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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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auch manche Pfarrer; dagegen sind die bloßen Pfründner,6. Abschnitt.
Chorherren und Mönche fast ohne Ausnahme verdächtig und
oft mit der schmachvollsten Nachrede, die den ganzen be-
treffenden Stand umfaßt, übel beladen.

Man hat schon behauptet, die Mönche seien zum Sün-Die
Bettelmönche.

denbock für den ganzen Clerus geworden, weil man nur
über sie gefahrlos habe spotten dürfen 1). Allein dieß ist
auf alle Weise irrig. In den Novellen und Comödien
kommen sie deßhalb vorzugsweise vor, weil diese beiden
Literaturgattungen stehende, bekannte Typen lieben, bei
welchen die Phantasie leicht das nur Angedeutete ergänzt.
Sodann schont die Novelle auch den Weltclerus nicht 2).
Drittens beweisen zahllose Aufzeichnungen aus der ganzen
übrigen Literatur, wie keck über das Papstthum und die
römische Curie öffentlich geredet und geurtheilt wurde; in
den freien Schöpfungen der Phantasie muß man aber der-
gleichen nicht erwarten. Viertens konnten sich auch die
Mönche bisweilen furchtbar rächen.

So viel ist immerhin richtig, daß gegen die Mönche
der Unwille am stärksten war, und daß sie als lebendiger
Beweis figurirten von dem Unwerth des Klosterlebens, der
ganzen geistlichen Einrichtung, des Glaubenssystems, ja der

z. B. bei Bandello II, Nov. 45; doch schildert er II, 40 auch einen
tugendbaften Bischof. Gioviano Pontano im "Charon" läßt den
Schatten eines üppigen Bischofs "mit Entenschritt" daherwatscheln.
1) Foscolo, Discorso sul testo del Decamerone: Ma de' preti in
dignita niuno poteva far motto senza pericolo; onde ogni
frate fu l'irco delle iniquita d'Israele etc.
2) Bandello präludirt z. B. II, Nov. 1, damit: das Laster der Habsucht
stehe Niemanden schlechter an als den Priestern, welche ja für keine
Familie etc. zu sorgen hätten. Mit diesem Raisonnement wird der
schmähliche Ueberfall eines Pfarrhauses gerechtfertigt, wobei ein
junger Herr durch zwei Soldaten oder Banditen einem zwar geizigen
aber gichtbrüchigen Pfarrer einen Hammel stehlen läßt. Eine ein-
zige Geschichte dieser Art zeigt die Voraussetzungen, unter welchen
man lebte und handelte, genauer an als alle Abhandlungen

auch manche Pfarrer; dagegen ſind die bloßen Pfründner,6. Abſchnitt.
Chorherren und Mönche faſt ohne Ausnahme verdächtig und
oft mit der ſchmachvollſten Nachrede, die den ganzen be-
treffenden Stand umfaßt, übel beladen.

Man hat ſchon behauptet, die Mönche ſeien zum Sün-Die
Bettelmönche.

denbock für den ganzen Clerus geworden, weil man nur
über ſie gefahrlos habe ſpotten dürfen 1). Allein dieß iſt
auf alle Weiſe irrig. In den Novellen und Comödien
kommen ſie deßhalb vorzugsweiſe vor, weil dieſe beiden
Literaturgattungen ſtehende, bekannte Typen lieben, bei
welchen die Phantaſie leicht das nur Angedeutete ergänzt.
Sodann ſchont die Novelle auch den Weltclerus nicht 2).
Drittens beweiſen zahlloſe Aufzeichnungen aus der ganzen
übrigen Literatur, wie keck über das Papſtthum und die
römiſche Curie öffentlich geredet und geurtheilt wurde; in
den freien Schöpfungen der Phantaſie muß man aber der-
gleichen nicht erwarten. Viertens konnten ſich auch die
Mönche bisweilen furchtbar rächen.

