indem seine Aeußerungen,
gewiß eher verstärkt als gemildert, auch zu denjenigen ge-
langten, welche vor Gedränge nicht selber in seine Nähe

1) Matteo Villani VIII, 1, s. Er predigte zuerst gegen die Tyrannis
überhaupt, dann, als ihn das herrschende Haus der Beccaria hatte
wollen ermorden lassen, änderte er in einer Predigt selbst die Ver-
fassung und die Behörden und nöthigte die Beccaria zur Flucht (1357).
2) Bisweilen stellte auch das regierende Haus in bedrängten Zeiten
Mönche an, um das Volk für Loyalität zu begeistern. Ein Beispiel
aus Ferrara bei Sanudo (Murat. XXII, Col. 1218).
3) Prato, arch. stor. III, p. 251. -- Spätere fanatisch antifranzö-
sische Prediger, nach der Vertreibung der Franzosen erwähnt Buri-
gozzo, ibid., pag. 443, 449, 485; ad a.
1523, 1526, 1529.
4) Jac. Pitti, storia fior. L. II. p. 112.

Aber auch die Mönche ſelber ſchonten oft Fürſten, Be-6. Abſchnitt.
hörden, Clerus und ihren eigenen Stand durchaus nicht.
Zwar eine directe Predigt zum Sturz eines Tyrannenhauſes,
wie die des Fra Jacopo Buſſolaro zu Pavia im XIV.
Jahrhundert geweſen war 1), trifft man in den folgenden
Zeiten nicht mehr an, wohl aber muthigen Tadel, ſelbſt
gegen den Papſt in deſſen eigener Capelle (S. 233, Anm.), und
naive politiſche Rathſchläge in Gegenwart von Fürſten, die
deſſen nicht zu bedürfen glaubten 2). Auf dem Caſtellplatz
zu Mailand durfte 1494 ein blinder Prediger aus der In-Die Warner.
coronata (alſo ein Auguſtiner) dem Lodovico Moro von
der Kanzel her zurufen: „Herr, zeige den Franzoſen den
Weg nicht, denn Du wirſt es bereuen! 3)“ Es gab weiſ-
ſagende Mönche, welche vielleicht nicht direct politiſirten,
aber ſo ſchreckliche Bilder der Zukunft entwarfen, daß den
Zuhörern die Beſinnung verging. Ein ganzer Verein von
ſolchen, zwölf Franciscaner Conventualen, durchzogen bald
nach der Wahl Leo's X. (1513) die verſchiedenen Land-
ſchaften Italiens, wie ſie dieſelben unter ſich vertheilt hatten.
Derjenige von ihnen, welcher in Florenz predigte 4), Fra
Francesco di Montepulciano, erregte ein ſteigendes Ent-
ſetzen unter dem ganzen Volke, indem ſeine Aeußerungen,
gewiß eher verſtärkt als gemildert, auch zu denjenigen ge-
langten, welche vor Gedränge nicht ſelber in ſeine Nähe

1) Matteo Villani VIII, 1, s. Er predigte zuerſt gegen die Tyrannis
überhaupt, dann, als ihn das herrſchende Haus der Beccaria hatte
wollen ermorden laſſen, änderte er in einer Predigt ſelbſt die Ver-
faſſung und die Behörden und nöthigte die Beccaria zur Flucht (1357).
2) Bisweilen ſtellte auch das regierende Haus in bedrängten Zeiten
Mönche an, um das Volk für Loyalität zu begeiſtern. Ein Beiſpiel
aus Ferrara bei Sanudo (Murat. XXII, Col. 1218).
3) Prato, arch. stor. III, p. 251. — Spätere fanatiſch antifranzö-
ſiſche Prediger, nach der Vertreibung der Franzoſen erwähnt Buri-
gozzo, ibid., pag. 443, 449, 485; ad a.
1523, 1526, 1529.
4) Jac. Pitti, storia fior. L. II. p. 112.
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[475/0485] Aber auch die Mönche ſelber ſchonten oft Fürſten, Be- hörden, Clerus und ihren eigenen Stand durchaus nicht. Zwar eine directe Predigt zum Sturz eines Tyrannenhauſes, wie die des Fra Jacopo Buſſolaro zu Pavia im XIV. Jahrhundert geweſen war 1), trifft man in den folgenden Zeiten nicht mehr an, wohl aber muthigen Tadel, ſelbſt gegen den Papſt in deſſen eigener Capelle (S. 233, Anm.), und naive politiſche Rathſchläge in Gegenwart von Fürſten, die deſſen nicht zu bedürfen glaubten 2). Auf dem Caſtellplatz zu Mailand durfte 1494 ein blinder Prediger aus der In- coronata (alſo ein Auguſtiner) dem Lodovico Moro von der Kanzel her zurufen: „Herr, zeige den Franzoſen den Weg nicht, denn Du wirſt es bereuen! 3)“ Es gab weiſ- ſagende Mönche, welche vielleicht nicht direct politiſirten, aber ſo ſchreckliche Bilder der Zukunft entwarfen, daß den Zuhörern die Beſinnung verging. Ein ganzer Verein von ſolchen, zwölf Franciscaner Conventualen, durchzogen bald nach der Wahl Leo's X. (1513) die verſchiedenen Land- ſchaften Italiens, wie ſie dieſelben unter ſich vertheilt hatten. Derjenige von ihnen, welcher in Florenz predigte 4), Fra Francesco di Montepulciano, erregte ein ſteigendes Ent- ſetzen unter dem ganzen Volke, indem ſeine Aeußerungen, gewiß eher verſtärkt als gemildert, auch zu denjenigen ge- langten, welche vor Gedränge nicht ſelber in ſeine Nähe 6. Abſchnitt. Die Warner. 1) Matteo Villani VIII, 1, s. Er predigte zuerſt gegen die Tyrannis überhaupt, dann, als ihn das herrſchende Haus der Beccaria hatte wollen ermorden laſſen, änderte er in einer Predigt ſelbſt die Ver- faſſung und die Behörden und nöthigte die Beccaria zur Flucht (1357). 2) Bisweilen ſtellte auch das regierende Haus in bedrängten Zeiten Mönche an, um das Volk für Loyalität zu begeiſtern. Ein Beiſpiel aus Ferrara bei Sanudo (Murat. XXII, Col. 1218). 3) Prato, arch. stor. III, p. 251. — Spätere fanatiſch antifranzö- ſiſche Prediger, nach der Vertreibung der Franzoſen erwähnt Buri- gozzo, ibid., pag. 443, 449, 485; ad a. 1523, 1526, 1529. 4) Jac. Pitti, storia fior. L. II. p. 112.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/485>, abgerufen am 25.04.2024.