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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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5. Abschnitt.An den Fürstenhöfen hing natürlich die Geselligkeit
von der Person des Herrschers ab. Es gab ihrer allerdings
seit Anfang des XVI. Jahrhunderts nur noch wenige und
diese konnten nur geringerntheils in dieser Beziehung etwas
bedeuten. Rom hatte seinen wahrhaft einzigen Hof Leo's X.,
eine Gesellschaft von so besonderer Art, wie sie sonst in
der Weltgeschichte nicht wieder vorkommt.

Ausbildung des
Cortigiano.
Für die Höfe, im Grunde aber noch viel mehr um
seiner selber willen bildet sich nun der Cortigiano aus,
welchen Castiglione schildert. Es ist eigentlich der gesell-
schaftliche Idealmensch, wie ihn die Bildung jener Zeit als
nothwendige, höchste Blüthe postulirt, und der Hof ist mehr
für ihn als er für den Hof bestimmt. Alles wohl erwogen,
könnte man einen solchen Menschen an keinem Hofe brau-
chen, weil er selber Talent und Auftreten eines vollkom-
menen Fürsten hat und weil seine ruhige, unaffectirte Vir-
tuosität in allen äußern und geistigen Dingen ein zu
selbständiges Wesen voraussetzt. Die innere Triebkraft, die
ihn bewegt, bezieht sich, obwohl es der Autor verhehlt,
nicht auf den Fürstendienst, sondern auf die eigene Vollen-
dung. Ein Beispiel wird dieß klar machen: im Kriege
nämlich verbittet sich 1) der Cortigiano selbst nützliche und
mit Gefahr und Aufopferung verbundene Aufgaben, wenn
dieselben styllos und unschön sind, wie etwa das Wegfangen
einer Heerde; was ihn zur Theilnahme am Kriege bewegt,
ist ja nicht die Pflicht an sich, sondern "l'honore". Die
sittliche Stellung zum Fürsten, wie sie im vierten Buch ver-
Seine Lieb-
schaft.
langt wird, ist eine sehr freie und selbständige. Die Theorie
der vornehmen Liebschaft (im dritten Buche) enthält sehr
viele feine psychologische Beobachtungen, die aber bessern-
theils dem allgemein menschlichen Gebiet angehören, und
die große, fast lyrische Verherrlichung der idealen Liebe

1) Il cortigiano, L. II, fol. 53. -- Vgl. oben S. 364, 376.

5. Abſchnitt.An den Fürſtenhöfen hing natürlich die Geſelligkeit
von der Perſon des Herrſchers ab. Es gab ihrer allerdings
ſeit Anfang des XVI. Jahrhunderts nur noch wenige und
dieſe konnten nur geringerntheils in dieſer Beziehung etwas
bedeuten. Rom hatte ſeinen wahrhaft einzigen Hof Leo's X.,
eine Geſellſchaft von ſo beſonderer Art, wie ſie ſonſt in
der Weltgeſchichte nicht wieder vorkommt.

Ausbildung des
Cortigiano.
Für die Höfe, im Grunde aber noch viel mehr um
ſeiner ſelber willen bildet ſich nun der Cortigiano aus,
welchen Caſtiglione ſchildert. Es iſt eigentlich der geſell-
ſchaftliche Idealmenſch, wie ihn die Bildung jener Zeit als
nothwendige, höchſte Blüthe poſtulirt, und der Hof iſt mehr
für ihn als er für den Hof beſtimmt. Alles wohl erwogen,
könnte man einen ſolchen Menſchen an keinem Hofe brau-
chen, weil er ſelber Talent und Auftreten eines vollkom-
menen Fürſten hat und weil ſeine ruhige, unaffectirte Vir-
tuoſität in allen äußern und geiſtigen Dingen ein zu
ſelbſtändiges Weſen vorausſetzt. Die innere Triebkraft, die
ihn bewegt, bezieht ſich, obwohl es der Autor verhehlt,
nicht auf den Fürſtendienſt, ſondern auf die eigene Vollen-
dung. Ein Beiſpiel wird dieß klar machen: im Kriege
nämlich verbittet ſich 1) der Cortigiano ſelbſt nützliche und
mit Gefahr und Aufopferung verbundene Aufgaben, wenn
dieſelben ſtyllos und unſchön ſind, wie etwa das Wegfangen
einer Heerde; was ihn zur Theilnahme am Kriege bewegt,
iſt ja nicht die Pflicht an ſich, ſondern „l'honore“. Die
ſittliche Stellung zum Fürſten, wie ſie im vierten Buch ver-
Seine Lieb-
ſchaft.
langt wird, iſt eine ſehr freie und ſelbſtändige. Die Theorie
der vornehmen Liebſchaft (im dritten Buche) enthält ſehr
viele feine pſychologiſche Beobachtungen, die aber beſſern-
theils dem allgemein menſchlichen Gebiet angehören, und
die große, faſt lyriſche Verherrlichung der idealen Liebe

1) Il cortigiano, L. II, fol. 53. — Vgl. oben S. 364, 376.
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[384/0394] An den Fürſtenhöfen hing natürlich die Geſelligkeit von der Perſon des Herrſchers ab. Es gab ihrer allerdings ſeit Anfang des XVI. Jahrhunderts nur noch wenige und dieſe konnten nur geringerntheils in dieſer Beziehung etwas bedeuten. Rom hatte ſeinen wahrhaft einzigen Hof Leo's X., eine Geſellſchaft von ſo beſonderer Art, wie ſie ſonſt in der Weltgeſchichte nicht wieder vorkommt. 5. Abſchnitt. Für die Höfe, im Grunde aber noch viel mehr um ſeiner ſelber willen bildet ſich nun der Cortigiano aus, welchen Caſtiglione ſchildert. Es iſt eigentlich der geſell- ſchaftliche Idealmenſch, wie ihn die Bildung jener Zeit als nothwendige, höchſte Blüthe poſtulirt, und der Hof iſt mehr für ihn als er für den Hof beſtimmt. Alles wohl erwogen, könnte man einen ſolchen Menſchen an keinem Hofe brau- chen, weil er ſelber Talent und Auftreten eines vollkom- menen Fürſten hat und weil ſeine ruhige, unaffectirte Vir- tuoſität in allen äußern und geiſtigen Dingen ein zu ſelbſtändiges Weſen vorausſetzt. Die innere Triebkraft, die ihn bewegt, bezieht ſich, obwohl es der Autor verhehlt, nicht auf den Fürſtendienſt, ſondern auf die eigene Vollen- dung. Ein Beiſpiel wird dieß klar machen: im Kriege nämlich verbittet ſich 1) der Cortigiano ſelbſt nützliche und mit Gefahr und Aufopferung verbundene Aufgaben, wenn dieſelben ſtyllos und unſchön ſind, wie etwa das Wegfangen einer Heerde; was ihn zur Theilnahme am Kriege bewegt, iſt ja nicht die Pflicht an ſich, ſondern „l'honore“. Die ſittliche Stellung zum Fürſten, wie ſie im vierten Buch ver- langt wird, iſt eine ſehr freie und ſelbſtändige. Die Theorie der vornehmen Liebſchaft (im dritten Buche) enthält ſehr viele feine pſychologiſche Beobachtungen, die aber beſſern- theils dem allgemein menſchlichen Gebiet angehören, und die große, faſt lyriſche Verherrlichung der idealen Liebe Ausbildung des Cortigiano. Seine Lieb- ſchaft. 1) Il cortigiano, L. II, fol. 53. — Vgl. oben S. 364, 376.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/394>, abgerufen am 23.11.2024.