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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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der Weg von einer solcher Distinction bis zu völliger Hin-6. Abschnitt.
gebung.

Letztere erscheint dann soviel als berechtigt, wenn UntreueUntreue und
Strafe.

des Mannes hinzukömmt. Das individuell entwickelte Weib
empfindet dieselbe bei Weitem nicht bloß als einen Schmerz,
sondern als Hohn und Demüthigung, namentlich als Ueber-
listung, und nun übt sie, oft mit ziemlich kaltem Bewußtsein,
die vom Gemahl verdiente Rache. Ihrem Tact bleibt es
überlassen, das für den betreffenden Fall richtige Strafmaaß
zu treffen. Die tiefste Kränkung kann z. B. einen Ausweg
zur Versöhnung und zu künftigem ruhigem Leben anbahnen,
wenn sie völlig geheim bleibt. Die Novellisten, welche der-
gleichen dennoch erfahren oder es gemäß der Atmosphäre
ihrer Zeit erdichten, sind voll von Bewunderung, wenn die
Rache höchst angemessen, wenn sie ein Kunstwerk ist. Es
versteht sich, daß der Ehemann ein solches Vergeltungsrecht
doch im Grunde nie anerkennt und sich nur aus Furcht
oder aus Klugheitsgründen fügt. Wo diese wegfallen, wo
er um der Untreue seiner Gemahlin willen ohnehin erwar-
ten oder wenigstens besorgen muß, von dritten Personen
ausgehöhnt zu werden, da wird die Sache tragisch. Nicht
selten folgt die gewaltsamste Gegenrache und der Mord.
Es ist höchst bezeichnend für die wahre Quelle dieser Thaten,
daß außer dem Gemahl auch die Brüder 1) und der Vater
der Frau sich dazu berechtigt, ja verpflichtet glauben;
die Eifersucht hat also nichts mehr damit zu thun, dasDie Rächer.
sittliche Gefühl wenig, der Wunsch, dritten Personen ihren
Spott zu verleiden das Meiste. "Heute", sagt Bandello 2),

1) Ein besonders gräuliches Beispiel der Rache eines Bruders, aus Pe-
rugia vom J. 1455, findet man in der Chronik des Graziani,
Arch. stor. XVI, I, p. 629. Der Bruder zwingt den Galan, der
Schwester die Augen auszureißen und jagt ihn mit Schlägen von
dannen. Freilich die Familie war ein Zweig der Oddi und der
Liebhaber nur ein Seiler.
2) Bandello, Parte I, Nov. 9 und 26. -- Es kommt vor, daß der

der Weg von einer ſolcher Diſtinction bis zu völliger Hin-6. Abſchnitt.
gebung.

Letztere erſcheint dann ſoviel als berechtigt, wenn UntreueUntreue und
Strafe.

des Mannes hinzukömmt. Das individuell entwickelte Weib
empfindet dieſelbe bei Weitem nicht bloß als einen Schmerz,
ſondern als Hohn und Demüthigung, namentlich als Ueber-
liſtung, und nun übt ſie, oft mit ziemlich kaltem Bewußtſein,
die vom Gemahl verdiente Rache. Ihrem Tact bleibt es
überlaſſen, das für den betreffenden Fall richtige Strafmaaß
zu treffen. Die tiefſte Kränkung kann z. B. einen Ausweg
zur Verſöhnung und zu künftigem ruhigem Leben anbahnen,
wenn ſie völlig geheim bleibt. Die Novelliſten, welche der-
gleichen dennoch erfahren oder es gemäß der Atmosphäre
ihrer Zeit erdichten, ſind voll von Bewunderung, wenn die
Rache höchſt angemeſſen, wenn ſie ein Kunſtwerk iſt. Es
verſteht ſich, daß der Ehemann ein ſolches Vergeltungsrecht
doch im Grunde nie anerkennt und ſich nur aus Furcht
oder aus Klugheitsgründen fügt. Wo dieſe wegfallen, wo
er um der Untreue ſeiner Gemahlin willen ohnehin erwar-
ten oder wenigſtens beſorgen muß, von dritten Perſonen
ausgehöhnt zu werden, da wird die Sache tragiſch. Nicht
ſelten folgt die gewaltſamſte Gegenrache und der Mord.
Es iſt höchſt bezeichnend für die wahre Quelle dieſer Thaten,
daß außer dem Gemahl auch die Brüder 1) und der Vater
der Frau ſich dazu berechtigt, ja verpflichtet glauben;
die Eiferſucht hat alſo nichts mehr damit zu thun, dasDie Rächer.
ſittliche Gefühl wenig, der Wunſch, dritten Perſonen ihren
Spott zu verleiden das Meiſte. „Heute“, ſagt Bandello 2),

