Ob das XV. Jahrhundert schriftliche Rechenschaft über4. Abschnitt. sein Schönheitsideal hinterlassen hat, weiß ich nicht zu sa- gen; die Leistungen der Maler und Bildhauer würden dieselbe nicht so ganz entbehrlich machen, wie es auf den ersten Anblick scheint, da gerade ihrem Realismus gegen- über in den Schreibenden ein specielles Postulat der Schön- heit fortgelebt haben könnte 1). Im XVI. JahrhundertFirenzuola's Ideal. tritt dann Firenzuola hervor mit seiner höchst merkwürdigen Schrift über weibliche Schönheit 2). Man muß vor Allem ausscheiden was er nur von antiken Autoren und von Künstlern gelernt hat, wie die Maßbestimmungen nach Kopflängen, einzelne abstracte Begriffe etc. Was übrig bleibt ist eigene echte Wahrnehmung, die er mit Beispielen von lauter Frauen und Mädchen aus Prato belegt. Da nun sein Werkchen eine Art von Vortrag ist, den er vor seinen Prateserinnen, also den strengsten Richterinnen hält, so muß er dabei sich wohl an die Wahrheit angeschlossen haben. Sein Princip ist zugestandenermaßen das des Zeuxis und Lucian: ein Zusammensuchen von einzelnen schönsten Theilen zu einer höchsten Schönheit. Er definirt die Ausdrücke der Farben, die an Haut und Haaren vor- kommen, und giebt dem biondo den Vorzug als der we- sentlichen und schönsten Haarfarbe 3), nur daß er darunter
1) Das sehr schöne Liederbuch des Giusto de' Conti: la bella mano meldet nicht einmal von dieser berühmten Hand seiner Geliebten so viel Specielles wie Boccaccio an zehn Stellen seines Ameto von den Händen seiner Nymphen erzählt.
2)Della bellezza delle donne, im I. Band der Opere di Firen- zuola, Milano 1802. -- Seine Ansicht über die Körperschönheit als Anzeige der Seelenschönheit vgl. vol. II, p. 48 bis 52, in den ragionamenti vor seinen Novellen. -- Unter den vielen Andern welche dieß, zum Theil nach Art der Alten, verfechten, nennen wir nur Castiglione, il Cortigiano, L. IV, fol. 176.
3)Worüber Jedermann einverstanden war, nicht bloß die Maler aus Gründen des Colorites.
Ob das XV. Jahrhundert ſchriftliche Rechenſchaft über4. Abſchnitt. ſein Schönheitsideal hinterlaſſen hat, weiß ich nicht zu ſa- gen; die Leiſtungen der Maler und Bildhauer würden dieſelbe nicht ſo ganz entbehrlich machen, wie es auf den erſten Anblick ſcheint, da gerade ihrem Realismus gegen- über in den Schreibenden ein ſpecielles Poſtulat der Schön- heit fortgelebt haben könnte 1). Im XVI. JahrhundertFirenzuola's Ideal. tritt dann Firenzuola hervor mit ſeiner höchſt merkwürdigen Schrift über weibliche Schönheit 2). Man muß vor Allem ausſcheiden was er nur von antiken Autoren und von Künſtlern gelernt hat, wie die Maßbeſtimmungen nach Kopflängen, einzelne abſtracte Begriffe ꝛc. Was übrig bleibt iſt eigene echte Wahrnehmung, die er mit Beiſpielen von lauter Frauen und Mädchen aus Prato belegt. Da nun ſein Werkchen eine Art von Vortrag iſt, den er vor ſeinen Prateſerinnen, alſo den ſtrengſten Richterinnen hält, ſo muß er dabei ſich wohl an die Wahrheit angeſchloſſen haben. Sein Princip iſt zugeſtandenermaßen das des Zeuxis und Lucian: ein Zuſammenſuchen von einzelnen ſchönſten Theilen zu einer höchſten Schönheit. Er definirt die Ausdrücke der Farben, die an Haut und Haaren vor- kommen, und giebt dem biondo den Vorzug als der we- ſentlichen und ſchönſten Haarfarbe 3), nur daß er darunter
1) Das ſehr ſchöne Liederbuch des Giuſto de' Conti: la bella mano meldet nicht einmal von dieſer berühmten Hand ſeiner Geliebten ſo viel Specielles wie Boccaccio an zehn Stellen ſeines Ameto von den Händen ſeiner Nymphen erzählt.
2)Della bellezza delle donne, im I. Band der Opere di Firen- zuola, Milano 1802. — Seine Anſicht über die Körperſchönheit als Anzeige der Seelenſchönheit vgl. vol. II, p. 48 bis 52, in den ragionamenti vor ſeinen Novellen. — Unter den vielen Andern welche dieß, zum Theil nach Art der Alten, verfechten, nennen wir nur Castiglione, il Cortigiano, L. IV, fol. 176.
3)Worüber Jedermann einverſtanden war, nicht bloß die Maler aus Gründen des Colorites.
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Ob das XV. Jahrhundert ſchriftliche Rechenſchaft über
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dieſelbe nicht ſo ganz entbehrlich machen, wie es auf den
erſten Anblick ſcheint, da gerade ihrem Realismus gegen-
über in den Schreibenden ein ſpecielles Poſtulat der Schön-
heit fortgelebt haben könnte 1). Im XVI. Jahrhundert
tritt dann Firenzuola hervor mit ſeiner höchſt merkwürdigen
Schrift über weibliche Schönheit 2). Man muß vor Allem
ausſcheiden was er nur von antiken Autoren und von
Künſtlern gelernt hat, wie die Maßbeſtimmungen nach
Kopflängen, einzelne abſtracte Begriffe ꝛc. Was übrig
bleibt iſt eigene echte Wahrnehmung, die er mit Beiſpielen
von lauter Frauen und Mädchen aus Prato belegt. Da
nun ſein Werkchen eine Art von Vortrag iſt, den er vor
ſeinen Prateſerinnen, alſo den ſtrengſten Richterinnen hält,
ſo muß er dabei ſich wohl an die Wahrheit angeſchloſſen
haben. Sein Princip iſt zugeſtandenermaßen das des
Zeuxis und Lucian: ein Zuſammenſuchen von einzelnen
ſchönſten Theilen zu einer höchſten Schönheit. Er definirt
die Ausdrücke der Farben, die an Haut und Haaren vor-
kommen, und giebt dem biondo den Vorzug als der we-
ſentlichen und ſchönſten Haarfarbe 3), nur daß er darunter
4. Abſchnitt.
Firenzuola's
Ideal.
1) Das ſehr ſchöne Liederbuch des Giuſto de' Conti: la bella mano
meldet nicht einmal von dieſer berühmten Hand ſeiner Geliebten ſo
viel Specielles wie Boccaccio an zehn Stellen ſeines Ameto von
den Händen ſeiner Nymphen erzählt.
2) Della bellezza delle donne, im I. Band der Opere di Firen-
zuola, Milano 1802. — Seine Anſicht über die Körperſchönheit
als Anzeige der Seelenſchönheit vgl. vol. II, p. 48 bis 52, in den
ragionamenti vor ſeinen Novellen. — Unter den vielen Andern
welche dieß, zum Theil nach Art der Alten, verfechten, nennen wir
nur Castiglione, il Cortigiano, L. IV, fol. 176.
3) Worüber Jedermann einverſtanden war, nicht bloß die Maler aus
Gründen des Colorites.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/353>, abgerufen am 22.07.2024.
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