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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Unter den geheimen Mitteln des Verderbens kommt --6. Abschnitt.
wenigstens der Absicht nach -- auch die Zauberei vor 1),
doch nur in sehr untergeordneter Weise. Wo etwa male-
ficii, malie
u. dgl. erwähnt werden, geschieht es meist, um
auf ein ohnehin gehaßtes oder abscheuliches Individuum
alle erdenklichen Schrecken zu häufen. An den Höfen von
Frankreich und England im XIV. und XV. Jahrhundert
spielt der verderbliche, tödtliche Zauber eine viel größere
Rolle als unter den höhern Ständen von Italien.

Endlich erscheinen in diesem Lande, wo das Indivi-Die absoluten
Bösewichter.

duelle in jeder Weise culminirt, einige Menschen von ab-
soluter Ruchlosigkeit, bei welchen das Verbrechen auftritt
um seiner selber willen, nicht mehr als Mittel zu einem
Zweck, oder wenigstens als Mittel zu Zwecken, welche sich
aller psychologischen Norm entziehen.

Zu diesen entsetzlichen Gestalten scheinen zunächst auf
den ersten Anblick einige Condottieren zu gehören 2), ein
Braccio von Montone, ein Tiberto Brandolino, und schon
ein Werner von Urslingen, dessen silbernes Brustschild die
Inschrift trug: Feind Gottes, des Mitleids und der Barm-
herzigkeit. Daß diese Menschenclasse im Ganzen zu den
frühsten völlig emancipirten Frevlern gehörte, ist gewiß.
Man wird jedoch behutsamer urtheilen, sobald man inne
wird, daß das allerschwerste Verbrechen derselben -- nach
dem Sinne der Aufzeichner -- im Trotz gegen den geist-

1) Maleficien z. B. gegen Leonello von Ferrara s. Diario Ferrarese,
bei Murat. XXIV, Col. 194 ad a. 1445. Während man dem
Thäter, einem gew. Benato, der auch sonst übelberüchtigt war, auf
der Piazza das Urtheil vorlas, erhob sich ein Lärm in der Luft und
ein Erdbeben, sodaß männiglich davon lief oder zu Boden stürzte.
-- Was Guicciardini (L. I.) über den bösen Zauber des Lodovico
Moro gegen seinen Neffen Giangaleazzo sagt, mag auf sich beruhen.
2) Man könnte vor Allem Ezzelino da Romano nennen, wenn derselbe
nicht offenbar unter der Herrschaft ehrgeiziger Zwecke und eines star-
ken astrologischen Wahns gelebt hätte.

Unter den geheimen Mitteln des Verderbens kommt —6. Abſchnitt.
wenigſtens der Abſicht nach — auch die Zauberei vor 1),
doch nur in ſehr untergeordneter Weiſe. Wo etwa male-
ficii, malie
u. dgl. erwähnt werden, geſchieht es meiſt, um
auf ein ohnehin gehaßtes oder abſcheuliches Individuum
alle erdenklichen Schrecken zu häufen. An den Höfen von
Frankreich und England im XIV. und XV. Jahrhundert
ſpielt der verderbliche, tödtliche Zauber eine viel größere
Rolle als unter den höhern Ständen von Italien.

Endlich erſcheinen in dieſem Lande, wo das Indivi-Die abſoluten
Böſewichter.

duelle in jeder Weiſe culminirt, einige Menſchen von ab-
ſoluter Ruchloſigkeit, bei welchen das Verbrechen auftritt
um ſeiner ſelber willen, nicht mehr als Mittel zu einem
Zweck, oder wenigſtens als Mittel zu Zwecken, welche ſich
aller pſychologiſchen Norm entziehen.