So viel iſt immerhin richtig, daß gegen die Mönche
der Unwille am ſtärkſten war, und daß ſie als lebendiger
Beweis figurirten von dem Unwerth des Kloſterlebens, der
ganzen geiſtlichen Einrichtung, des Glaubensſyſtems, ja der

z. B. bei Bandello II, Nov. 45; doch ſchildert er II, 40 auch einen
tugendbaften Biſchof. Gioviano Pontano im „Charon“ läßt den
Schatten eines üppigen Biſchofs „mit Entenſchritt“ daherwatſcheln.
1) Foscolo, Discorso sul testo del Decamerone: Ma de' preti in
dignità niuno poteva far motto senza pericolo; onde ogni
frate fu l'irco delle iniquità d'Israele etc.
2) Bandello präludirt z. B. II, Nov. 1, damit: das Laſter der Habſucht
ſtehe Niemanden ſchlechter an als den Prieſtern, welche ja für keine
Familie ꝛc. zu ſorgen hätten. Mit dieſem Raiſonnement wird der
ſchmähliche Ueberfall eines Pfarrhauſes gerechtfertigt, wobei ein
junger Herr durch zwei Soldaten oder Banditen einem zwar geizigen
aber gichtbrüchigen Pfarrer einen Hammel ſtehlen läßt. Eine ein-
zige Geſchichte dieſer Art zeigt die Vorausſetzungen, unter welchen
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[459/0469] auch manche Pfarrer; dagegen ſind die bloßen Pfründner, Chorherren und Mönche faſt ohne Ausnahme verdächtig und oft mit der ſchmachvollſten Nachrede, die den ganzen be- treffenden Stand umfaßt, übel beladen. 6. Abſchnitt. Man hat ſchon behauptet, die Mönche ſeien zum Sün- denbock für den ganzen Clerus geworden, weil man nur über ſie gefahrlos habe ſpotten dürfen 1). Allein dieß iſt auf alle Weiſe irrig. In den Novellen und Comödien kommen ſie deßhalb vorzugsweiſe vor, weil dieſe beiden Literaturgattungen ſtehende, bekannte Typen lieben, bei welchen die Phantaſie leicht das nur Angedeutete ergänzt. Sodann ſchont die Novelle auch den Weltclerus nicht 2). Drittens beweiſen zahlloſe Aufzeichnungen aus der ganzen übrigen Literatur, wie keck über das Papſtthum und die römiſche Curie öffentlich geredet und geurtheilt wurde; in den freien Schöpfungen der Phantaſie muß man aber der- gleichen nicht erwarten. Viertens konnten ſich auch die Mönche bisweilen furchtbar rächen. Die Bettelmönche. So viel iſt immerhin richtig, daß gegen die Mönche der Unwille am ſtärkſten war, und daß ſie als lebendiger Beweis figurirten von dem Unwerth des Kloſterlebens, der ganzen geiſtlichen Einrichtung, des Glaubensſyſtems, ja der 1) 1) Foscolo, Discorso sul testo del Decamerone: Ma de' preti in dignità niuno poteva far motto senza pericolo; onde ogni frate fu l'irco delle iniquità d'Israele etc. 2) Bandello präludirt z. B. II, Nov. 1, damit: das Laſter der Habſucht ſtehe Niemanden ſchlechter an als den Prieſtern, welche ja für keine Familie ꝛc. zu ſorgen hätten. Mit dieſem Raiſonnement wird der ſchmähliche Ueberfall eines Pfarrhauſes gerechtfertigt, wobei ein junger Herr durch zwei Soldaten oder Banditen einem zwar geizigen aber gichtbrüchigen Pfarrer einen Hammel ſtehlen läßt. Eine ein- zige Geſchichte dieſer Art zeigt die Vorausſetzungen, unter welchen man lebte und handelte, genauer an als alle Abhandlungen 1) z. B. bei Bandello II, Nov. 45; doch ſchildert er II, 40 auch einen tugendbaften Biſchof. Gioviano Pontano im „Charon“ läßt den Schatten eines üppigen Biſchofs „mit Entenſchritt“ daherwatſcheln.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/469>, abgerufen am 23.04.2024.