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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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5. Abschnitt.für alle edlern Leibesübungen und für den höhern geselligen
Anstand. Für Reiten, Fechten und Tanzen haben sie durch
Werke mit Abbildungen und durch Unterricht den Ton an-
gegeben; das Turnen, abgelöst von der Kriegsübung wie
vom bloßen Spiel, ist vielleicht zu allererst von Vittorino
da Feltre (S. 208) gelehrt worden, und dann ein Requisit
der höhern Erziehung geblieben 1). Entscheidend ist dabei,
daß es kunstgemäß gelehrt wird; welche Uebungen vor-
kamen, ob die jetzt vorwiegenden auch damals gekannt
waren, können wir freilich nicht ermitteln. Wie sehr aber
außer der Kraft und Gewandtheit auch die Anmuth als
Zweck und Ziel galt, geht nicht nur aus der sonst bekann-
ten Denkweise der Nation, sondern auch aus bestimmten
Nachrichten hervor. Es genügt an den großen Federigo
von Montefeltro (S. 45) zu erinnern, wie er die abend-
lichen Spiele der ihm anvertrauten jungen Leute leitete.

Volksspiele.Spiele und Wettübungen des Volkes unterschieden sich
wohl nicht wesentlich von den im übrigen Abendlande ver-
breiteten. In den Seestädten kam natürlich das Wettrudern
hinzu und die venezianischen Regatten waren schon frühe
berühmt 2). Das classische Spiel Italiens war und ist be-

1) Coelius Calcagninus (Opera, p. 514) schildert die Erziehung eines
jungen Italieners von Stande um 1500 (in der Leichenrede auf
Antonio Costabili) wie folgt: zuerst artes liberales et ingenuae
disciplinae; tum adolescentia in iis exercitationibus acta, quae
ad rem militarem corpus animumque praemuniunt. Nunc
gymnastae
(d. h. dem Turnlehrer) operam dare, luctari,
excurrere, natare, equitare, venari, aucupari, ad palum et
apud lanistam ictus inferre aut declinare, caesim punctimve
hostem ferire, hastam vibrare, sub armis hyemem iuxta et
aestatem traducere, lanceis occursare, veri ac communis
Martis simulacra imitari.
-- Cardanus (de propria vita, c. 7)
nennt unter seinen Turnübungen auch das Hinaufspringen auf das
hölzerne Pferd.
2) Sansovino, Venezia, fol. 172, s. Sie sollen entstanden sein bei
Anlaß des Hinausfahrens zum Lido, wo man mit der Armbrust zu

5. Abſchnitt.für alle edlern Leibesübungen und für den höhern geſelligen
Anſtand. Für Reiten, Fechten und Tanzen haben ſie durch
Werke mit Abbildungen und durch Unterricht den Ton an-
gegeben; das Turnen, abgelöst von der Kriegsübung wie
vom bloßen Spiel, iſt vielleicht zu allererſt von Vittorino
da Feltre (S. 208) gelehrt worden, und dann ein Requiſit
der höhern Erziehung geblieben 1). Entſcheidend iſt dabei,
daß es kunſtgemäß gelehrt wird; welche Uebungen vor-
kamen, ob die jetzt vorwiegenden auch damals gekannt
waren, können wir freilich nicht ermitteln. Wie ſehr aber
außer der Kraft und Gewandtheit auch die Anmuth als
Zweck und Ziel galt, geht nicht nur aus der ſonſt bekann-
ten Denkweiſe der Nation, ſondern auch aus beſtimmten
Nachrichten hervor. Es genügt an den großen Federigo
von Montefeltro (S. 45) zu erinnern, wie er die abend-
lichen Spiele der ihm anvertrauten jungen Leute leitete.

Volksſpiele.Spiele und Wettübungen des Volkes unterſchieden ſich
wohl nicht weſentlich von den im übrigen Abendlande ver-
breiteten. In den Seeſtädten kam natürlich das Wettrudern
hinzu und die venezianiſchen Regatten waren ſchon frühe
berühmt 2). Das claſſiſche Spiel Italiens war und iſt be-

1) Coelius Calcagninus (Opera, p. 514) ſchildert die Erziehung eines
jungen Italieners von Stande um 1500 (in der Leichenrede auf
Antonio Coſtabili) wie folgt: zuerſt artes liberales et ingenuæ
disciplinæ; tum adolescentia in iis exercitationibus acta, quæ
ad rem militarem corpus animumque præmuniunt. Nunc
gymnastae
(d. h. dem Turnlehrer) operam dare, luctari,
excurrere, natare, equitare, venari, aucupari, ad palum et
apud lanistam ictus inferre aut declinare, cæsim punctimve
hostem ferire, hastam vibrare, sub armis hyemem iuxta et
æstatem traducere, lanceis occursare, veri ac communis
Martis simulacra imitari.
— Cardanus (de propria vita, c. 7)
nennt unter ſeinen Turnübungen auch das Hinaufſpringen auf das
hölzerne Pferd.
2) Sansovino, Venezia, fol. 172, s. Sie ſollen entſtanden ſein bei
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[386/0396] für alle edlern Leibesübungen und für den höhern geſelligen Anſtand. Für Reiten, Fechten und Tanzen haben ſie durch Werke mit Abbildungen und durch Unterricht den Ton an- gegeben; das Turnen, abgelöst von der Kriegsübung wie vom bloßen Spiel, iſt vielleicht zu allererſt von Vittorino da Feltre (S. 208) gelehrt worden, und dann ein Requiſit der höhern Erziehung geblieben 1). Entſcheidend iſt dabei, daß es kunſtgemäß gelehrt wird; welche Uebungen vor- kamen, ob die jetzt vorwiegenden auch damals gekannt waren, können wir freilich nicht ermitteln. Wie ſehr aber außer der Kraft und Gewandtheit auch die Anmuth als Zweck und Ziel galt, geht nicht nur aus der ſonſt bekann- ten Denkweiſe der Nation, ſondern auch aus beſtimmten Nachrichten hervor. Es genügt an den großen Federigo von Montefeltro (S. 45) zu erinnern, wie er die abend- lichen Spiele der ihm anvertrauten jungen Leute leitete. 5. Abſchnitt. Spiele und Wettübungen des Volkes unterſchieden ſich wohl nicht weſentlich von den im übrigen Abendlande ver- breiteten. In den Seeſtädten kam natürlich das Wettrudern hinzu und die venezianiſchen Regatten waren ſchon frühe berühmt 2). Das claſſiſche Spiel Italiens war und iſt be- Volksſpiele. 1) Coelius Calcagninus (Opera, p. 514) ſchildert die Erziehung eines jungen Italieners von Stande um 1500 (in der Leichenrede auf Antonio Coſtabili) wie folgt: zuerſt artes liberales et ingenuæ disciplinæ; tum adolescentia in iis exercitationibus acta, quæ ad rem militarem corpus animumque præmuniunt. Nunc gymnastae (d. h. dem Turnlehrer) operam dare, luctari, excurrere, natare, equitare, venari, aucupari, ad palum et apud lanistam ictus inferre aut declinare, cæsim punctimve hostem ferire, hastam vibrare, sub armis hyemem iuxta et æstatem traducere, lanceis occursare, veri ac communis Martis simulacra imitari. — Cardanus (de propria vita, c. 7) nennt unter ſeinen Turnübungen auch das Hinaufſpringen auf das hölzerne Pferd. 2) Sansovino, Venezia, fol. 172, s. Sie ſollen entſtanden ſein bei Anlaß des Hinausfahrens zum Lido, wo man mit der Armbruſt zu

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/396>, abgerufen am 23.11.2024.