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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Nun kommen die härtern Gemüther an die Reihe;6. Abschnitt.
wer längst nicht mehr gebeichtet hat, beichtet nunmehr; un-Ihre Wirkung.
gerecht vorenthaltenes Gut wird zurückgegeben, unheil-
schwangere Schmähreden werden zurückgenommen. Redner
wie Bernardino da Siena 1) gingen sehr emsig und genau
auf den täglichen Verkehr der Menschen und dessen Sitten-
gesetz ein. Wenige unserer heutigen Theologen möchten
wohl eine Morgenpredigt zu halten versucht sein "über
Contracte, Restitutionen, Staatsrenten (monte) und Aus-
stattung von Töchtern", wie er einst im Dom von Florenz
eine hielt. Unvorsichtigere Prediger begingen dabei leicht
den Fehler, so stark gegen einzelne Menschenclassen, Gewerbe,
Beamtungen loszuziehen, daß sich das aufgeregte Gemüth der
Zuhörer sofort durch Thätlichkeiten gegen diese entlud 2).
Auch eine Predigt des Bernardino da Siena, die er einmal
in Rom (1424) hielt, hatte außer dem Brand von Putz-
und Zaubersachen auf dem Capitol noch eine andere Folge:
"Hernach, heißt es 3), wurde auch die Hexe Finicella ver-
brannt, weil sie mit teuflischen Mitteln viele Kinder tödtete
und viele Personen verhexte, und ganz Rom ging hin es
zu sehen."

Das wichtigste Ziel der Predigt aber ist, wie oben be-
merkt, die Versöhnung von Streit und Verzichtung auf die
Rache. Sie wird wohl in der Regel erst gegen Ende des
Predigtcurses erfolgt sein, wenn der Strom allgemeiner
Bußfertigkeit allmälig die ganze Stadt ergriff, wenn die

1) S. dessen merkwürdige Biographie bei Vespasiano Fiorent. p. 244,
s.
-- und die bei Aen. Sylvius, de viris illustr., p. 24.
2) Allegretto, l. c., Col. 823; ein Prediger hetzt das Volk gegen die
Richter (wenn nicht statt giudici etwa giudei zu lesen ist) worauf
dieselben bald in ihren Häusern wären verbrannt worden.
3) Infessura, l. c. Im Todestag der Hexe scheint ein Schreibfehler
zu liegen. -- Wie derselbe Heilige vor Arezzo ein verrufenes Wäld-
chen umhauen ließ, erzählt Vasari III, 148; v. di Parri Spinelli.
Oft mag sich der erste Bußeifer an Localen, Symbolen und Werk-
zeugen so ziemlich erschöpft haben.

Nun kommen die härtern Gemüther an die Reihe;6. Abſchnitt.
wer längſt nicht mehr gebeichtet hat, beichtet nunmehr; un-Ihre Wirkung.
gerecht vorenthaltenes Gut wird zurückgegeben, unheil-
ſchwangere Schmähreden werden zurückgenommen. Redner
wie Bernardino da Siena 1) gingen ſehr emſig und genau
auf den täglichen Verkehr der Menſchen und deſſen Sitten-
geſetz ein. Wenige unſerer heutigen Theologen möchten
wohl eine Morgenpredigt zu halten verſucht ſein „über
Contracte, Reſtitutionen, Staatsrenten (monte) und Aus-
ſtattung von Töchtern“, wie er einſt im Dom von Florenz
eine hielt. Unvorſichtigere Prediger begingen dabei leicht
den Fehler, ſo ſtark gegen einzelne Menſchenclaſſen, Gewerbe,
Beamtungen loszuziehen, daß ſich das aufgeregte Gemüth der
Zuhörer ſofort durch Thätlichkeiten gegen dieſe entlud 2).
Auch eine Predigt des Bernardino da Siena, die er einmal
in Rom (1424) hielt, hatte außer dem Brand von Putz-
und Zauberſachen auf dem Capitol noch eine andere Folge:
„Hernach, heißt es 3), wurde auch die Hexe Finicella ver-
brannt, weil ſie mit teufliſchen Mitteln viele Kinder tödtete
und viele Perſonen verhexte, und ganz Rom ging hin es
zu ſehen.“

