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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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6. Abschnitt.Jahrhunderts bis auf Savonarola war auch sehr viel po-
sitiver Glaubensinhalt, dem zur Reife nichts als das Glück
fehlte. Colossale Ereignisse wie die Reform des XVI.
Jahrhunderts entziehen sich wohl überhaupt, was das Ein-
zelne, den Ausbruch und Hergang betrifft, aller geschichts-
philosophischen Deduction, so klar man auch ihre Nothwendig-
keit im Großen und Ganzen erweisen kann. Die Bewegungen
des Geistes, ihr plötzliches Aufblitzen, ihre Verbreitung, ihr
Innehalten sind und bleiben unsern Augen wenigstens in-
soweit ein Räthsel, als wir von den dabei thätigen Kräften
immer nur diese und jene, aber niemals alle kennen.

Stellung zur
Kirche.
Die Stimmung der höhern und mittlern Stände Ita-
liens gegen die Kirche zur Zeit der Höhe der Renaissance
ist zusammengesetzt aus tiefem, verachtungsvollem Unwillen,
aus Accommodation an die Hierarchie insofern sie auf alle
Weise in das äußere Leben verflochten ist, und aus einem
Gefühl der Abhängigkeit von den Sacramenten, Weihen
und Segnungen. Als etwas für Italien speciell Bezeich-
nendes dürfen wir noch die große individuelle Wirkung
heiliger Prediger beifügen.

Zur Hierarchie.Ueber den antihierarchischen Unwillen der Italiener,
wie er sich zumal seit Dante in Literatur und Geschichte
offenbart, sind eigene umfangreiche Arbeiten vorhanden.
Von der Stellung des Papstthums zur öffentlichen Meinung
haben wir selber oben (S. 103, f., 216) einige Rechenschaft
geben müssen, und wer das Stärkste aus erlauchten Quellen
schöpfen will, der kann die berühmten Stellen in Macchia-
vell's Discorsi und in (dem unverstümmelten) Guicciardini
nachlesen. Außerhalb der römischen Curie genießen noch
am ehesten die bessern Bischöfe einigen sittlichen Respect 1),

1) Man beachte, daß die Novellisten u. a. Spötter der Bischöfe beinahe
gar nicht gedenken, während man sie, allenfalls mit verändertem
Ortsnamen, hätte durchziehen können wie die andern. Dieß geschieht

6. Abſchnitt.Jahrhunderts bis auf Savonarola war auch ſehr viel po-
ſitiver Glaubensinhalt, dem zur Reife nichts als das Glück
fehlte. Coloſſale Ereigniſſe wie die Reform des XVI.
Jahrhunderts entziehen ſich wohl überhaupt, was das Ein-
zelne, den Ausbruch und Hergang betrifft, aller geſchichts-
philoſophiſchen Deduction, ſo klar man auch ihre Nothwendig-
keit im Großen und Ganzen erweiſen kann. Die Bewegungen
des Geiſtes, ihr plötzliches Aufblitzen, ihre Verbreitung, ihr
Innehalten ſind und bleiben unſern Augen wenigſtens in-
ſoweit ein Räthſel, als wir von den dabei thätigen Kräften
immer nur dieſe und jene, aber niemals alle kennen.

Stellung zur
Kirche.
Die Stimmung der höhern und mittlern Stände Ita-
liens gegen die Kirche zur Zeit der Höhe der Renaiſſance
iſt zuſammengeſetzt aus tiefem, verachtungsvollem Unwillen,
aus Accommodation an die Hierarchie inſofern ſie auf alle
Weiſe in das äußere Leben verflochten iſt, und aus einem
Gefühl der Abhängigkeit von den Sacramenten, Weihen
und Segnungen. Als etwas für Italien ſpeciell Bezeich-
nendes dürfen wir noch die große individuelle Wirkung
heiliger Prediger beifügen.

Zur Hierarchie.Ueber den antihierarchiſchen Unwillen der Italiener,
wie er ſich zumal ſeit Dante in Literatur und Geſchichte
offenbart, ſind eigene umfangreiche Arbeiten vorhanden.
Von der Stellung des Papſtthums zur öffentlichen Meinung
haben wir ſelber oben (S. 103, f., 216) einige Rechenſchaft
geben müſſen, und wer das Stärkſte aus erlauchten Quellen
ſchöpfen will, der kann die berühmten Stellen in Macchia-
vell's Discorſi und in (dem unverſtümmelten) Guicciardini
nachleſen. Außerhalb der römiſchen Curie genießen noch
am eheſten die beſſern Biſchöfe einigen ſittlichen Reſpect 1),

1) Man beachte, daß die Novelliſten u. a. Spötter der Biſchöfe beinahe
gar nicht gedenken, während man ſie, allenfalls mit verändertem
Ortsnamen, hätte durchziehen können wie die andern. Dieß geſchieht
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[458/0468] Jahrhunderts bis auf Savonarola war auch ſehr viel po- ſitiver Glaubensinhalt, dem zur Reife nichts als das Glück fehlte. Coloſſale Ereigniſſe wie die Reform des XVI. Jahrhunderts entziehen ſich wohl überhaupt, was das Ein- zelne, den Ausbruch und Hergang betrifft, aller geſchichts- philoſophiſchen Deduction, ſo klar man auch ihre Nothwendig- keit im Großen und Ganzen erweiſen kann. Die Bewegungen des Geiſtes, ihr plötzliches Aufblitzen, ihre Verbreitung, ihr Innehalten ſind und bleiben unſern Augen wenigſtens in- ſoweit ein Räthſel, als wir von den dabei thätigen Kräften immer nur dieſe und jene, aber niemals alle kennen. 6. Abſchnitt. Die Stimmung der höhern und mittlern Stände Ita- liens gegen die Kirche zur Zeit der Höhe der Renaiſſance iſt zuſammengeſetzt aus tiefem, verachtungsvollem Unwillen, aus Accommodation an die Hierarchie inſofern ſie auf alle Weiſe in das äußere Leben verflochten iſt, und aus einem Gefühl der Abhängigkeit von den Sacramenten, Weihen und Segnungen. Als etwas für Italien ſpeciell Bezeich- nendes dürfen wir noch die große individuelle Wirkung heiliger Prediger beifügen. Stellung zur Kirche. Ueber den antihierarchiſchen Unwillen der Italiener, wie er ſich zumal ſeit Dante in Literatur und Geſchichte offenbart, ſind eigene umfangreiche Arbeiten vorhanden. Von der Stellung des Papſtthums zur öffentlichen Meinung haben wir ſelber oben (S. 103, f., 216) einige Rechenſchaft geben müſſen, und wer das Stärkſte aus erlauchten Quellen ſchöpfen will, der kann die berühmten Stellen in Macchia- vell's Discorſi und in (dem unverſtümmelten) Guicciardini nachleſen. Außerhalb der römiſchen Curie genießen noch am eheſten die beſſern Biſchöfe einigen ſittlichen Reſpect 1), Zur Hierarchie. 1) Man beachte, daß die Novelliſten u. a. Spötter der Biſchöfe beinahe gar nicht gedenken, während man ſie, allenfalls mit verändertem Ortsnamen, hätte durchziehen können wie die andern. Dieß geſchieht

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/468>, abgerufen am 27.11.2024.