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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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haben, ihre Sprache selber bilden und daß die Sprache5. Abschnitt.
beweglich und wandelbar, weil sie etwas Lebendiges ist.
Man möge die schönsten beliebigen Ausdrücke brauchen,
wenn nur das Volk sie noch brauche, auch solche aus nicht-
toscanischen Gegenden, ja hie und da französische und spa-
nische, wenn sie der Gebrauch schon für bestimmte Dinge
angenommen habe 1). So entstehe, mit Geist und Sorgfalt,
eine Sprache, welche zwar nicht eine rein antik toscanische,
wohl aber eine italienische wäre, reich an Fülle wie ein
köstlicher Garten voller Blumen und Früchte. Es gehört
sehr wesentlich mit zu der allgemeinen Virtuosität des Cor-
tigiano, daß nur in diesem ganz vollkommenen Gewande
seine feine Sitte, sein Geist und seine Poesie zu Tage treten.

Da nun die Sprache eine Angelegenheit der lebendigen
Gesellschaft geworden war, so setzten die Archaisten und
Puristen trotz aller Anstrengung ihre Sache im WesentlichenIhr geringer
Erfolg.

nicht durch. Es gab zu viele und treffliche Autoren und
Conversationsmenschen in Toscana selbst, welche sich über
das Streben Jener hinwegsetzten oder lustig machten; letzteres
vorzüglich, wenn ein Weiser von draußen kam und ihnen,
den Toscanern, darthun wollte, sie verständen ihre eigene
Sprache nicht 2). Schon das Dasein und die Wirkung

1) Nur durfte man darin nicht zu weit gehen. Die Satiriker mischen
spanische und Folengo (unter dem Pseudonym Limerno Pitocco, in
seinem Orlandino) französische Brocken immer nur Hohnes wegen
ein. Es ist schon sehr außergewöhnlich, daß eine Straße in Mai-
land, welche zur Franzosenzeit, 1500 bis 1512, 1515 bis 1522,
Rue belle hieß, noch heute Rugabella heißt. Von der langen span.
Herrschaft ist an der Sprache fast keine Spur, an Gebäuden und
Straßen höchstens hie und da der Name eines Vicekönigs haften
geblieben. Erst im XVIII. Jahrh. drangen mit den Gedanken der
französischen Literatur auch viele französische Wendungen und Ein-
zelausdrücke in's Italienische ein; der Purismus unseres Jahrhun-
derts war und ist noch bemüht, sie wieder wegzuschaffen.
2) Firenzuola, opere I, in der Vorrede zur Frauenschönheit, und II.
in den Ragionamenti vor den Novellen.

haben, ihre Sprache ſelber bilden und daß die Sprache5. Abſchnitt.
beweglich und wandelbar, weil ſie etwas Lebendiges iſt.
Man möge die ſchönſten beliebigen Ausdrücke brauchen,
wenn nur das Volk ſie noch brauche, auch ſolche aus nicht-
toscaniſchen Gegenden, ja hie und da franzöſiſche und ſpa-
niſche, wenn ſie der Gebrauch ſchon für beſtimmte Dinge
angenommen habe 1). So entſtehe, mit Geiſt und Sorgfalt,
eine Sprache, welche zwar nicht eine rein antik toscaniſche,
wohl aber eine italieniſche wäre, reich an Fülle wie ein
köſtlicher Garten voller Blumen und Früchte. Es gehört
ſehr weſentlich mit zu der allgemeinen Virtuoſität des Cor-
tigiano, daß nur in dieſem ganz vollkommenen Gewande
ſeine feine Sitte, ſein Geiſt und ſeine Poeſie zu Tage treten.