Das wichtigſte Ziel der Predigt aber iſt, wie oben be-
merkt, die Verſöhnung von Streit und Verzichtung auf die
Rache. Sie wird wohl in der Regel erſt gegen Ende des
Predigtcurſes erfolgt ſein, wenn der Strom allgemeiner
Bußfertigkeit allmälig die ganze Stadt ergriff, wenn die

1) S. deſſen merkwürdige Biographie bei Vespasiano Fiorent. p. 244,
s.
— und die bei Aen. Sylvius, de viris illustr., p. 24.
2) Allegretto, l. c., Col. 823; ein Prediger hetzt das Volk gegen die
Richter (wenn nicht ſtatt giudici etwa giudei zu leſen iſt) worauf
dieſelben bald in ihren Häuſern wären verbrannt worden.
3) Infessura, l. c. Im Todestag der Hexe ſcheint ein Schreibfehler
zu liegen. — Wie derſelbe Heilige vor Arezzo ein verrufenes Wäld-
chen umhauen ließ, erzählt Vasari III, 148; v. di Parri Spinelli.
Oft mag ſich der erſte Bußeifer an Localen, Symbolen und Werk-
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[471/0481] Nun kommen die härtern Gemüther an die Reihe; wer längſt nicht mehr gebeichtet hat, beichtet nunmehr; un- gerecht vorenthaltenes Gut wird zurückgegeben, unheil- ſchwangere Schmähreden werden zurückgenommen. Redner wie Bernardino da Siena 1) gingen ſehr emſig und genau auf den täglichen Verkehr der Menſchen und deſſen Sitten- geſetz ein. Wenige unſerer heutigen Theologen möchten wohl eine Morgenpredigt zu halten verſucht ſein „über Contracte, Reſtitutionen, Staatsrenten (monte) und Aus- ſtattung von Töchtern“, wie er einſt im Dom von Florenz eine hielt. Unvorſichtigere Prediger begingen dabei leicht den Fehler, ſo ſtark gegen einzelne Menſchenclaſſen, Gewerbe, Beamtungen loszuziehen, daß ſich das aufgeregte Gemüth der Zuhörer ſofort durch Thätlichkeiten gegen dieſe entlud 2). Auch eine Predigt des Bernardino da Siena, die er einmal in Rom (1424) hielt, hatte außer dem Brand von Putz- und Zauberſachen auf dem Capitol noch eine andere Folge: „Hernach, heißt es 3), wurde auch die Hexe Finicella ver- brannt, weil ſie mit teufliſchen Mitteln viele Kinder tödtete und viele Perſonen verhexte, und ganz Rom ging hin es zu ſehen.“ 6. Abſchnitt. Ihre Wirkung. Das wichtigſte Ziel der Predigt aber iſt, wie oben be- merkt, die Verſöhnung von Streit und Verzichtung auf die Rache. Sie wird wohl in der Regel erſt gegen Ende des Predigtcurſes erfolgt ſein, wenn der Strom allgemeiner Bußfertigkeit allmälig die ganze Stadt ergriff, wenn die 1) S. deſſen merkwürdige Biographie bei Vespasiano Fiorent. p. 244, s. — und die bei Aen. Sylvius, de viris illustr., p. 24. 2) Allegretto, l. c., Col. 823; ein Prediger hetzt das Volk gegen die Richter (wenn nicht ſtatt giudici etwa giudei zu leſen iſt) worauf dieſelben bald in ihren Häuſern wären verbrannt worden. 3) Infessura, l. c. Im Todestag der Hexe ſcheint ein Schreibfehler zu liegen. — Wie derſelbe Heilige vor Arezzo ein verrufenes Wäld- chen umhauen ließ, erzählt Vasari III, 148; v. di Parri Spinelli. Oft mag ſich der erſte Bußeifer an Localen, Symbolen und Werk- zeugen ſo ziemlich erſchöpft haben.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/481>, abgerufen am 26.04.2024.