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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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des Sueton. Sismondi bedauert, daß so viele Mühe an4. Abschnitt.
einen solchen Gegenstand gewandt worden, allein für einen
größern Mann hätte vielleicht der Autor nicht ausgereicht,
während er völlig genügt, um den gemischten Character
des Filippo Maria und an und in demselben mit wunder-
würdiger Genauigkeit die Voraussetzungen, Formen und
Folgerungen einer bestimmten Art von Tyrannis darzu-
stellen. Das Bild des XV. Jahrhunderts wäre unvoll-
ständig ohne diese in ihrer Art einzige Biographie, welche
bis in die feinsten Miniaturpünktchen hinein characteristisch
ist. -- Späterhin besitzt Mailand an dem Geschichtschreiber
Corio einen bedeutenden Bildnißmaler; dann folgt der
Comaske Paolo Giovio, dessen größere Biographien undGiovio.
kleinere Elogien weltberühmt und für Nachfolger aller
Länder ein Vorbild geworden sind. Es ist leicht, an hundert
Stellen Giovio's Flüchtigkeit und auch seine Unredlichkeit
nachzuweisen, und eine ernste höhere Absicht liegt ohnehin
nie in einem Menschen wie er war. Allein der Athem
des Jahrhunderts weht durch seine Blätter, und sein Leo,
sein Alfonso, sein Pompeo Colonna leben und bewegen sich
vor uns mit völliger Wahrheit und Nothwendigkeit, wenn-
gleich ihr tiefstes Wesen uns hier nicht kund wird.

Unter den Neapolitanern nimmt Tristan Caracciolo
(S. 36), so weit wir urtheilen können, ohne Frage die
erste Stelle ein, obwohl seine Absicht nicht einmal eine
streng biographische ist. Wundersam verflechten sich in
den Gestalten, die er uns vorführt, Schuld und Schicksal,
ja man könnte ihn wohl einen unbewußten Tragiker nennen.
Die wahre Tragödie, welche damals auf der Scene keine
Stätte fand, schritt mächtig einher durch die Paläste, Straßen
und Plätze. -- Die "Worte und Thaten Alfons des Großen",
von Antonio Panormita bei Lebzeiten des Königs geschrie-
ben, sind merkwürdig als eine der frühsten derartigen
Sammlungen von Anecdoten und weisen wie scherzhaften
Reden.

des Sueton. Sismondi bedauert, daß ſo viele Mühe an4. Abſchnitt.
einen ſolchen Gegenſtand gewandt worden, allein für einen
größern Mann hätte vielleicht der Autor nicht ausgereicht,
während er völlig genügt, um den gemiſchten Character
des Filippo Maria und an und in demſelben mit wunder-
würdiger Genauigkeit die Vorausſetzungen, Formen und
Folgerungen einer beſtimmten Art von Tyrannis darzu-
ſtellen. Das Bild des XV. Jahrhunderts wäre unvoll-
ſtändig ohne dieſe in ihrer Art einzige Biographie, welche
bis in die feinſten Miniaturpünktchen hinein characteriſtiſch
iſt. — Späterhin beſitzt Mailand an dem Geſchichtſchreiber
Corio einen bedeutenden Bildnißmaler; dann folgt der
Comaske Paolo Giovio, deſſen größere Biographien undGiovio.
kleinere Elogien weltberühmt und für Nachfolger aller
Länder ein Vorbild geworden ſind. Es iſt leicht, an hundert
Stellen Giovio's Flüchtigkeit und auch ſeine Unredlichkeit
nachzuweiſen, und eine ernſte höhere Abſicht liegt ohnehin
nie in einem Menſchen wie er war. Allein der Athem
des Jahrhunderts weht durch ſeine Blätter, und ſein Leo,
ſein Alfonſo, ſein Pompeo Colonna leben und bewegen ſich
vor uns mit völliger Wahrheit und Nothwendigkeit, wenn-
gleich ihr tiefſtes Weſen uns hier nicht kund wird.

Unter den Neapolitanern nimmt Triſtan Caracciolo
(S. 36), ſo weit wir urtheilen können, ohne Frage die
erſte Stelle ein, obwohl ſeine Abſicht nicht einmal eine
ſtreng biographiſche iſt. Wunderſam verflechten ſich in
den Geſtalten, die er uns vorführt, Schuld und Schickſal,
ja man könnte ihn wohl einen unbewußten Tragiker nennen.
Die wahre Tragödie, welche damals auf der Scene keine
Stätte fand, ſchritt mächtig einher durch die Paläſte, Straßen
und Plätze. — Die „Worte und Thaten Alfons des Großen“,
von Antonio Panormita bei Lebzeiten des Königs geſchrie-
ben, ſind merkwürdig als eine der frühſten derartigen
Sammlungen von Anecdoten und weiſen wie ſcherzhaften
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[331/0341] des Sueton. Sismondi bedauert, daß ſo viele Mühe an einen ſolchen Gegenſtand gewandt worden, allein für einen größern Mann hätte vielleicht der Autor nicht ausgereicht, während er völlig genügt, um den gemiſchten Character des Filippo Maria und an und in demſelben mit wunder- würdiger Genauigkeit die Vorausſetzungen, Formen und Folgerungen einer beſtimmten Art von Tyrannis darzu- ſtellen. Das Bild des XV. Jahrhunderts wäre unvoll- ſtändig ohne dieſe in ihrer Art einzige Biographie, welche bis in die feinſten Miniaturpünktchen hinein characteriſtiſch iſt. — Späterhin beſitzt Mailand an dem Geſchichtſchreiber Corio einen bedeutenden Bildnißmaler; dann folgt der Comaske Paolo Giovio, deſſen größere Biographien und kleinere Elogien weltberühmt und für Nachfolger aller Länder ein Vorbild geworden ſind. Es iſt leicht, an hundert Stellen Giovio's Flüchtigkeit und auch ſeine Unredlichkeit nachzuweiſen, und eine ernſte höhere Abſicht liegt ohnehin nie in einem Menſchen wie er war. Allein der Athem des Jahrhunderts weht durch ſeine Blätter, und ſein Leo, ſein Alfonſo, ſein Pompeo Colonna leben und bewegen ſich vor uns mit völliger Wahrheit und Nothwendigkeit, wenn- gleich ihr tiefſtes Weſen uns hier nicht kund wird. 4. Abſchnitt. Giovio. Unter den Neapolitanern nimmt Triſtan Caracciolo (S. 36), ſo weit wir urtheilen können, ohne Frage die erſte Stelle ein, obwohl ſeine Abſicht nicht einmal eine ſtreng biographiſche iſt. Wunderſam verflechten ſich in den Geſtalten, die er uns vorführt, Schuld und Schickſal, ja man könnte ihn wohl einen unbewußten Tragiker nennen. Die wahre Tragödie, welche damals auf der Scene keine Stätte fand, ſchritt mächtig einher durch die Paläſte, Straßen und Plätze. — Die „Worte und Thaten Alfons des Großen“, von Antonio Panormita bei Lebzeiten des Königs geſchrie- ben, ſind merkwürdig als eine der frühſten derartigen Sammlungen von Anecdoten und weiſen wie ſcherzhaften Reden.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/341>, abgerufen am 18.04.2024.