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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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4. Abschnitt.viel mächtigeres Bild von der betreffenden Gestalt zu er-
wecken vermag. Dante hat seine Beatrice nirgends herrlicher
gepriesen als wo er nur den Reflex schildert, der von ihrem
Wesen ausgeht auf ihre ganze Umgebung. Allein es han-
delt sich hier nicht um die Poesie, welche als solche ihren
eigenen Zielen nachgeht, sondern um das Vermögen, spe-
cielle sowohl als ideale Formen in Worten zu malen.

Die Schönheit
bei Boccaccio.
Hier ist Boccaccio Meister, nicht im Decamerone, da
die Novelle alles lange Beschreiben verbietet, sondern in
seinen Romanen, wo er sich die Muße und den nöthigen
Schwung dazu nehmen darf. In seinem Ameto schildert
er 1) eine Blonde und eine Braune ungefähr wie ein Maler
sie hundert Jahre später würde gemalt haben -- denn auch
hier geht die Bildung der Kunst lange voran. Bei der
Braunen (oder eigentlich nur weniger Blonden) erscheinen
schon einige Züge, die wir classisch nennen würden: in
seinen Worten "la spaziosa testa e distesa" liegt die
Ahnung großer Formen, die über das Niedliche hinausgehen;
die Augbraunen bilden nicht mehr wie beim Ideal der
Byzantiner zwei Bogen, sondern zusammen eine geschwungene
Linie; die Nase scheint er sich der sogenannten Adlernase
gen[ä]hert zu denken 2); auch die breite Brust, die mäßig
langen Arme, die Wirkung der schönen Hand wie sie auf
dem Purpurgewande liegt -- all diese Züge deuten wesent-
lich auf das Schönheitsgefühl einer kommenden Zeit, welches
zugleich dem des hohen classischen Alterthumes unbewußt
sich nähert. In andern Schilderungen erwähnt Boccaccio
auch eine ebene (nicht mittelalterlich gerundete) Stirn, ein
ernstes langgezogenes braunes Auge, einen runden, nicht
ausgehöhlten Hals, freilich auch das sehr moderne "kleine
Füßchen", und, bei einer schwarzhaarigen Nymphe bereits
"zwei spitzbübisch rollende Augen" 3). U. a. m.

1) Parnasso teatrale, Lipsia 1829. Introd., p. VII.
2) Die Lesart ist hier offenbar verdorben.
3) Due occhi ladri nel loro movimento. Die ganze Schrift ist reich
an solchen Beschreibungen.

4. Abſchnitt.viel mächtigeres Bild von der betreffenden Geſtalt zu er-
wecken vermag. Dante hat ſeine Beatrice nirgends herrlicher
geprieſen als wo er nur den Reflex ſchildert, der von ihrem
Weſen ausgeht auf ihre ganze Umgebung. Allein es han-
delt ſich hier nicht um die Poeſie, welche als ſolche ihren
eigenen Zielen nachgeht, ſondern um das Vermögen, ſpe-
cielle ſowohl als ideale Formen in Worten zu malen.