1) Ein beſonders gräuliches Beiſpiel der Rache eines Bruders, aus Pe-
rugia vom J. 1455, findet man in der Chronik des Graziani,
Arch. stor. XVI, I, p. 629. Der Bruder zwingt den Galan, der
Schweſter die Augen auszureißen und jagt ihn mit Schlägen von
dannen. Freilich die Familie war ein Zweig der Oddi und der
Liebhaber nur ein Seiler.
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[441/0451] der Weg von einer ſolcher Diſtinction bis zu völliger Hin- gebung. 6. Abſchnitt. Letztere erſcheint dann ſoviel als berechtigt, wenn Untreue des Mannes hinzukömmt. Das individuell entwickelte Weib empfindet dieſelbe bei Weitem nicht bloß als einen Schmerz, ſondern als Hohn und Demüthigung, namentlich als Ueber- liſtung, und nun übt ſie, oft mit ziemlich kaltem Bewußtſein, die vom Gemahl verdiente Rache. Ihrem Tact bleibt es überlaſſen, das für den betreffenden Fall richtige Strafmaaß zu treffen. Die tiefſte Kränkung kann z. B. einen Ausweg zur Verſöhnung und zu künftigem ruhigem Leben anbahnen, wenn ſie völlig geheim bleibt. Die Novelliſten, welche der- gleichen dennoch erfahren oder es gemäß der Atmosphäre ihrer Zeit erdichten, ſind voll von Bewunderung, wenn die Rache höchſt angemeſſen, wenn ſie ein Kunſtwerk iſt. Es verſteht ſich, daß der Ehemann ein ſolches Vergeltungsrecht doch im Grunde nie anerkennt und ſich nur aus Furcht oder aus Klugheitsgründen fügt. Wo dieſe wegfallen, wo er um der Untreue ſeiner Gemahlin willen ohnehin erwar- ten oder wenigſtens beſorgen muß, von dritten Perſonen ausgehöhnt zu werden, da wird die Sache tragiſch. Nicht ſelten folgt die gewaltſamſte Gegenrache und der Mord. Es iſt höchſt bezeichnend für die wahre Quelle dieſer Thaten, daß außer dem Gemahl auch die Brüder 1) und der Vater der Frau ſich dazu berechtigt, ja verpflichtet glauben; die Eiferſucht hat alſo nichts mehr damit zu thun, das ſittliche Gefühl wenig, der Wunſch, dritten Perſonen ihren Spott zu verleiden das Meiſte. „Heute“, ſagt Bandello 2), Untreue und Strafe. Die Rächer. 1) Ein beſonders gräuliches Beiſpiel der Rache eines Bruders, aus Pe- rugia vom J. 1455, findet man in der Chronik des Graziani, Arch. stor. XVI, I, p. 629. Der Bruder zwingt den Galan, der Schweſter die Augen auszureißen und jagt ihn mit Schlägen von dannen. Freilich die Familie war ein Zweig der Oddi und der Liebhaber nur ein Seiler. 2) Bandello, Parte I, Nov. 9 und 26. — Es kommt vor, daß der

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/451>, abgerufen am 29.03.2024.