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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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das Taschengeld der jüngern Söhne, steht hiezu in einem5. Abschnitt.
rationellen, nicht in einem conventionellen Verhältniß. Das
Wichtigste aber ist die Erziehung, die der Hausherr beiErziehung.
Weitem nicht bloß den Kindern, sondern dem ganzen Hause
giebt. Er bildet zunächst seine Gemahlin aus einem schüch-
ternen, in vorsichtigem Gewahrsam erzogenen Mädchen zur
sichern Gebieterin der Dienerschaft, zur Hausfrau aus;
dann erzieht er die Söhne ohne alle unnütze Härte 1), durch
sorgfältige Aufsicht und Zureden, "mehr mit Autori-
tät als mit Gewalt", und endlich wählt und behandelt er
auch die Angestellten und Diener nach solchen Grundsätzen,
daß sie gerne und treu am Hause halten.

Noch einen Zug müssen wir hervorheben, der diesemDie Villa.
Büchlein zwar keinesweges eigen, wohl aber mit besonderer
Begeisterung darin hervorgehoben ist: die Liebe des gebil-
deten Italieners zum Landleben. Im Norden wohnten
damals auf dem Lande die Adlichen in ihren Bergschlössern
und die vornehmern Mönchsorden in ihren wohlverschlossenen
Klöstern; der reichste Bürger aber lebte Jahr aus Jahr
ein in der Stadt. In Italien dagegen war, wenigstens
was die Umgebung gewisser Städte betrifft, theils die po-
litische und polizeiliche Sicherheit größer, theils die Nei-
gung zum Aufenthalt draußen so mächtig, daß man in
Kriegsfällen sich auch einigen Verlust gefallen ließ. So

1) Eine gründliche, mit psychologischem Geist gearbeitete Geschichte des
Prügelns bei den germanischen und romanischen Völkern wäre wohl
so viel werth als ein paar Bände Depeschen und Unterhandlungen.
Wann und durch welchen Einfluß ist das Prügeln in der deutschen
Familie zu einem alltäglichen Gebrauch geworden? Es geschah wohl
erst lange nachdem Waltber gesungen: Nieman kan mit gerten kin-
des zuht beherten. In Italien hört wenigstens das Schlagen sehr
früh auf; ein siebenjähriges Kind bekömmt keine Schläge mehr.
Der kleine Roland (Orlandino, cap. VII, str. 42) stellt das Princip
auf:
Sol gli asini si ponno bastonare,
Se una tal bestia fussi, patirei.

das Taſchengeld der jüngern Söhne, ſteht hiezu in einem5. Abſchnitt.
rationellen, nicht in einem conventionellen Verhältniß. Das
Wichtigſte aber iſt die Erziehung, die der Hausherr beiErziehung.
Weitem nicht bloß den Kindern, ſondern dem ganzen Hauſe
giebt. Er bildet zunächſt ſeine Gemahlin aus einem ſchüch-
ternen, in vorſichtigem Gewahrſam erzogenen Mädchen zur
ſichern Gebieterin der Dienerſchaft, zur Hausfrau aus;
dann erzieht er die Söhne ohne alle unnütze Härte 1), durch
ſorgfältige Aufſicht und Zureden, „mehr mit Autori-
tät als mit Gewalt“, und endlich wählt und behandelt er
auch die Angeſtellten und Diener nach ſolchen Grundſätzen,
daß ſie gerne und treu am Hauſe halten.