Zu dieſen entſetzlichen Geſtalten ſcheinen zunächſt auf
den erſten Anblick einige Condottieren zu gehören 2), ein
Braccio von Montone, ein Tiberto Brandolino, und ſchon
ein Werner von Urslingen, deſſen ſilbernes Bruſtſchild die
Inſchrift trug: Feind Gottes, des Mitleids und der Barm-
herzigkeit. Daß dieſe Menſchenclaſſe im Ganzen zu den
frühſten völlig emancipirten Frevlern gehörte, iſt gewiß.
Man wird jedoch behutſamer urtheilen, ſobald man inne
wird, daß das allerſchwerſte Verbrechen derſelben — nach
dem Sinne der Aufzeichner — im Trotz gegen den geiſt-

1) Maleficien z. B. gegen Leonello von Ferrara ſ. Diario Ferrarese,
bei Murat. XXIV, Col. 194 ad a. 1445. Während man dem
Thäter, einem gew. Benato, der auch ſonſt übelberüchtigt war, auf
der Piazza das Urtheil vorlas, erhob ſich ein Lärm in der Luft und
ein Erdbeben, ſodaß männiglich davon lief oder zu Boden ſtürzte.
— Was Guicciardini (L. I.) über den böſen Zauber des Lodovico
Moro gegen ſeinen Neffen Giangaleazzo ſagt, mag auf ſich beruhen.
2) Man könnte vor Allem Ezzelino da Romano nennen, wenn derſelbe
nicht offenbar unter der Herrſchaft ehrgeiziger Zwecke und eines ſtar-
ken aſtrologiſchen Wahns gelebt hätte.
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[453/0463] Unter den geheimen Mitteln des Verderbens kommt — wenigſtens der Abſicht nach — auch die Zauberei vor 1), doch nur in ſehr untergeordneter Weiſe. Wo etwa male- ficii, malie u. dgl. erwähnt werden, geſchieht es meiſt, um auf ein ohnehin gehaßtes oder abſcheuliches Individuum alle erdenklichen Schrecken zu häufen. An den Höfen von Frankreich und England im XIV. und XV. Jahrhundert ſpielt der verderbliche, tödtliche Zauber eine viel größere Rolle als unter den höhern Ständen von Italien. 6. Abſchnitt. Endlich erſcheinen in dieſem Lande, wo das Indivi- duelle in jeder Weiſe culminirt, einige Menſchen von ab- ſoluter Ruchloſigkeit, bei welchen das Verbrechen auftritt um ſeiner ſelber willen, nicht mehr als Mittel zu einem Zweck, oder wenigſtens als Mittel zu Zwecken, welche ſich aller pſychologiſchen Norm entziehen. Die abſoluten Böſewichter. Zu dieſen entſetzlichen Geſtalten ſcheinen zunächſt auf den erſten Anblick einige Condottieren zu gehören 2), ein Braccio von Montone, ein Tiberto Brandolino, und ſchon ein Werner von Urslingen, deſſen ſilbernes Bruſtſchild die Inſchrift trug: Feind Gottes, des Mitleids und der Barm- herzigkeit. Daß dieſe Menſchenclaſſe im Ganzen zu den frühſten völlig emancipirten Frevlern gehörte, iſt gewiß. Man wird jedoch behutſamer urtheilen, ſobald man inne wird, daß das allerſchwerſte Verbrechen derſelben — nach dem Sinne der Aufzeichner — im Trotz gegen den geiſt- 1) Maleficien z. B. gegen Leonello von Ferrara ſ. Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 194 ad a. 1445. Während man dem Thäter, einem gew. Benato, der auch ſonſt übelberüchtigt war, auf der Piazza das Urtheil vorlas, erhob ſich ein Lärm in der Luft und ein Erdbeben, ſodaß männiglich davon lief oder zu Boden ſtürzte. — Was Guicciardini (L. I.) über den böſen Zauber des Lodovico Moro gegen ſeinen Neffen Giangaleazzo ſagt, mag auf ſich beruhen. 2) Man könnte vor Allem Ezzelino da Romano nennen, wenn derſelbe nicht offenbar unter der Herrſchaft ehrgeiziger Zwecke und eines ſtar- ken aſtrologiſchen Wahns gelebt hätte.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/463>, abgerufen am 18.04.2024.