Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

thut ihnen Unrecht, wenn man sich beharrlich nach ihrer4. Abschnitt.
Ueberzeugung, nach ihren innern Kämpfen und tiefern Le-
bensresultaten erkundigt. So ging Aeneas Sylvius völlig
auf in den Dingen, ohne sich um irgend einen sittlichen
Zwiespalt sonderlich zu grämen; nach dieser Seite deckte
ihn seine gutkatholische Orthodoxie so weit als nöthig war.
Und nachdem er in allen geistigen Fragen die sein
Jahrhundert beschäftigten, mitgelebt und mehr als einen
Zweig derselben wesentlich gefördert hatte, behielt er doch
am Ende seiner Laufbahn noch Temperament genug übrig,
um den Kreuzzug gegen die Türken zu betreiben und am
Gram ob dessen Vereitelung zu sterben.

Auch die Selbstbiographie des Benvenuto Cellini gehtBenv. Cellini.
nicht gerade auf Beobachtungen über das eigene Innere
aus. Gleichwohl schildert sie den ganzen Menschen, zum
Theil wider Willen, mit einer hinreißenden Wahrheit und
Fülle. Es ist wahrlich kein Kleines, daß Benvenuto, dessen
bedeutendste Arbeiten bloßer Entwurf geblieben und unter-
gegangen sind, und der uns als Künstler nur im kleinen
decorativen Fach vollendet erscheint, sonst aber, wenn man
bloß nach seinen erhaltenen Werken urtheilt, neben so vielen
größern Zeitgenossen zurückstehen muß, -- daß Benvenuto
als Mensch die Menschen beschäftigen wird bis an's Ende der
Tage. Es schadet ihm nicht, daß der Leser häufig ahnt,
er möchte gelogen oder geprahlt haben; denn der Eindruck
der gewaltig energischen, völlig durchgebildeten Natur über-
wiegt. Neben ihm erscheinen z. B. unsere nordischen Selbst-
biographen, so viel höher ihre Tendenz und ihr sittliches
Wesen bisweilen zu achten sein mag, doch als unvollstän-
dige Naturen. Er ist ein Mensch der Alles kann, Alles
wagt und sein Maß in sich selber trägt. Ob wir es gerne
hören oder nicht, es lebt in dieser Gestalt ein ganz kennt-
liches Urbild des modernen Menschen.

Und noch ein Anderer ist hier zu nennen, der es eben-Cardano.
falls mit der Wahrheit nicht immer soll genau genommen

thut ihnen Unrecht, wenn man ſich beharrlich nach ihrer4. Abſchnitt.
Ueberzeugung, nach ihren innern Kämpfen und tiefern Le-
bensreſultaten erkundigt. So ging Aeneas Sylvius völlig
auf in den Dingen, ohne ſich um irgend einen ſittlichen
Zwieſpalt ſonderlich zu grämen; nach dieſer Seite deckte
ihn ſeine gutkatholiſche Orthodoxie ſo weit als nöthig war.
Und nachdem er in allen geiſtigen Fragen die ſein
Jahrhundert beſchäftigten, mitgelebt und mehr als einen
Zweig derſelben weſentlich gefördert hatte, behielt er doch
am Ende ſeiner Laufbahn noch Temperament genug übrig,
um den Kreuzzug gegen die Türken zu betreiben und am
Gram ob deſſen Vereitelung zu ſterben.

