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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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auch hierin vorangegangen war. Wenigstens war man hier5. Abschnitt.
schon früh quartierweise organisirt für öffentliche Auffüh-
rungen, welche einen sehr großen künstlerischen Aufwand
voraussetzen. So jene Darstellung der Hölle auf einem
Gerüst und auf Barken im Arno, 1. Mai 1304, wobei
unter den Zuschauern die Brücke alla Carraja zusammen-
brach 1). Auch daß später Florentiner als Festkünstler,
festaiuoli, im übrigen Italien reisen konnten 2), beweist
eine frühe Vervollkommnung zu Hause.

Suchen wir nun die wesentlichsten Vorzüge des ita-Vorzüge des
italien. Fest-
wesens.

lienischen Festwesens gegenüber dem Auslande vorläufig
auszumitteln, so steht in erster Linie der Sinn des entwickelten
Individuums für Darstellung des Individuellen, d. h. die
Fähigkeit, eine vollständige Maske zu erfinden, zu tragen
und zu agiren. Maler und Bildhauer halfen dann bei
weitem nicht bloß zur Decoration des Ortes, sondern auch
zur Ausstattung der Personen mit, und gaben Tracht,
Schminke (S. 368, f.) und anderweitige Ausstattung an.
Das Zweite ist die Allverständlichkeit der poetischen Grund-
lage. Bei den Mysterien war dieselbe im ganzen Abend-
lande gleich groß, indem die biblischen und legendarischen
Historien von vornherein Jedermann bekannt waren, für
alles Uebrige aber war Italien im Vortheil. Für die Re-
citationen einzelner heiliger oder profan-idealer Gestalten
besaß es eine volltönende lyrische Poesie, welche Groß und
Klein gleichmäßig hinreißen konnte 3). Sodann verstand
der größte Theil der Zuschauer (in den Städten) die my-
thologischen Figuren und errieth wenigstens leichter als

während des XIV. Jahrh. (Anonymus de laudibus Papiae, bei
Murat. XI, Col. 34, s.)
1) Gio. Villani, VIII, 70.
2) Vgl. z. B. Infessura, bei Eccard, scriptt. II, Col. 1896. --
Corio, fol.
417. 421.
3) Der Dialog der Mysterien bewegte sich gern in Ottaven, der Mo-
nolog in Terzinen.
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auch hierin vorangegangen war. Wenigſtens war man hier5. Abſchnitt.
ſchon früh quartierweiſe organiſirt für öffentliche Auffüh-
rungen, welche einen ſehr großen künſtleriſchen Aufwand
vorausſetzen. So jene Darſtellung der Hölle auf einem
Gerüſt und auf Barken im Arno, 1. Mai 1304, wobei
unter den Zuſchauern die Brücke alla Carraja zuſammen-
brach 1). Auch daß ſpäter Florentiner als Feſtkünſtler,
festaiuoli, im übrigen Italien reiſen konnten 2), beweist
eine frühe Vervollkommnung zu Hauſe.

Suchen wir nun die weſentlichſten Vorzüge des ita-Vorzüge des
italien. Feſt-
weſens.

lieniſchen Feſtweſens gegenüber dem Auslande vorläufig
auszumitteln, ſo ſteht in erſter Linie der Sinn des entwickelten
Individuums für Darſtellung des Individuellen, d. h. die
Fähigkeit, eine vollſtändige Maske zu erfinden, zu tragen
und zu agiren. Maler und Bildhauer halfen dann bei
weitem nicht bloß zur Decoration des Ortes, ſondern auch
zur Ausſtattung der Perſonen mit, und gaben Tracht,
Schminke (S. 368, f.) und anderweitige Ausſtattung an.
Das Zweite iſt die Allverſtändlichkeit der poetiſchen Grund-
lage. Bei den Myſterien war dieſelbe im ganzen Abend-
lande gleich groß, indem die bibliſchen und legendariſchen
Hiſtorien von vornherein Jedermann bekannt waren, für
alles Uebrige aber war Italien im Vortheil. Für die Re-
citationen einzelner heiliger oder profan-idealer Geſtalten
beſaß es eine volltönende lyriſche Poeſie, welche Groß und
Klein gleichmäßig hinreißen konnte 3). Sodann verſtand
der größte Theil der Zuſchauer (in den Städten) die my-
thologiſchen Figuren und errieth wenigſtens leichter als

während des XIV. Jahrh. (Anonymus de laudibus Papiæ, bei
Murat. XI, Col. 34, s.)
1) Gio. Villani, VIII, 70.
2) Vgl. z. B. Infessura, bei Eccard, scriptt. II, Col. 1896. —
Corio, fol.
417. 421.
3) Der Dialog der Myſterien bewegte ſich gern in Ottaven, der Mo-
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[403/0413] auch hierin vorangegangen war. Wenigſtens war man hier ſchon früh quartierweiſe organiſirt für öffentliche Auffüh- rungen, welche einen ſehr großen künſtleriſchen Aufwand vorausſetzen. So jene Darſtellung der Hölle auf einem Gerüſt und auf Barken im Arno, 1. Mai 1304, wobei unter den Zuſchauern die Brücke alla Carraja zuſammen- brach 1). Auch daß ſpäter Florentiner als Feſtkünſtler, festaiuoli, im übrigen Italien reiſen konnten 2), beweist eine frühe Vervollkommnung zu Hauſe. 5. Abſchnitt. Suchen wir nun die weſentlichſten Vorzüge des ita- lieniſchen Feſtweſens gegenüber dem Auslande vorläufig auszumitteln, ſo ſteht in erſter Linie der Sinn des entwickelten Individuums für Darſtellung des Individuellen, d. h. die Fähigkeit, eine vollſtändige Maske zu erfinden, zu tragen und zu agiren. Maler und Bildhauer halfen dann bei weitem nicht bloß zur Decoration des Ortes, ſondern auch zur Ausſtattung der Perſonen mit, und gaben Tracht, Schminke (S. 368, f.) und anderweitige Ausſtattung an. Das Zweite iſt die Allverſtändlichkeit der poetiſchen Grund- lage. Bei den Myſterien war dieſelbe im ganzen Abend- lande gleich groß, indem die bibliſchen und legendariſchen Hiſtorien von vornherein Jedermann bekannt waren, für alles Uebrige aber war Italien im Vortheil. Für die Re- citationen einzelner heiliger oder profan-idealer Geſtalten beſaß es eine volltönende lyriſche Poeſie, welche Groß und Klein gleichmäßig hinreißen konnte 3). Sodann verſtand der größte Theil der Zuſchauer (in den Städten) die my- thologiſchen Figuren und errieth wenigſtens leichter als 2) Vorzüge des italien. Feſt- weſens. 1) Gio. Villani, VIII, 70. 2) Vgl. z. B. Infessura, bei Eccard, scriptt. II, Col. 1896. — Corio, fol. 417. 421. 3) Der Dialog der Myſterien bewegte ſich gern in Ottaven, der Mo- nolog in Terzinen. 2) während des XIV. Jahrh. (Anonymus de laudibus Papiæ, bei Murat. XI, Col. 34, s.) 26*

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/413>, abgerufen am 26.04.2024.