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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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5. Abschnitt.irgendwo die allegorischen und geschichtlichen, weil sie einem
allverbreiteten Bildungskreise entnommen waren.

Die Allegorie
in Literatur u.
Kunst.
Dieß bedarf einer nähern Bestimmung. Das ganze
Mittelalter war die Zeit des Allegorisirens in vorzugsweisem
Sinne gewesen; seine Theologie und Philosophie behandelte
ihre Kategorien dergestalt als selbständige Wesen 1), daß
Dichtung und Kunst es scheinbar leicht hatten, dasjenige bei-
zufügen was noch zur Persönlichkeit fehlte. Hierin stehen
alle Länder des Occidents auf gleicher Stufe; aus ihrer
Gedankenwelt können sich überall Gestalten erzeugen, nur
daß Ausstattung und Attribute in der Regel räthselhaft
und unpopulär ausfallen werden. Letzteres ist auch in
Italien häufig der Fall, und zwar selbst während der
ganzen Renaissance und noch über dieselbe hinaus. Es ge-
nügt dazu, daß irgend ein Prädicat der betreffenden alle-
gorischen Gestalt auf unrichtige Weise durch ein Attribut
übersetzt werde. Selbst Dante ist durchaus nicht frei von
solchen falschen Uebertragungen 2), und aus der Dunkelheit
seiner Allegorien überhaupt hat er sich bekanntlich eine
wahre Ehre gemacht 3). Petrarca in seinen Trionfi will
wenigstens die Gestalten des Amor, der Keuschheit, des
Todes, der Fama etc. deutlich, wenn auch in Kürze schildern.
Andere dagegen überladen ihre Allegorien mit lauter ver-
fehlten Attributen. In den Satiren des Vinciguerra 4)

1) Wobei man nicht einmal an den Realismus der Scholastiker zu den-
ken braucht.
2) Dahin darf man es z. B. rechnen, wenn er Bilder auf Metaphern
baut, wenn an der Pforte des Fegefeuers die mittlere, geborstene
Stufe die Zerknirschung des Herzens bedeuten soll (Purgat. IX, 97),
während doch die Steinplatte durch das Bersten ihren Werth als
Stufe verliert; oder wenn (Purgat. XVIII, 94) die auf Erden
Lässigen ihre Buße im Jenseits durch Rennen bezeigen müssen,
während doch das Rennen auch ein Zeichen der Flucht etc. sein könnte.
3) Inferno IX, 61. Purgat. VIII, 19.
4) Poesie satiriche, ed. Milan. p. 70, s. -- Vom Ende des XV. Jahrh.

5. Abſchnitt.irgendwo die allegoriſchen und geſchichtlichen, weil ſie einem
allverbreiteten Bildungskreiſe entnommen waren.

Die Allegorie
in Literatur u.
Kunſt.
Dieß bedarf einer nähern Beſtimmung. Das ganze
Mittelalter war die Zeit des Allegoriſirens in vorzugsweiſem
Sinne geweſen; ſeine Theologie und Philoſophie behandelte
ihre Kategorien dergeſtalt als ſelbſtändige Weſen 1), daß
Dichtung und Kunſt es ſcheinbar leicht hatten, dasjenige bei-
zufügen was noch zur Perſönlichkeit fehlte. Hierin ſtehen
alle Länder des Occidents auf gleicher Stufe; aus ihrer
Gedankenwelt können ſich überall Geſtalten erzeugen, nur
daß Ausſtattung und Attribute in der Regel räthſelhaft
und unpopulär ausfallen werden. Letzteres iſt auch in
Italien häufig der Fall, und zwar ſelbſt während der
ganzen Renaiſſance und noch über dieſelbe hinaus. Es ge-
nügt dazu, daß irgend ein Prädicat der betreffenden alle-
goriſchen Geſtalt auf unrichtige Weiſe durch ein Attribut
überſetzt werde. Selbſt Dante iſt durchaus nicht frei von
ſolchen falſchen Uebertragungen 2), und aus der Dunkelheit
ſeiner Allegorien überhaupt hat er ſich bekanntlich eine
wahre Ehre gemacht 3). Petrarca in ſeinen Trionfi will
wenigſtens die Geſtalten des Amor, der Keuſchheit, des
Todes, der Fama ꝛc. deutlich, wenn auch in Kürze ſchildern.
Andere dagegen überladen ihre Allegorien mit lauter ver-
fehlten Attributen. In den Satiren des Vinciguerra 4)