Auch die Selbſtbiographie des Benvenuto Cellini gehtBenv. Cellini.
nicht gerade auf Beobachtungen über das eigene Innere
aus. Gleichwohl ſchildert ſie den ganzen Menſchen, zum
Theil wider Willen, mit einer hinreißenden Wahrheit und
Fülle. Es iſt wahrlich kein Kleines, daß Benvenuto, deſſen
bedeutendſte Arbeiten bloßer Entwurf geblieben und unter-
gegangen ſind, und der uns als Künſtler nur im kleinen
decorativen Fach vollendet erſcheint, ſonſt aber, wenn man
bloß nach ſeinen erhaltenen Werken urtheilt, neben ſo vielen
größern Zeitgenoſſen zurückſtehen muß, — daß Benvenuto
als Menſch die Menſchen beſchäftigen wird bis an's Ende der
Tage. Es ſchadet ihm nicht, daß der Leſer häufig ahnt,
er möchte gelogen oder geprahlt haben; denn der Eindruck
der gewaltig energiſchen, völlig durchgebildeten Natur über-
wiegt. Neben ihm erſcheinen z. B. unſere nordiſchen Selbſt-
biographen, ſo viel höher ihre Tendenz und ihr ſittliches
Weſen bisweilen zu achten ſein mag, doch als unvollſtän-
dige Naturen. Er iſt ein Menſch der Alles kann, Alles
wagt und ſein Maß in ſich ſelber trägt. Ob wir es gerne
hören oder nicht, es lebt in dieſer Geſtalt ein ganz kennt-
liches Urbild des modernen Menſchen.

