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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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6. Abschnitt.übliches keine Gewissensbisse rege machte 1). Wie sehr in
Zeiten politischer Unruhen die Bauern auch anderswo ver-
wildern konnten, ist bereits (S. 351) angedeutet worden.

Der bezahlte
Mord.
Ein schlimmeres Zeichen der damaligen Sitte als die
Räuberei ist die Häufigkeit der bezahlten, durch dritte Hand
geübten Verbrechen. Darin ging zugestandener Maßen
Neapel allen andern Städten voran. "Hier ist gar nichts
billiger zu kaufen als ein Menschenleben", sagt Pontano 2).
Aber auch andere Gegenden weisen eine furchtbare Reihe
von Missethaten dieser Art auf. Man kann dieselben na-
türlich nur schwer nach den Motiven sondern, indem poli-
tische Zweckmäßigkeit, Parteihaß, persönliche Feindschaft,
Rache und Furcht durcheinander wirkten. Es macht den
Florentinern die größte Ehre, daß damals bei ihnen, dem
höchstentwickelten Volke von Italien, dergleichen am we-
nigsten vorkömmt 3), vielleicht weil es für berechtigte Be-
schwerden noch eine Justiz gab, die man anerkannte, oder
weil die höhere Cultur den Menschen eine andere Ansicht
verlieh über das verbrecherische Eingreifen in das Rad des
Schicksals; wenn irgendwo so erwog man in Florenz wie
eine Blutschuld unberechenbar weiter wirkt und wie wenig
der Anstifter auch bei einem sogenannten nützlichen Ver-
brechen eines überwiegenden und dauernden Vortheils sicher
ist. Nach dem Untergang der florentinischen Freiheit scheint
der Meuchelmord, hauptsächlich der gedungene, rasch zuge-

1) Poggio, Facetiae, fol. 164. Wer das heutige Neapel kennt, hat
vielleicht eine ähnliche Farce aus einem andern Lebensgebiet erzählen
hören.
2) Jovian. Pontani Antonius: nec est quod Neapoli quam ho-
minis vita minoris vendatur.
Freilich meint er, das sei unter
den Anjou noch nicht so gewesen; sicam ab iis -- den Aragonesen
-- accepimus. Den Zustand um 1534 bezeugt Benv. Cellini I, 70.
3) Einen eigentlichen Nachweis wird Niemand hierüber leisten können,
allein es wird wenig Merd erwähnt und die Phantasie der flerentin.
Schriftsteller der guten Zeit ist nicht mit Verdacht dieser Art erfüllt.

6. Abſchnitt.übliches keine Gewiſſensbiſſe rege machte 1). Wie ſehr in
Zeiten politiſcher Unruhen die Bauern auch anderswo ver-
wildern konnten, iſt bereits (S. 351) angedeutet worden.

Der bezahlte
Mord.
Ein ſchlimmeres Zeichen der damaligen Sitte als die
Räuberei iſt die Häufigkeit der bezahlten, durch dritte Hand
geübten Verbrechen. Darin ging zugeſtandener Maßen
Neapel allen andern Städten voran. „Hier iſt gar nichts
billiger zu kaufen als ein Menſchenleben“, ſagt Pontano 2).
Aber auch andere Gegenden weiſen eine furchtbare Reihe
von Miſſethaten dieſer Art auf. Man kann dieſelben na-
türlich nur ſchwer nach den Motiven ſondern, indem poli-
tiſche Zweckmäßigkeit, Parteihaß, perſönliche Feindſchaft,
Rache und Furcht durcheinander wirkten. Es macht den
Florentinern die größte Ehre, daß damals bei ihnen, dem
höchſtentwickelten Volke von Italien, dergleichen am we-
nigſten vorkömmt 3), vielleicht weil es für berechtigte Be-
ſchwerden noch eine Juſtiz gab, die man anerkannte, oder
weil die höhere Cultur den Menſchen eine andere Anſicht
verlieh über das verbrecheriſche Eingreifen in das Rad des
Schickſals; wenn irgendwo ſo erwog man in Florenz wie
eine Blutſchuld unberechenbar weiter wirkt und wie wenig
der Anſtifter auch bei einem ſogenannten nützlichen Ver-
brechen eines überwiegenden und dauernden Vortheils ſicher
iſt. Nach dem Untergang der florentiniſchen Freiheit ſcheint
der Meuchelmord, hauptſächlich der gedungene, raſch zuge-

1) Poggio, Facetiæ, fol. 164. Wer das heutige Neapel kennt, hat
vielleicht eine ähnliche Farce aus einem andern Lebensgebiet erzählen
hören.
2) Jovian. Pontani Antonius: nec est quod Neapoli quam ho-
minis vita minoris vendatur.
Freilich meint er, das ſei unter
den Anjou noch nicht ſo geweſen; sicam ab iis — den Aragoneſen
accepimus. Den Zuſtand um 1534 bezeugt Benv. Cellini I, 70.
3) Einen eigentlichen Nachweis wird Niemand hierüber leiſten können,
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[450/0460] übliches keine Gewiſſensbiſſe rege machte 1). Wie ſehr in Zeiten politiſcher Unruhen die Bauern auch anderswo ver- wildern konnten, iſt bereits (S. 351) angedeutet worden. 6. Abſchnitt. Ein ſchlimmeres Zeichen der damaligen Sitte als die Räuberei iſt die Häufigkeit der bezahlten, durch dritte Hand geübten Verbrechen. Darin ging zugeſtandener Maßen Neapel allen andern Städten voran. „Hier iſt gar nichts billiger zu kaufen als ein Menſchenleben“, ſagt Pontano 2). Aber auch andere Gegenden weiſen eine furchtbare Reihe von Miſſethaten dieſer Art auf. Man kann dieſelben na- türlich nur ſchwer nach den Motiven ſondern, indem poli- tiſche Zweckmäßigkeit, Parteihaß, perſönliche Feindſchaft, Rache und Furcht durcheinander wirkten. Es macht den Florentinern die größte Ehre, daß damals bei ihnen, dem höchſtentwickelten Volke von Italien, dergleichen am we- nigſten vorkömmt 3), vielleicht weil es für berechtigte Be- ſchwerden noch eine Juſtiz gab, die man anerkannte, oder weil die höhere Cultur den Menſchen eine andere Anſicht verlieh über das verbrecheriſche Eingreifen in das Rad des Schickſals; wenn irgendwo ſo erwog man in Florenz wie eine Blutſchuld unberechenbar weiter wirkt und wie wenig der Anſtifter auch bei einem ſogenannten nützlichen Ver- brechen eines überwiegenden und dauernden Vortheils ſicher iſt. Nach dem Untergang der florentiniſchen Freiheit ſcheint der Meuchelmord, hauptſächlich der gedungene, raſch zuge- Der bezahlte Mord. 1) Poggio, Facetiæ, fol. 164. Wer das heutige Neapel kennt, hat vielleicht eine ähnliche Farce aus einem andern Lebensgebiet erzählen hören. 2) Jovian. Pontani Antonius: nec est quod Neapoli quam ho- minis vita minoris vendatur. Freilich meint er, das ſei unter den Anjou noch nicht ſo geweſen; sicam ab iis — den Aragoneſen — accepimus. Den Zuſtand um 1534 bezeugt Benv. Cellini I, 70. 3) Einen eigentlichen Nachweis wird Niemand hierüber leiſten können, allein es wird wenig Merd erwähnt und die Phantaſie der flerentin. Schriftſteller der guten Zeit iſt nicht mit Verdacht dieſer Art erfüllt.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/460>, abgerufen am 23.04.2024.