Die Schönheit
bei Boccaccio.
Hier iſt Boccaccio Meiſter, nicht im Decamerone, da
die Novelle alles lange Beſchreiben verbietet, ſondern in
ſeinen Romanen, wo er ſich die Muße und den nöthigen
Schwung dazu nehmen darf. In ſeinem Ameto ſchildert
er 1) eine Blonde und eine Braune ungefähr wie ein Maler
ſie hundert Jahre ſpäter würde gemalt haben — denn auch
hier geht die Bildung der Kunſt lange voran. Bei der
Braunen (oder eigentlich nur weniger Blonden) erſcheinen
ſchon einige Züge, die wir claſſiſch nennen würden: in
ſeinen Worten „la spaziosa testa e distesa“ liegt die
Ahnung großer Formen, die über das Niedliche hinausgehen;
die Augbraunen bilden nicht mehr wie beim Ideal der
Byzantiner zwei Bogen, ſondern zuſammen eine geſchwungene
Linie; die Naſe ſcheint er ſich der ſogenannten Adlernaſe
gen[ä]hert zu denken 2); auch die breite Bruſt, die mäßig
langen Arme, die Wirkung der ſchönen Hand wie ſie auf
dem Purpurgewande liegt — all dieſe Züge deuten weſent-
lich auf das Schönheitsgefühl einer kommenden Zeit, welches
zugleich dem des hohen claſſiſchen Alterthumes unbewußt
ſich nähert. In andern Schilderungen erwähnt Boccaccio
auch eine ebene (nicht mittelalterlich gerundete) Stirn, ein
ernſtes langgezogenes braunes Auge, einen runden, nicht
ausgehöhlten Hals, freilich auch das ſehr moderne „kleine
Füßchen“, und, bei einer ſchwarzhaarigen Nymphe bereits
„zwei ſpitzbübiſch rollende Augen“ 3). U. a. m.

1) Parnasso teatrale, Lipsia 1829. Introd., p. VII.
2) Die Lesart iſt hier offenbar verdorben.
3) Due occhi ladri nel loro movimento. Die ganze Schrift iſt reich
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[342/0352] viel mächtigeres Bild von der betreffenden Geſtalt zu er- wecken vermag. Dante hat ſeine Beatrice nirgends herrlicher geprieſen als wo er nur den Reflex ſchildert, der von ihrem Weſen ausgeht auf ihre ganze Umgebung. Allein es han- delt ſich hier nicht um die Poeſie, welche als ſolche ihren eigenen Zielen nachgeht, ſondern um das Vermögen, ſpe- cielle ſowohl als ideale Formen in Worten zu malen. 4. Abſchnitt. Hier iſt Boccaccio Meiſter, nicht im Decamerone, da die Novelle alles lange Beſchreiben verbietet, ſondern in ſeinen Romanen, wo er ſich die Muße und den nöthigen Schwung dazu nehmen darf. In ſeinem Ameto ſchildert er 1) eine Blonde und eine Braune ungefähr wie ein Maler ſie hundert Jahre ſpäter würde gemalt haben — denn auch hier geht die Bildung der Kunſt lange voran. Bei der Braunen (oder eigentlich nur weniger Blonden) erſcheinen ſchon einige Züge, die wir claſſiſch nennen würden: in ſeinen Worten „la spaziosa testa e distesa“ liegt die Ahnung großer Formen, die über das Niedliche hinausgehen; die Augbraunen bilden nicht mehr wie beim Ideal der Byzantiner zwei Bogen, ſondern zuſammen eine geſchwungene Linie; die Naſe ſcheint er ſich der ſogenannten Adlernaſe genähert zu denken 2); auch die breite Bruſt, die mäßig langen Arme, die Wirkung der ſchönen Hand wie ſie auf dem Purpurgewande liegt — all dieſe Züge deuten weſent- lich auf das Schönheitsgefühl einer kommenden Zeit, welches zugleich dem des hohen claſſiſchen Alterthumes unbewußt ſich nähert. In andern Schilderungen erwähnt Boccaccio auch eine ebene (nicht mittelalterlich gerundete) Stirn, ein ernſtes langgezogenes braunes Auge, einen runden, nicht ausgehöhlten Hals, freilich auch das ſehr moderne „kleine Füßchen“, und, bei einer ſchwarzhaarigen Nymphe bereits „zwei ſpitzbübiſch rollende Augen“ 3). U. a. m. Die Schönheit bei Boccaccio. 1) Parnasso teatrale, Lipsia 1829. Introd., p. VII. 2) Die Lesart iſt hier offenbar verdorben. 3) Due occhi ladri nel loro movimento. Die ganze Schrift iſt reich an ſolchen Beſchreibungen.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/352>, abgerufen am 24.04.2024.