Und noch ein Anderer iſt hier zu nennen, der es eben-Cardano.
falls mit der Wahrheit nicht immer ſoll genau genommen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0343" n="333"/>
thut ihnen Unrecht, wenn man &#x017F;ich beharrlich nach ihrer<note place="right"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">4. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note><lb/>
Ueberzeugung, nach ihren innern Kämpfen und tiefern Le-<lb/>
bensre&#x017F;ultaten erkundigt. So ging Aeneas Sylvius völlig<lb/>
auf in den Dingen, ohne &#x017F;ich um irgend einen &#x017F;ittlichen<lb/>
Zwie&#x017F;palt &#x017F;onderlich zu grämen; nach die&#x017F;er Seite deckte<lb/>
ihn &#x017F;eine gutkatholi&#x017F;che Orthodoxie &#x017F;o weit als nöthig war.<lb/>
Und nachdem er in allen gei&#x017F;tigen Fragen die &#x017F;ein<lb/>
Jahrhundert be&#x017F;chäftigten, mitgelebt und mehr als einen<lb/>
Zweig der&#x017F;elben we&#x017F;entlich gefördert hatte, behielt er doch<lb/>
am Ende &#x017F;einer Laufbahn noch Temperament genug übrig,<lb/>
um den Kreuzzug gegen die Türken zu betreiben und am<lb/>
Gram ob de&#x017F;&#x017F;en Vereitelung zu &#x017F;terben.</p><lb/>
        <p>Auch die Selb&#x017F;tbiographie des Benvenuto Cellini geht<note place="right">Benv. Cellini.</note><lb/>
nicht gerade auf Beobachtungen über das eigene Innere<lb/>
aus. Gleichwohl &#x017F;childert &#x017F;ie den ganzen Men&#x017F;chen, zum<lb/>
Theil wider Willen, mit einer hinreißenden Wahrheit und<lb/>
Fülle. Es i&#x017F;t wahrlich kein Kleines, daß Benvenuto, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
bedeutend&#x017F;te Arbeiten bloßer Entwurf geblieben und unter-<lb/>
gegangen &#x017F;ind, und der uns als Kün&#x017F;tler nur im kleinen<lb/>
decorativen Fach vollendet er&#x017F;cheint, &#x017F;on&#x017F;t aber, wenn man<lb/>
bloß nach &#x017F;einen erhaltenen Werken urtheilt, neben &#x017F;o vielen<lb/>
größern Zeitgeno&#x017F;&#x017F;en zurück&#x017F;tehen muß, &#x2014; daß Benvenuto<lb/>
als Men&#x017F;ch die Men&#x017F;chen be&#x017F;chäftigen wird bis an's Ende der<lb/>
Tage. Es &#x017F;chadet ihm nicht, daß der Le&#x017F;er häufig ahnt,<lb/>
er möchte gelogen oder geprahlt haben; denn der Eindruck<lb/>
der gewaltig energi&#x017F;chen, völlig durchgebildeten Natur über-<lb/>
wiegt. Neben ihm er&#x017F;cheinen z. B. un&#x017F;ere nordi&#x017F;chen Selb&#x017F;t-<lb/>
biographen, &#x017F;o viel höher ihre Tendenz und ihr &#x017F;ittliches<lb/>
We&#x017F;en bisweilen zu achten &#x017F;ein mag, doch als unvoll&#x017F;tän-<lb/>
dige Naturen. Er i&#x017F;t ein Men&#x017F;ch der Alles kann, Alles<lb/>
wagt und &#x017F;ein Maß in &#x017F;ich &#x017F;elber trägt. Ob wir es gerne<lb/>
hören oder nicht, es lebt in die&#x017F;er Ge&#x017F;talt ein ganz kennt-<lb/>
liches Urbild des modernen Men&#x017F;chen.</p><lb/>
        <p>Und noch ein Anderer i&#x017F;t hier zu nennen, der es eben-<note place="right">Cardano.</note><lb/>
falls mit der Wahrheit nicht immer &#x017F;oll genau genommen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[333/0343] thut ihnen Unrecht, wenn man ſich beharrlich nach ihrer Ueberzeugung, nach ihren innern Kämpfen und tiefern Le- bensreſultaten erkundigt. So ging Aeneas Sylvius völlig auf in den Dingen, ohne ſich um irgend einen ſittlichen Zwieſpalt ſonderlich zu grämen; nach dieſer Seite deckte ihn ſeine gutkatholiſche Orthodoxie ſo weit als nöthig war. Und nachdem er in allen geiſtigen Fragen die ſein Jahrhundert beſchäftigten, mitgelebt und mehr als einen Zweig derſelben weſentlich gefördert hatte, behielt er doch am Ende ſeiner Laufbahn noch Temperament genug übrig, um den Kreuzzug gegen die Türken zu betreiben und am Gram ob deſſen Vereitelung zu ſterben. 4. Abſchnitt. Auch die Selbſtbiographie des Benvenuto Cellini geht nicht gerade auf Beobachtungen über das eigene Innere aus. Gleichwohl ſchildert ſie den ganzen Menſchen, zum Theil wider Willen, mit einer hinreißenden Wahrheit und Fülle. Es iſt wahrlich kein Kleines, daß Benvenuto, deſſen bedeutendſte Arbeiten bloßer Entwurf geblieben und unter- gegangen ſind, und der uns als Künſtler nur im kleinen decorativen Fach vollendet erſcheint, ſonſt aber, wenn man bloß nach ſeinen erhaltenen Werken urtheilt, neben ſo vielen größern Zeitgenoſſen zurückſtehen muß, — daß Benvenuto als Menſch die Menſchen beſchäftigen wird bis an's Ende der Tage. Es ſchadet ihm nicht, daß der Leſer häufig ahnt, er möchte gelogen oder geprahlt haben; denn der Eindruck der gewaltig energiſchen, völlig durchgebildeten Natur über- wiegt. Neben ihm erſcheinen z. B. unſere nordiſchen Selbſt- biographen, ſo viel höher ihre Tendenz und ihr ſittliches Weſen bisweilen zu achten ſein mag, doch als unvollſtän- dige Naturen. Er iſt ein Menſch der Alles kann, Alles wagt und ſein Maß in ſich ſelber trägt. Ob wir es gerne hören oder nicht, es lebt in dieſer Geſtalt ein ganz kennt- liches Urbild des modernen Menſchen. Benv. Cellini. Und noch ein Anderer iſt hier zu nennen, der es eben- falls mit der Wahrheit nicht immer ſoll genau genommen Cardano.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/343
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/343>, abgerufen am 25.11.2024.