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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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(am Ende des vierten Buches) hat vollends nichts mehr5. Abschnitt.
zu thun mit der speciellen Aufgabe des Werkes. Doch
zeigt sich auch hier wie in den Asolani des Bembo die un-
gemeine Höhe der Bildung in der Art, wie die Gefühle
verfeinert und analysirt auftreten. Dogmatisch beim Worte
nehmen darf man diese Autoren allerdings nicht. Daß
aber Reden dieser Art in der vornehmern Gesellschaft vor-
kamen ist nicht zu bezweifeln, und daß nicht bloßes Schön-
thun sondern auch wahre Leidenschaft in diesem Gewande
erschien, werden wir unten sehen.

Von den äußerlichen Fertigkeiten werden beim Corti-Seine Fertig-
keiten.

giano zunächst die sogenannten ritterlichen Uebungen in
Vollkommenheit verlangt, außerdem aber auch noch manches
Andere, das nur an einem geschulten, gleichmäßig fortbe-
stehenden, auf persönlichstem Wetteifer begründeten Hofe ge-
fordert werden konnte, wie es damals außerhalb Italiens
keinen gab; Mehreres beruht auch sichtlich nur auf einem
allgemeinen, beinahe abstracten Begriff der individuellen
Vollkommenheit. Der Cortigiano muß mit allen edeln
Spielen vertraut sein, auch mit dem Springen, Wettlaufen,
Schwimmen, Ringen; hauptsächlich muß er ein guter Tänzer
sein und (wie sich von selbst versteht) ein nobler Reiter.
Dazu aber muß er mehrere Sprachen, mindestens italienisch
und latein besitzen, und sich auf die schöne Literatur ver-
stehen, auch über die bildenden Künste ein Urtheil haben;
in der Musik fordert man von ihm sogar einen gewissen
Grad von ausübender Virtuosität, die er überdieß möglichst
geheim halten muß. Gründlicher Ernst ist es natürlich
mit nichts von Allem, ausgenommen die Waffen; aus der
gegenseitigen Neutralisirung des Vielen entsteht eben das
absolute Individuum, in welchem keine Eigenschaft auf-
dringlich vorherrscht.

So viel ist gewiß, daß im XVI. Jahrhundert dieLeibesübungen.
Italiener sowohl als theoretische Schriftsteller wie als prac-
tische Lehrer das ganze Abendland in die Schule nahmen

Cultur der Renaissance. 25

(am Ende des vierten Buches) hat vollends nichts mehr5. Abſchnitt.
zu thun mit der ſpeciellen Aufgabe des Werkes. Doch
zeigt ſich auch hier wie in den Aſolani des Bembo die un-
gemeine Höhe der Bildung in der Art, wie die Gefühle
verfeinert und analyſirt auftreten. Dogmatiſch beim Worte
nehmen darf man dieſe Autoren allerdings nicht. Daß
aber Reden dieſer Art in der vornehmern Geſellſchaft vor-
kamen iſt nicht zu bezweifeln, und daß nicht bloßes Schön-
thun ſondern auch wahre Leidenſchaft in dieſem Gewande
erſchien, werden wir unten ſehen.

Von den äußerlichen Fertigkeiten werden beim Corti-Seine Fertig-
keiten.

giano zunächſt die ſogenannten ritterlichen Uebungen in
Vollkommenheit verlangt, außerdem aber auch noch manches
Andere, das nur an einem geſchulten, gleichmäßig fortbe-
ſtehenden, auf perſönlichſtem Wetteifer begründeten Hofe ge-
fordert werden konnte, wie es damals außerhalb Italiens
keinen gab; Mehreres beruht auch ſichtlich nur auf einem
allgemeinen, beinahe abſtracten Begriff der individuellen
Vollkommenheit. Der Cortigiano muß mit allen edeln
Spielen vertraut ſein, auch mit dem Springen, Wettlaufen,
Schwimmen, Ringen; hauptſächlich muß er ein guter Tänzer
ſein und (wie ſich von ſelbſt verſteht) ein nobler Reiter.
Dazu aber muß er mehrere Sprachen, mindeſtens italieniſch
und latein beſitzen, und ſich auf die ſchöne Literatur ver-
ſtehen, auch über die bildenden Künſte ein Urtheil haben;
in der Muſik fordert man von ihm ſogar einen gewiſſen
Grad von ausübender Virtuoſität, die er überdieß möglichſt
geheim halten muß. Gründlicher Ernſt iſt es natürlich
mit nichts von Allem, ausgenommen die Waffen; aus der
gegenſeitigen Neutraliſirung des Vielen entſteht eben das
abſolute Individuum, in welchem keine Eigenſchaft auf-
dringlich vorherrſcht.

So viel iſt gewiß, daß im XVI. Jahrhundert dieLeibesübungen.
Italiener ſowohl als theoretiſche Schriftſteller wie als prac-
tiſche Lehrer das ganze Abendland in die Schule nahmen

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[385/0395] (am Ende des vierten Buches) hat vollends nichts mehr zu thun mit der ſpeciellen Aufgabe des Werkes. Doch zeigt ſich auch hier wie in den Aſolani des Bembo die un- gemeine Höhe der Bildung in der Art, wie die Gefühle verfeinert und analyſirt auftreten. Dogmatiſch beim Worte nehmen darf man dieſe Autoren allerdings nicht. Daß aber Reden dieſer Art in der vornehmern Geſellſchaft vor- kamen iſt nicht zu bezweifeln, und daß nicht bloßes Schön- thun ſondern auch wahre Leidenſchaft in dieſem Gewande erſchien, werden wir unten ſehen. 5. Abſchnitt. Von den äußerlichen Fertigkeiten werden beim Corti- giano zunächſt die ſogenannten ritterlichen Uebungen in Vollkommenheit verlangt, außerdem aber auch noch manches Andere, das nur an einem geſchulten, gleichmäßig fortbe- ſtehenden, auf perſönlichſtem Wetteifer begründeten Hofe ge- fordert werden konnte, wie es damals außerhalb Italiens keinen gab; Mehreres beruht auch ſichtlich nur auf einem allgemeinen, beinahe abſtracten Begriff der individuellen Vollkommenheit. Der Cortigiano muß mit allen edeln Spielen vertraut ſein, auch mit dem Springen, Wettlaufen, Schwimmen, Ringen; hauptſächlich muß er ein guter Tänzer ſein und (wie ſich von ſelbſt verſteht) ein nobler Reiter. Dazu aber muß er mehrere Sprachen, mindeſtens italieniſch und latein beſitzen, und ſich auf die ſchöne Literatur ver- ſtehen, auch über die bildenden Künſte ein Urtheil haben; in der Muſik fordert man von ihm ſogar einen gewiſſen Grad von ausübender Virtuoſität, die er überdieß möglichſt geheim halten muß. Gründlicher Ernſt iſt es natürlich mit nichts von Allem, ausgenommen die Waffen; aus der gegenſeitigen Neutraliſirung des Vielen entſteht eben das abſolute Individuum, in welchem keine Eigenſchaft auf- dringlich vorherrſcht. Seine Fertig- keiten. So viel iſt gewiß, daß im XVI. Jahrhundert die Italiener ſowohl als theoretiſche Schriftſteller wie als prac- tiſche Lehrer das ganze Abendland in die Schule nahmen Leibesübungen. Cultur der Renaiſſance. 25

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/395>, abgerufen am 28.03.2024.