Noch einen Zug müſſen wir hervorheben, der dieſemDie Villa.
Büchlein zwar keinesweges eigen, wohl aber mit beſonderer
Begeiſterung darin hervorgehoben iſt: die Liebe des gebil-
deten Italieners zum Landleben. Im Norden wohnten
damals auf dem Lande die Adlichen in ihren Bergſchlöſſern
und die vornehmern Mönchsorden in ihren wohlverſchloſſenen
Klöſtern; der reichſte Bürger aber lebte Jahr aus Jahr
ein in der Stadt. In Italien dagegen war, wenigſtens
was die Umgebung gewiſſer Städte betrifft, theils die po-
litiſche und polizeiliche Sicherheit größer, theils die Nei-
gung zum Aufenthalt draußen ſo mächtig, daß man in
Kriegsfällen ſich auch einigen Verluſt gefallen ließ. So

1) Eine gründliche, mit pſychologiſchem Geiſt gearbeitete Geſchichte des
Prügelns bei den germaniſchen und romaniſchen Völkern wäre wohl
ſo viel werth als ein paar Bände Depeſchen und Unterhandlungen.
Wann und durch welchen Einfluß iſt das Prügeln in der deutſchen
Familie zu einem alltäglichen Gebrauch geworden? Es geſchah wohl
erſt lange nachdem Waltber geſungen: Nieman kan mit gerten kin-
des zuht beherten. In Italien hört wenigſtens das Schlagen ſehr
früh auf; ein ſiebenjähriges Kind bekömmt keine Schläge mehr.
Der kleine Roland (Orlandino, cap. VII, str. 42) ſtellt das Princip
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Sol gli asini si ponno bastonare,
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[399/0409] das Taſchengeld der jüngern Söhne, ſteht hiezu in einem rationellen, nicht in einem conventionellen Verhältniß. Das Wichtigſte aber iſt die Erziehung, die der Hausherr bei Weitem nicht bloß den Kindern, ſondern dem ganzen Hauſe giebt. Er bildet zunächſt ſeine Gemahlin aus einem ſchüch- ternen, in vorſichtigem Gewahrſam erzogenen Mädchen zur ſichern Gebieterin der Dienerſchaft, zur Hausfrau aus; dann erzieht er die Söhne ohne alle unnütze Härte 1), durch ſorgfältige Aufſicht und Zureden, „mehr mit Autori- tät als mit Gewalt“, und endlich wählt und behandelt er auch die Angeſtellten und Diener nach ſolchen Grundſätzen, daß ſie gerne und treu am Hauſe halten. 5. Abſchnitt. Erziehung. Noch einen Zug müſſen wir hervorheben, der dieſem Büchlein zwar keinesweges eigen, wohl aber mit beſonderer Begeiſterung darin hervorgehoben iſt: die Liebe des gebil- deten Italieners zum Landleben. Im Norden wohnten damals auf dem Lande die Adlichen in ihren Bergſchlöſſern und die vornehmern Mönchsorden in ihren wohlverſchloſſenen Klöſtern; der reichſte Bürger aber lebte Jahr aus Jahr ein in der Stadt. In Italien dagegen war, wenigſtens was die Umgebung gewiſſer Städte betrifft, theils die po- litiſche und polizeiliche Sicherheit größer, theils die Nei- gung zum Aufenthalt draußen ſo mächtig, daß man in Kriegsfällen ſich auch einigen Verluſt gefallen ließ. So Die Villa. 1) Eine gründliche, mit pſychologiſchem Geiſt gearbeitete Geſchichte des Prügelns bei den germaniſchen und romaniſchen Völkern wäre wohl ſo viel werth als ein paar Bände Depeſchen und Unterhandlungen. Wann und durch welchen Einfluß iſt das Prügeln in der deutſchen Familie zu einem alltäglichen Gebrauch geworden? Es geſchah wohl erſt lange nachdem Waltber geſungen: Nieman kan mit gerten kin- des zuht beherten. In Italien hört wenigſtens das Schlagen ſehr früh auf; ein ſiebenjähriges Kind bekömmt keine Schläge mehr. Der kleine Roland (Orlandino, cap. VII, str. 42) ſtellt das Princip auf: Sol gli asini si ponno bastonare, Se una tal bestia fussi, patirei.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/409>, abgerufen am 19.04.2024.