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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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5. Abschnitt.Das Hauswesen unseres Mittelalters war ein Pro-
duct der herrschenden Volkssitte oder, wenn man will, ein
höheres Naturproduct, beruhend auf den Antrieben der
Völkerentwicklung, und auf der Einwirkung der Lebens-
weise je nach Stand und Vermögen. Das Ritterthum in
seiner Blüthezeit ließ das Hauswesen unberührt; sein Le-
ben war das Herumziehen an Höfen und in Kriegen;
seine Huldigung gehörte systematisch einer andern Frau als
der Hausfrau, und auf dem Schloß daheim mochten die
Dinge gehen wie sie konnten. Die Renaissance zuerst ver-
sucht auch das Hauswesen mit Bewußtsein, als ein geord-
netes, ja als ein Kunstwerk aufzubauen. Eine sehr ent-
wickelte Oeconomie (S. 80) und ein rationeller Hausbau
kömmt ihr dabei zu Hülfe, die Hauptsache aber ist eine
verständige Reflexion über alle Fragen des Zusammenlebens,
der Erziehung, der Einrichtung und Bedienung.

Pandolfini.Das schätzbarste Actenstück hiefür ist der Dialog über
die Leitung des Hauses von Agnolo Pandolfini 1). Ein
Vater spricht zu seinen erwachsenen Söhnen und weiht sie
in seine ganze Handlungsweise ein. Man sieht in einen
großen, reichlichen Hausstand hinein, der, mit vernünftiger
Sparsamkeit und mit mäßigem Leben weiter geführt, Glück
und Wohlergehen auf viele Geschlechter hinaus verheißt.
Ein ansehnlicher Grundbesitz, der schon durch seine Pro-
ducte den Tisch des Hauses versieht und die Basis des
Ganzen ausmacht, wird mit einem industriellen Geschäft,
sei es Seiden- oder Wollenweberei, verbunden. Wohnung
und Nahrung sind höchst solid; alles was zur Einrichtung
und Anlage gehört, soll groß, dauerhaft und kostbar, das
tägliche Leben darin so einfach als möglich sein. Aller
übrige Aufwand, von den größten Ehrenausgaben bis auf

1) Trattato delgoverno della famiglia. Vgl. oben S. 135, 140, Anmm.
Pandolfini starb 1446, L. B. Alberti, dem das Werk ebenfalls zu-
geschrieben wird, im J 1472 -- Vgl. auch S. 302, Anm.

5. Abſchnitt.Das Hausweſen unſeres Mittelalters war ein Pro-
duct der herrſchenden Volksſitte oder, wenn man will, ein
höheres Naturproduct, beruhend auf den Antrieben der
Völkerentwicklung, und auf der Einwirkung der Lebens-
weiſe je nach Stand und Vermögen. Das Ritterthum in
ſeiner Blüthezeit ließ das Hausweſen unberührt; ſein Le-
ben war das Herumziehen an Höfen und in Kriegen;
ſeine Huldigung gehörte ſyſtematiſch einer andern Frau als
der Hausfrau, und auf dem Schloß daheim mochten die
Dinge gehen wie ſie konnten. Die Renaiſſance zuerſt ver-
ſucht auch das Hausweſen mit Bewußtſein, als ein geord-
netes, ja als ein Kunſtwerk aufzubauen. Eine ſehr ent-
wickelte Oeconomie (S. 80) und ein rationeller Hausbau
kömmt ihr dabei zu Hülfe, die Hauptſache aber iſt eine
verſtändige Reflexion über alle Fragen des Zuſammenlebens,
der Erziehung, der Einrichtung und Bedienung.

Pandolfini.Das ſchätzbarſte Actenſtück hiefür iſt der Dialog über
die Leitung des Hauſes von Agnolo Pandolfini 1). Ein
Vater ſpricht zu ſeinen erwachſenen Söhnen und weiht ſie
in ſeine ganze Handlungsweiſe ein. Man ſieht in einen
großen, reichlichen Hausſtand hinein, der, mit vernünftiger
Sparſamkeit und mit mäßigem Leben weiter geführt, Glück
und Wohlergehen auf viele Geſchlechter hinaus verheißt.
Ein anſehnlicher Grundbeſitz, der ſchon durch ſeine Pro-
ducte den Tiſch des Hauſes verſieht und die Baſis des
Ganzen ausmacht, wird mit einem induſtriellen Geſchäft,
ſei es Seiden- oder Wollenweberei, verbunden. Wohnung
und Nahrung ſind höchſt ſolid; alles was zur Einrichtung
und Anlage gehört, ſoll groß, dauerhaft und koſtbar, das
tägliche Leben darin ſo einfach als möglich ſein. Aller
übrige Aufwand, von den größten Ehrenausgaben bis auf

1) Trattato delgoverno della famiglia. Vgl. oben S. 135, 140, Anmm.
Pandolfini ſtarb 1446, L. B. Alberti, dem das Werk ebenfalls zu-
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[398/0408] Das Hausweſen unſeres Mittelalters war ein Pro- duct der herrſchenden Volksſitte oder, wenn man will, ein höheres Naturproduct, beruhend auf den Antrieben der Völkerentwicklung, und auf der Einwirkung der Lebens- weiſe je nach Stand und Vermögen. Das Ritterthum in ſeiner Blüthezeit ließ das Hausweſen unberührt; ſein Le- ben war das Herumziehen an Höfen und in Kriegen; ſeine Huldigung gehörte ſyſtematiſch einer andern Frau als der Hausfrau, und auf dem Schloß daheim mochten die Dinge gehen wie ſie konnten. Die Renaiſſance zuerſt ver- ſucht auch das Hausweſen mit Bewußtſein, als ein geord- netes, ja als ein Kunſtwerk aufzubauen. Eine ſehr ent- wickelte Oeconomie (S. 80) und ein rationeller Hausbau kömmt ihr dabei zu Hülfe, die Hauptſache aber iſt eine verſtändige Reflexion über alle Fragen des Zuſammenlebens, der Erziehung, der Einrichtung und Bedienung. 5. Abſchnitt. Das ſchätzbarſte Actenſtück hiefür iſt der Dialog über die Leitung des Hauſes von Agnolo Pandolfini 1). Ein Vater ſpricht zu ſeinen erwachſenen Söhnen und weiht ſie in ſeine ganze Handlungsweiſe ein. Man ſieht in einen großen, reichlichen Hausſtand hinein, der, mit vernünftiger Sparſamkeit und mit mäßigem Leben weiter geführt, Glück und Wohlergehen auf viele Geſchlechter hinaus verheißt. Ein anſehnlicher Grundbeſitz, der ſchon durch ſeine Pro- ducte den Tiſch des Hauſes verſieht und die Baſis des Ganzen ausmacht, wird mit einem induſtriellen Geſchäft, ſei es Seiden- oder Wollenweberei, verbunden. Wohnung und Nahrung ſind höchſt ſolid; alles was zur Einrichtung und Anlage gehört, ſoll groß, dauerhaft und koſtbar, das tägliche Leben darin ſo einfach als möglich ſein. Aller übrige Aufwand, von den größten Ehrenausgaben bis auf Pandolfini. 1) Trattato delgoverno della famiglia. Vgl. oben S. 135, 140, Anmm. Pandolfini ſtarb 1446, L. B. Alberti, dem das Werk ebenfalls zu- geſchrieben wird, im J 1472 — Vgl. auch S. 302, Anm.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/408>, abgerufen am 22.11.2024.