1) Wobei man nicht einmal an den Realismus der Scholaſtiker zu den-
ken braucht.
2) Dahin darf man es z. B. rechnen, wenn er Bilder auf Metaphern
baut, wenn an der Pforte des Fegefeuers die mittlere, geborſtene
Stufe die Zerknirſchung des Herzens bedeuten ſoll (Purgat. IX, 97),
während doch die Steinplatte durch das Berſten ihren Werth als
Stufe verliert; oder wenn (Purgat. XVIII, 94) die auf Erden
Läſſigen ihre Buße im Jenſeits durch Rennen bezeigen müſſen,
während doch das Rennen auch ein Zeichen der Flucht ꝛc. ſein könnte.
3) Inferno IX, 61. Purgat. VIII, 19.
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[404/0414] irgendwo die allegoriſchen und geſchichtlichen, weil ſie einem allverbreiteten Bildungskreiſe entnommen waren. 5. Abſchnitt. Dieß bedarf einer nähern Beſtimmung. Das ganze Mittelalter war die Zeit des Allegoriſirens in vorzugsweiſem Sinne geweſen; ſeine Theologie und Philoſophie behandelte ihre Kategorien dergeſtalt als ſelbſtändige Weſen 1), daß Dichtung und Kunſt es ſcheinbar leicht hatten, dasjenige bei- zufügen was noch zur Perſönlichkeit fehlte. Hierin ſtehen alle Länder des Occidents auf gleicher Stufe; aus ihrer Gedankenwelt können ſich überall Geſtalten erzeugen, nur daß Ausſtattung und Attribute in der Regel räthſelhaft und unpopulär ausfallen werden. Letzteres iſt auch in Italien häufig der Fall, und zwar ſelbſt während der ganzen Renaiſſance und noch über dieſelbe hinaus. Es ge- nügt dazu, daß irgend ein Prädicat der betreffenden alle- goriſchen Geſtalt auf unrichtige Weiſe durch ein Attribut überſetzt werde. Selbſt Dante iſt durchaus nicht frei von ſolchen falſchen Uebertragungen 2), und aus der Dunkelheit ſeiner Allegorien überhaupt hat er ſich bekanntlich eine wahre Ehre gemacht 3). Petrarca in ſeinen Trionfi will wenigſtens die Geſtalten des Amor, der Keuſchheit, des Todes, der Fama ꝛc. deutlich, wenn auch in Kürze ſchildern. Andere dagegen überladen ihre Allegorien mit lauter ver- fehlten Attributen. In den Satiren des Vinciguerra 4) Die Allegorie in Literatur u. Kunſt. 1) Wobei man nicht einmal an den Realismus der Scholaſtiker zu den- ken braucht. 2) Dahin darf man es z. B. rechnen, wenn er Bilder auf Metaphern baut, wenn an der Pforte des Fegefeuers die mittlere, geborſtene Stufe die Zerknirſchung des Herzens bedeuten ſoll (Purgat. IX, 97), während doch die Steinplatte durch das Berſten ihren Werth als Stufe verliert; oder wenn (Purgat. XVIII, 94) die auf Erden Läſſigen ihre Buße im Jenſeits durch Rennen bezeigen müſſen, während doch das Rennen auch ein Zeichen der Flucht ꝛc. ſein könnte. 3) Inferno IX, 61. Purgat. VIII, 19. 4) Poesie satiriche, ed. Milan. p. 70, s. — Vom Ende des XV. Jahrh.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/414>, abgerufen am 25.04.2024.