Da nun die Sprache eine Angelegenheit der lebendigen
Geſellſchaft geworden war, ſo ſetzten die Archaiſten und
Puriſten trotz aller Anſtrengung ihre Sache im WeſentlichenIhr geringer
Erfolg.

nicht durch. Es gab zu viele und treffliche Autoren und
Converſationsmenſchen in Toscana ſelbſt, welche ſich über
das Streben Jener hinwegſetzten oder luſtig machten; letzteres
vorzüglich, wenn ein Weiſer von draußen kam und ihnen,
den Toscanern, darthun wollte, ſie verſtänden ihre eigene
Sprache nicht 2). Schon das Daſein und die Wirkung

1) Nur durfte man darin nicht zu weit gehen. Die Satiriker miſchen
ſpaniſche und Folengo (unter dem Pſeudonym Limerno Pitocco, in
ſeinem Orlandino) franzöſiſche Brocken immer nur Hohnes wegen
ein. Es iſt ſchon ſehr außergewöhnlich, daß eine Straße in Mai-
land, welche zur Franzoſenzeit, 1500 bis 1512, 1515 bis 1522,
Rue belle hieß, noch heute Rugabella heißt. Von der langen ſpan.
Herrſchaft iſt an der Sprache faſt keine Spur, an Gebäuden und
Straßen höchſtens hie und da der Name eines Vicekönigs haften
geblieben. Erſt im XVIII. Jahrh. drangen mit den Gedanken der
franzöſiſchen Literatur auch viele franzöſiſche Wendungen und Ein-
zelausdrücke in's Italieniſche ein; der Purismus unſeres Jahrhun-
derts war und iſt noch bemüht, ſie wieder wegzuſchaffen.
2) Firenzuola, opere I, in der Vorrede zur Frauenſchönheit, und II.
in den Ragionamenti vor den Novellen.
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[377/0387] haben, ihre Sprache ſelber bilden und daß die Sprache beweglich und wandelbar, weil ſie etwas Lebendiges iſt. Man möge die ſchönſten beliebigen Ausdrücke brauchen, wenn nur das Volk ſie noch brauche, auch ſolche aus nicht- toscaniſchen Gegenden, ja hie und da franzöſiſche und ſpa- niſche, wenn ſie der Gebrauch ſchon für beſtimmte Dinge angenommen habe 1). So entſtehe, mit Geiſt und Sorgfalt, eine Sprache, welche zwar nicht eine rein antik toscaniſche, wohl aber eine italieniſche wäre, reich an Fülle wie ein köſtlicher Garten voller Blumen und Früchte. Es gehört ſehr weſentlich mit zu der allgemeinen Virtuoſität des Cor- tigiano, daß nur in dieſem ganz vollkommenen Gewande ſeine feine Sitte, ſein Geiſt und ſeine Poeſie zu Tage treten. 5. Abſchnitt. Da nun die Sprache eine Angelegenheit der lebendigen Geſellſchaft geworden war, ſo ſetzten die Archaiſten und Puriſten trotz aller Anſtrengung ihre Sache im Weſentlichen nicht durch. Es gab zu viele und treffliche Autoren und Converſationsmenſchen in Toscana ſelbſt, welche ſich über das Streben Jener hinwegſetzten oder luſtig machten; letzteres vorzüglich, wenn ein Weiſer von draußen kam und ihnen, den Toscanern, darthun wollte, ſie verſtänden ihre eigene Sprache nicht 2). Schon das Daſein und die Wirkung Ihr geringer Erfolg. 1) Nur durfte man darin nicht zu weit gehen. Die Satiriker miſchen ſpaniſche und Folengo (unter dem Pſeudonym Limerno Pitocco, in ſeinem Orlandino) franzöſiſche Brocken immer nur Hohnes wegen ein. Es iſt ſchon ſehr außergewöhnlich, daß eine Straße in Mai- land, welche zur Franzoſenzeit, 1500 bis 1512, 1515 bis 1522, Rue belle hieß, noch heute Rugabella heißt. Von der langen ſpan. Herrſchaft iſt an der Sprache faſt keine Spur, an Gebäuden und Straßen höchſtens hie und da der Name eines Vicekönigs haften geblieben. Erſt im XVIII. Jahrh. drangen mit den Gedanken der franzöſiſchen Literatur auch viele franzöſiſche Wendungen und Ein- zelausdrücke in's Italieniſche ein; der Purismus unſeres Jahrhun- derts war und iſt noch bemüht, ſie wieder wegzuſchaffen. 2) Firenzuola, opere I, in der Vorrede zur Frauenſchönheit, und II. in den Ragionamenti vor den Novellen.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/387>, abgerufen am 25.04.2024.